Während die Diskussionen um ihre Nachfolge in die Zielgerade gehen, stehen die Millenniumsentwicklungsziele auf dem Prüfstand. Was haben die Ziele bewirkt? Wo gibt es Erfolgsgeschichten, wo liegt die Erreichung in weiter Ferne?
Statistiken beeinflussen nur selten den Lauf der Welt. Doch in den nächsten Monaten werden sie Diskurse prägen und politische Ziele mitbeeinflussen. 2015 endet die Ära der so genannten Millennium Development Goals (MDGs). Mit diesen acht Zielen und einem gemeinsamen und abgestimmten Vorgehen wollte die Weltgemeinschaft in weniger als einer Generation unter anderem die absolute Armut halbieren, die Einschulungsraten erhöhen, die Kinder- und Müttersterblichkeit senken und Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids zurückdrängen.
Die von den Vereinten Nationen beschlossenen MDGs waren naturgemäß ein Kompromiss, und der Beitrag der Industrieländer zu deren Erreichung war vage gehalten. Dennoch gilt es als große Leistung des damaligen UN Generalsekretärs Kofi Annan, die Staats- und Regierungschefs aus 189 Ländern im September 2000 auf die acht Ziele eingeschworen zu haben.
Aufgrund ihres plakativen Charakters verankerten sich die MDGs rasch und tief im kollektiven Bewusstsein der entwicklungspolitischen AkteurInnen, im Norden wie im Süden.
Die acht einfach und klar formulierten Ziele führten zu einer positiven Dynamik und Aufbruchstimmung, die mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 jedoch ein jähes Ende fand. Die MDGs galten zwar weiterhin, die staatliche Entwicklungszusammenarbeit wurde jedoch rasch der globalen Sicherheitspolitik und der Terrorbekämpfung untergeordnet.
Was ist dennoch gelungen? Eines vorweg: In den vergangenen 15 Jahren wurde global gesehen viel erreicht. Der Wirtschaftsboom in den Schwellenländern – und hier besonders China, Indien und Brasilien – katapultierte hunderte Millionen Menschen aus der Armut. Daher konnte die Erreichung des ersten Ziels, nämlich den Anteil der ärmsten Menschen, die von weniger als 1,25 US-Dollar leben, zu halbieren, bereits 2010 gefeiert werden. In diesem Jahr lebten weltweit 700 Millionen Arme weniger in extremer Einkommensarmut als noch im Jahr 1990. KritikerInnen werfen hier gerne ein, dass die Armutsgrenze mit 1,25 US-Dollar am Tag bewusst viel zu niedrig gewählt wurde. Damit nicht genug, beziehen sich die MDGs außerdem auf Entwicklungsparameter aus dem Jahr 1990, wie oft bemängelt wird. Sie unterschlagen daher das rasante Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern, das nicht nur in China bereits in der Dekade von 1990 bis 2000 viele Millionen Menschen über die Armutsgrenze gehievt hatte.
Egal ob man diese Kritik nun teilt oder nicht, eines bleibt unbestritten: Den Erfolg, die Armut halbiert zu haben, darf sich nicht die Entwicklungszusammenarbeit allein auf ihre Fahnen heften. Um ihren Beitrag zu isolieren, muss man tiefer graben – und die ärmsten Länder – die sogenannten least developed countries – unter die Lupe nehmen. Auch hier gibt es Erfolge zu melden, die jedoch deutlich bescheidener als in den Schwellenländern ausfallen.
In Afrika südlich der Sahara ist der Anteil der Menschen, die mit weniger als 1,25 US-Dollar auskommen müssen, nur geringfügig von 56% im Jahr 1990 auf 48% in Jahr 2014 gesunken. Der Anteil an unterernährten Menschen verringerte sich moderat von 33% auf 25%; das ambitionierte Ziel der Halbierung liegt also noch in weiter Ferne. Bei der Präsentation des vorletzten Berichts zeigte sich Richard Dictus, der Exekutivdirektor der UN Volunteers, dennoch optimistisch, dieses Ziel bis Ende 2015 zu erreichen.
Die größten Erfolge sind in Afrika zweifelsohne bei den Einschulungsraten zu verzeichnen: Während 1990 nur jedes zweite Kind eingeschult wurde, waren es 2014 schon vier von fünf Kindern. Erfreulich ist dabei, dass der Anteil der Mädchen in der Grundschule in den meisten Ländern nahe der 50% Marke liegt.
Beim Ziel der Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose spricht der aktuelle Bericht zur Erreichung der MDGs davon, dass zwischen 2000 und 2012 rund 3,3 Mio. Todesfälle durch Malaria verhindert worden seien und seit 1993 22 Millionen Tuberkulosekranke geheilt wurden. Diese Erfolge waren nicht zuletzt dank der üppig dotierten, neu geschaffenen globalen Fonds und dem massiven Engagement der Bill und Melinda Gates Stiftung möglich.
Ein Fortschritt ist die annähernde Halbierung der Sterblichkeit der unter Fünfjährigen von 177 auf 98 pro 1.000 Kinder – das ambitionierte Ziel war allerdings eine Reduktion um zwei Drittel. Auch bei der Müttersterblichkeit wurde ein signifikanter Rückgang von 45% verzeichnet. Geplant waren jedoch 75%.
Traurig schaut es für das Ziel aus, die ökologische Nachhaltigkeit zu sichern. Hier jagt eine Hiobsbotschaft die andere: Die Weltgemeinschaft ist in den letzten 15 Jahren daran gescheitert, den Kohlendioxid-Ausstoß zu verringern und das Artensterben zu stoppen. Lediglich überschaubare Ziele wie die Verbesserung der Trinkwasserversorgung und die Aufwertung von Slums konnten größtenteils erreicht werden.
Von den acht MDGs betraf nur eines die Industrieländer: der Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft, und das blieb so vage, dass es sich eigentlich kaum messen lässt. Konkrete Anforderungen gab es an die finanziellen Mittel: MDG 8 inkludierte auch -eine stabile Finanzierung zur Umsetzung der MDGs. Die Hilfszahlungen der Industrieländer erreichten 2013 mit 134,8 Milliarden US-Dollar tatsächlich einen Höchststand; das entspricht 0,3% des Bruttoinlandsprodukts, verfehlt aber nach wie vor die seit 1969 immer wieder in Aussicht gestellten 0,7% bei weitem.
Die Bilanz, auch wenn noch etwas verfrüht, ist durchwachsen. Doch auch wenn die MDGs nicht der große Wurf gewesen sein mögen, den sich viele erhofft haben – noch weniger waren sie ein Flop. Erstmals in der bald siebzigjährigen Geschichte der Entwicklungspolitik wurden ambitionierte Ziele vereinbart, quantifiziert und in einer gemeinsamen Anstrengung – von staatlichen Gebern, Empfängerregierungen, Hilfswerken und Partnerorganisationen des Südens – gemeinsam umgesetzt.
Knapp 15 Jahre nach dem glamourösen Millenniumsgipfel ist die Aufbruchstimmung nur noch hin und wieder spürbar. Die meisten Ziele wurden nur teilweise erreicht, so das Fazit. Ist das Glas nun halbleer oder halbvoll? Für die Mehrheit der Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern ist es zweifelsfrei voller geworden. Aber für rund eine Milliarde Menschen auf der Erde ist das Glas trotz MDGs leer geblieben, sie verharren weiterhin in Elend. Davon leben zwei Drittel in Indien, China, Nigeria, Bangladesch und der DR Kongo; der Rest verteilt sich auf andere Länder in Südasien und Subsahara-Afrika. Für sie müssen die Nachfolger der MGDs, die sogenannten Sustainable Development Goals, Antworten finden.
Friedbert Ottacher arbeitete über zehn Jahre als Projektreferent in der Entwicklungszusammenarbeit und ist nun selbstständiger Berater und Autor.
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