Die Wiederkehr des Hass-Propheten

Von Hildegard Willer · · 2013/04

Der peruanische „Leuchtende Pfad“, die wohl brutalste Guerillabewegung Lateinamerikas im 20. Jahrhundert, erfährt in der aufstrebenden Wirtschaftsmacht Peru ein Revival.

Knapp 100 Menschen kamen am 2. Juli des Vorjahres ins Kulturzentrum der Katholischen Universität Lima ins gediegene Viertel San Isidro: Der Soziologe Gonzalo Portocarrero stellte sein jüngstes Buch über den Gründer des „Sendero Luminoso“, des Leuchtenden Pfades, Abimael Guzmán, vor. Portocarrero demaskiert darin Guzmán als „Propheten des Hasses“ und quasi-religiösen fundamentalistischen Anführer.

Man erwartete das für eine Buchvorstellung Übliche: zuerst eine Rede des Autors samt Danksagungen, die wohlwollenden Kommentare einer Reihe mehr oder weniger prominenter KollegInnen. Danach die Plaudereien bei einem Glas Rotwein und Häppchen.

Es sollte anders kommen. Noch während einer der Kommentatoren spricht, steht ein grauhaariger Mann auf, stellt sich als Anwalt des inhaftierten Abimael Guzmán vor und wirft dem Autor Geschichtsversfälschung vor. Er redet fünf Minuten am Stück; die Versuche der Moderatorin, ihn zu stoppen, sind fruchtlos. Danach erhebt sich ein Sprechchor von 15 Personen aus den hinteren Reihen. Wie in einer Litanei wiederholen sie lautstark die Sprüche eines Vorsagers: Freiheit für Abimael Guzmán, Hoch lebe die Kommunistische Partei. Autor Portocarrero wird niedergeschrien und kann nicht mehr zu Wort kommen. Schließlich ziehen die 15 großteils jungen Leute Parolen schwingend ab und hinterlassen eine verdutzte ZuhörerInnenschaft.

20 Jahre nach der Gefangennahme Abimael Guzmáns schien der „Leuchtende Pfad“ vor allem als Studienobjekt von HistorikerInnen, SoziologInnen und AnthropologInnen die akademischen Hallen der peruanischen Hauptstadt zu füllen. Dass sich mitten in der boomenden Metropole Lima junge Leute heutzutage offen zur Ideologie eines Abimael Guzmán bekennen, ist kaum zu verstehen.

Der Leuchtende Pfad war immer eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der lateinamerikanischen Guerilla-Bewegungen. Nicht Kuba, sondern Maos Langer Marsch war das Vorbild des Philosophieprofessors Abimael Guzmán in der Andenstadt Ayacucho. Auf dem gewaltsamen Marsch zur Machtergreifung in der Stadt metzelten die Anhänger Guzmáns wahllos Dorfbürgermeister, Priester, Gewerkschafter und jeden und jede, der oder die irgendwie im Verdacht des ideologischen Verrats stand, brutal nieder. Opfer wie Täter gehörten großteils der indigenen Landbevölkerung an, die in Peru bereits wegen ihrer Herkunft diskriminiert wird. Über die Hälfte der 70.000 Todesopfer des vor allem zwischen 1983 und 1995 wütenden Bürgerkrieges – so der 2004 vorgelegte Bericht der Wahrheitskommission – ging zu Lasten des Leuchtenden Pfades; für den anderen Teil waren die peruanische Armee und paramilitärische Gruppen verantwortlich.

Nach seiner Gefangennahme im Jahr 1992 rief Abimael Guzmán seine AnhängerInnen zur Niederlegung der Waffen auf. Während die kämpfenden „Senderisten“ sich von Guzmán lossagten und heute zahlenmäßig gering – und ideologisch sehr viel ähnlicher den kolumbianischen FARC – in den abgelegenen Kokaanbaugebieten operieren, haben sich die AnhängerInnen Abimael Guzmáns in der „Bewegung für Amnestie und Grundrechte“ (MOVADEF) gesammelt. Ihr Hauptanliegen ist eine Generalamnestie für alle einsitzenden Senderistas, aber auch für alle Militärs, die wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt sind. MOVADEF hat den Waffen abgeschworen und will sich als politische Partei etablieren. Nach eigenen Angaben hat die Bewegung 75 Regionalkomitees und 3.500 Mitglieder landesweit. Das ist an sich nicht viel, aber dennoch besorgniserregend, denn es sind keineswegs die alten Unverbesserlichen, die sich da zusammengeschlossen haben, sondern rund 70 Prozent ihrer Mitglieder sind – wieder nach eigenen Angaben – junge Menschen.

Einer wie Fahir Quezada Trujillo, ein junger Bauarbeiter. Seine Richtschnur ist der Marxismus der Guzmánschen Lesart, wie er der Zeitschrift „Quehacer“ im Interview mitteilte. „Ich habe die Bauern jahrelang schuften gesehen. Das kann es doch nicht sein. Das Leben ist nicht einfach essen, schlafen und scheißen. Es ist mehr“, rechtfertigt er sein Engagement. Für die meisten PeruanerInnen und für die offizielle Geschichtsschreibung ist Abimael Guzmán ein Terrorist. Für Fahir ist er ein marxistischer Kämpfer.

Im Büro von MOVADEF in der Avenida Peru, im ärmlichen Teil des an sich schon armen Stadtteils San Martín de Porres, treffen sich Guzmáns AnhängerInnen. Einige sind Kinder oder Verwandte von verhafteten Senderistas, andere sind neu hinzugekommen. Anders als die Generation der heute noch kämpfenden Senderistas führen sie kein Leben im Untergrund, sondern suchen im Gegenteil die Aufmerksamkeit der Medien, um für ihre Ideologie Werbung zu machen. Selbst wenn ihnen dies teuer zu stehen kommt, weil sie etwa ihre Arbeit verlieren. Für die Gräueltaten des Leuchtenden Pfades empfinden sie kein Bedauern – die Gewalt sei normaler Begleiter der Menschheitsgeschichte, schon im Alten Testament sei es gewaltsam zugegangen. Für den Fortschritt der Menschheit seien Opfer zu bringen.

Hintergrund

Der Leuchtende Pfad (Sendero Luminoso) ist eine maoistische Gruppierung, die Ende der 1960er aus einer Studierendenbewegung im peruanischen Ayacucho entstand. Sein Gründer und Anführer, der Philosophieprofessor Abimael Guzmán, hatte das China der Kulturrevolution bereist und begann danach, AnhängerInnen unter den peruanischen Studierenden zu sammeln. Sein politisches Ziel war von Anfang an der völlige Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung durch einen Volkskrieg.

Die Gruppe löste bürgerkriegsähnliche Zustände in Peru aus, die 70.000 Menschen das Leben kosteten, mehrheitlich Angehörige der quechuasprachigen Landbevölkerung. Im Jahr 1990 war der Leuchtende Pfad in der Hälfte des Landes aktiv. Anfang der 1990er gelang es schließlich, ihn Stück für Stück zu zerschlagen. 1992 wurden Abimael Guzmán sowie weitere führende Köpfe verhaftet. Die EU führt die Organisation auf ihrer Liste der Terrororganisationen. noh

Es ist schwer zu sagen, wie stark und einflussreich MOVADEF an peruanischen Universitäten wirklich ist. Einiges deutet darauf hin, dass es sich zahlenmäßig um kleine Randgruppen handelt. Die neue Offensive der Gruppierung, als politischer Akteur in der Öffentlichkeit aufzutreten, hat bei der Regierung jedoch Alarm ausgelöst. Im Kongress liegt ein Gesetz zur Debatte vor, nachdem jede Leugnung, Verharmlosung oder Zustimmung zu den vergangenen Gräueltaten des Leuchtenden Pfades strafbar sein soll – ähnlich dem Gesetz, das die Leugnung des Holocausts in Deutschland und Österreich unter Strafe stellt.

An sich ist das Wiederaufflackern einer jungen senderistischen Gruppe ein Anachronismus: Peru erlebt seit zehn Jahren ein anhaltendes Wirtschaftswachstum und gilt als eines der politisch stabilsten Länder Südamerikas. Präsident Ollanta Humala, ein ehemaliger Militär und linker Bürgerschreck, hat eine Zustimmungsrate von über 50%. Seine Frau Nadine ist so beliebt beim Volk, das die Polit-Auguren schon munkeln, das Ehepaar Humala wolle auf den Spuren der argentinischen Kirchners wandeln und die Ehefrau zur nächsten Präsidentschaftskandidatin küren. Die Euphorie verdeckt aber nur oberflächlich die Risse in der Gesellschaft Perus: In den abgelegenen Anden- und Amazonasdörfern, dort, wo der Reichtum in offenen Gold- und Kupferminen oder in Gasfeldern geschaffen wird, streiten die Dorfgemeinschaften um mehr Mitsprache und eine bessere Teilhabe am Gewinn. Zwar hat die Regierung Humala zuletzt die Genehmigung der heiklen Umweltgutachten dem Umweltministerium unterstellt und das Gesetz zur vorherigen Konsultation der indigenen Bevölkerung bei Bergbaugesetzen verabschiedet. Neue Sozialprogramme sollen die Bildungschancen ländlicher Jugendlicher verbessern. Dennoch sind viele WählerInnen Humalas enttäuscht. Gerade die ärmliche Landbevölkerung hat ihn gewählt, in der Hoffnung auf den „großen Wandel“. Diesen ist Humala seinen AnhängerInnen jedoch schuldig geblieben.

Vor allem aber ist der neue Wohlstand brüchig und mit großen Umweltsünden erkauft. Rocío Silva-Santisteban leitet den Dachverband der peruanischen Menschenrechtsgruppen und verteidigt die Opfer der Ressourcenkonflikte. „Die Toten unseres Wohlstands“ nennt sie die von Polizei oder Militär erschossenen DemonstrantInnen gegen Bergbauprojekte. Diese Missstände schüren extremistische Deutungen. Dazu kommt, dass trotz des Berichtes der Wahrheitskommission die Fakten des vergangenen Bürgerkrieges den wenigsten PeruanerInnen präsent sind.

Das wichtigste Gegengift gegen die Verbreitung der Guzmánschen Gedanken in der peruanischen Gesellschaft ist die Erinnerung. Lurgio Gavilán hat seine Erinnerungen vor über zehn Jahren niedergeschrieben, aber erst im November 2012 hat er sein Buch „Erinnerungen eines unbekannten Soldaten“ veröffentlicht. Es schlug in der peruanischen Öffentlichkeit ein wie eine Bombe. Denn nicht nur ist Lurgio Gaviláns Lebensgeschichte außergewöhnlich – er war Kindersoldat beim Leuchtenden Pfad, danach Soldat in der peruanischen Armee, Franziskanernovize und ist heute Doktorand der Anthropologie. Sein Buch ist eines der ersten schriftlichen Zeugnisse von einem, der dabei war, als Opfer oder Täter, oder als beides. Die Zeit als Kindersoldat beim Sendero schildert der Autor voller Entbehrungen, Hunger, Gewalt. Zwölfjährige, nur des Quechua mächtige Bauernkinder mussten, marxistische Parolen schwingend, deren Sinn sie gar nicht verstanden, so genannte „Verräter“ umbringen. „Wie kann man nur glauben, dass Abimael Guzmán gegen die Armut kämpft, wenn der Leuchtende Pfad vor allem die Armen getötet hat?“ sagt er heute. Bei der Präsentation seines Buches ließ sich kein Anhänger und keine Anhängerin des MOVADEF sehen.

Hildegard Willer arbeitet als freie Journalistin und Journalismus-Dozentin in Lima. Siehe auch ihre Peru-Reportage in SWM 4/12.
Aktuelles von der Autorin aus Peru auf www.strangerinperu.blogspot.com

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