1994 dachte niemand daran, dass es so schnell gehen würde: dass die WOMEX, soeben hervorgegangen aus den „Worldwide Music Days“, der ersten eigenständigen Weltmusik-Fachmesse in Berlin, so schnell wachsen und ihr Ziel so schnell erreichen würde, nämlich die „Professionisten“ der Weltmusikszene untereinander zu vernetzen. Und nun feierte die WOMEX soeben ihren 10. Geburtstag, und zwar in Essen, in dem von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten Gebiet Zollverein, einer stillgelegten Zeche mitten im Ruhrgebiet.
War man während der letzten WOMEX in Sevilla noch der ständigen Versuchung ausgesetzt, der Messe den Rücken zuzukehren und in die Stadt mit ihren unzähligen Tapas-Bars und Sehenswürdigkeiten abzutauchen, befand man sich dieses Jahr in einer nüchterneren Gegend. Das Messegelände selbst ist die größte Attraktion der gesamten Gegend, Ablenkung gibt es somit keine und mann und frau konnte sich ganz auf das Geschäft konzentrieren.
Denn Geschäft ist es allemal. Es geht um Geld, es geht um Vertragsabschlüsse, es geht um Deals: MusikerInnen suchen ein Management und Plattenverträge; Agenturen suchen VeranstalterInnen; VeranstalterInnen suchen arrivierte Stars oder noch leistbare Newcomer für ihre Festivals, Clubs und Theater; Plattenfirmen wollen ihre KünstlerInnen promoten; Fachzeitschriften suchen Liebhaber, Käufer und Inserenten; JournalistInnen gute Stories – kurzum, jeder will von jedem irgendwas.
Was aber die WOMEX so wohltuend von anderen Musikmessen unterscheidet, ist die unprätentiöse Art, mit der diese Veranstaltung über die Bühne geht, das absolute Fehlen von Profilierungsneurosen seitens der Organisatoren, ProtagonistInnen oder Aussteller – die Atmosphäre ist entspannt, freundschaftlich und bis hin zu den Securities und zum Barpersonal ausgesprochen hilfsbereit und höflich –, und dabei ist die Veranstaltung doch wohl organisiert und professionell. „Wir sind alle eine Familie“, wird von Beginn an suggeriert, ein Netzwerk von MusikliebhaberInnen, die das Glück haben, aus ihrer Leidenschaft einen mehr oder weniger einträglichen Beruf zu machen.
Die Registrierung und das Aushändigen des Ausweises, der einen als Fachbesucherin kennzeichnet und ohne den der Eintritt in die Ausstellungs- und Konzerthallen verwehrt wird, geht sehr flott über die Bühne. Der gleichermaßen dicke wie schwere WOMEX-Katalog gibt Aufschluss darüber, wo man wen finden könnte. Eine Lehre aus dem letzten Jahr in Sevilla: Vorbereitung ist alles! Will man nicht zwischen den 200 Ständen mit ca. 300 Ausstellern und den 2.000 FachbesucherInnen aus 90 Ländern verloren gehen, erweist sich ein ausgeklügelter Plan, wann man wen wo treffen möchte, als ausgesprochen hilfreich.
Erste Anlaufstation ist für mich der Stand von Emap.fm, dem ambitionierten Internetradio von Emil Lubej, der üblicherweise seine Präsentationsfläche mit einer Unzahl von Flyern, CDs, Postern und sonstigem Beiwerk österreichischer MusikerInnen und VeranstalterInnen aufpeppt. Erfahrungsgemäß trifft man dort die meisten der anderen österreichischen TeilnehmerInnen, ein erster Erfahrungsaustausch und Hallo-Sagen. Mein zweiter Schritt lenkt mich in Richtung Kantine, nur um mir wieder einmal zu bestätigen, dass der deutsche Kaffee noch wesentlich schlimmer ist als sein Ruf.
Um 14.00 Uhr das erste Showcase mit dem Motion Trio aus Polen. Ein grandioses Konzert – für mich das beste überhaupt der diesjährigen WOMEX: drei Akkordeonisten, die eine wahnwitzige Dynamik und virtuose Spielfreude rüberbringen, die mir leider in den weiteren Tagen bzw. Abenden bei den restlichen 45 Konzerten doch ein wenig abgehen wird. Wobei man wohl auch dazu sagen muss, dass es einfach unmöglich ist, alle Showcases zu besuchen. Während jeden Tag um 14.00 Uhr ein Daycase angesetzt ist, das nur akkreditierten MessebesucherInnen zugänglich ist, finden am Abend in drei verschiedenen Hallen jeweils drei öffentliche Konzerte statt, deren Beginnzeiten so gestaffelt sind, dass man – rein theoretisch – alle sehen könnte. Dazu kommen noch die offWOMEX showcases, das sind Konzerte, die von Plattenfirmen, nationalen Kulturplattformen oder von den Gruppen selber organisiert werden, aber etwas abseits gelegen sind und nicht von der als „die sieben Samurais“ betitelten WOMEX-Fachjury kuratiert wurden.
In der von Beschallung und Ambiente her angenehmsten Halle 9 findet am Freitag der wohl kurioseste Auftritt der WOMEX statt, nämlich Astrid Hadad aus Mexiko. Vielleicht hat der/die eine oder andere bereits etwas von dieser schrägen Diva gehört oder gelesen – mir war sie auf jeden Fall völlig unbekannt. Leider! Denn dadurch sehe ich nur die letzten zwei Nummern dieser Dame, die von einer fünfköpfigen Combo und unglaublich vielen Kostümen begleitet wird. Definitiv hörens- und vor allem sehenswert.
Aber auch tagsüber gibt es genug zu tun. Neben dem „normalen“ Messe- und Ausstellungsbetrieb runden Konferenzen und Filmscreenings – die übrigens vom österreichischen IMZ, dem Internationalen Musikzentrum aus Wien organisiert werden – das Angebot ab. Was ich aber leider nicht nützen kann, weil die Zeit knapper und die Termine immer zahlreicher werden. Mein Treffpunkt bleibt der Emap.fm-Stand, an dem auch heftig die Frage diskutiert wird, ob es nicht möglich wäre, endlich einen eigenen Österreich-Stand zu organisieren. Gerade auf dem Weltmusiksektor verfügt Österreich über ein sehr großes Potenzial, eine gemeinsame Plattform würde es den Musikschaffenden wesentlich erleichtern, sich den zahlreichen Veranstaltern, Clubbetreibern und internationalen Agenten zu präsentieren.
Mein Koffer ist an die 30 CDs schwerer, als ich mich sonntags noch vor der offiziellen Schlussveranstaltung, bei der der diesjährige WOMEX Award für besondere Verdienste um die Weltmusik an Marc Hollander und seine Firma Crammed Disc verliehen wird, wieder auf den Weg zurück nach Wien mache. Ob es für mich ein Erfolg war? Absolut! Ich konnte neue Kontakte knüpfen, alte Bekanntschaften vertiefen, Konzerte konkretisieren, neue Bands hören. Ob es mir gefallen hat? Da kann ich mich nur den Worten des WOMEX-Direktors Christoph Borkowsky Akbar anschließen: It’s always a pleasure!
Gina Salis-Soglio ist Bookerin und Leiterin der Szene Wien.
Die Szene Wien setzt seit ihrem Entstehen 1983 ihren Auftrag, eine Heimstätte für alternative und avantgardistische Kunstformen zu bilden, erfolgreich um. Dabei war es von Anfang an ein großes Anliegen, auch „fremde“ Kulturformen aus allen Teilen der Welt zu präsentieren. Programmschienen wie „Behind the Ural“ und „Eastern Energy“ sowie Festivals wie „Salam.Islam“ bzw. „Salam.Orient“ sind fixe Bestandteile des Spielplans. Näheres: http://www.szenewien.comInteressante Links:WOMEX:
www.womex.comEmap.fm:
www.emap.fmMotion Trio:
www.motion-trio.art.plAstrid Hadad:
www.astridhadad.com