In Jharia im indischen Bundesstaat Jharkhand leben rund 600.000 Menschen inmitten des größten Kohlereviers des Landes. Die meisten von ihnen haben nichts von dem schmutzigen Reichtum. Ganz im Gegenteil. Text und Fotos von Isabell Zipfel.
Der Boden, das Wasser und die Luft sind verseucht, und das in einer Gegend, die vormals reich an Wäldern war. Mit dem stark ansteigenden Wirtschaftswachstum Indiens wird der Bedarf an Energie und somit auch der Hunger nach dem schmutzigen und vermeintlich billigen Rohstoff Kohle immer größer. Das Kohlerevier Jharia – benannt nach der gleichnamigen Stadt und der Region – ist das größte Kohleabbaugebiet Indiens, und auch das Gebiet mit der größten Anzahl an Kohleflözbränden. Diese Brände sind nicht nur lokal eine der größten Ursachen für Umweltverschmutzung, sondern auch global. Denn Kohlefeuer blasen gewaltige Mengen an Kohlendioxid in die Luft. Allein in Indien sind es rund 1,4 Milliarden Tonnen pro Jahr. Indien ist mittlerweile der viertgrößte Produzent von Treibhausgasen weltweit.
Die Geschichte von Jharia ist eine Geschichte darüber, wie sich Profitgier, Eigeninteressen und Machthunger durchsetzen und dazu führen, dass eines der an Mineralien reichsten Gebiete Indiens wirtschaftlich rückständig bleibt. Der Bergbau marginalisiert die Armen und verschärft die soziale Ungleichheit im Namen einer wirtschaftlichen Entwicklung, von der zumeist nur Metropolen wie Delhi, Bangalore und Mumbai profitieren.
Die Jharia-Kohlenfelder wurden 1896 in Betrieb genommen und 1971 verstaatlicht. Seitdem ist die staatliche BCCL (Bharat Coking Coal Limited) deren Betreiber. Damit verfügt sie über eines der größten Vorkommen in ganz Asien. BCCL betreibt in der Hauptsache Tagebau. Zumeist illegal, da in den meisten Fällen keine Genehmigung vorliegt. Tagebau ist profitabler als Untertagebau. Die Arbeitsproduktivität und die geförderte Kohlemenge sind deutlich höher als beim Untertagebau und verursachen weniger Kosten. In Jharia wird die Kohle in den Dörfern, neben den Häusern, mitten im Lebensraum der Bevölkerung abgebaut. Sogar an Straßen, an Bahngleisen, selbst am Bahnhof, der nun keiner mehr ist, wird die Kohle abgebaut. Der Vorstandschef der indischen Bahn hat sogar Strafanzeige gegen BCCL erstattet. Ashok Agarwal von der Organisation „Jharia Coalfield Bachao Samiti“ (Save Jharia Coalfield Committee), einer Organisation, die sich gegen die Vertreibungspolitik der BCCL einsetzt, erklärt dazu: „Leider gehören die ‚Indian Railways’ der indischen Regierung, sie sind eine Staatsbahn, genauso wie die Kohleminen staatlich sind. Also gehört praktisch alles der indischen Regierung, und somit ist die Angelegenheit ad acta gelegt worden.“
Eigentlich sollen Gebiete, in denen die Förderung abgeschlossen wird, mit Sand und Wasser aufgefüllt werden, damit der Boden wieder genutzt werden kann. Aus Kostengründen geschieht dies aber nicht. Das führt unter anderem dazu, dass die Kohleflöze, das sind die Lagerstätten der Kohle, die parallel zur Gesteinsschichtung verlaufen, mit Sauerstoff in Kontakt kommen und Feuer fangen. In Indien gibt es die meisten Kohleflözbrände weltweit. Allein in Jharia sind es nach Schätzungen von BCCL 67 Feuer.
Die Menschen hier leben gefährlich: Seit über 100 Jahren brennen die Kohleflöze. Die Brandherde fressen sich tief in die Erde, lassen Schächte einbrechen und giftige Dämpfe aus den Bodenspalten quellen. Ashok Agarwal: „Die Bewohner von Jharia leiden darunter. Die Kohleflözbrände werden vom Unternehmen absichtlich nicht gelöscht. Die Minen sind voll Wasser. Wenn dieses Wasser richtig geleitet wird, könnte man die Feuer rasch löschen. Das geschieht nur dann, wenn die Brände nicht im Interesse von BCCL sind.“ Doch leider seien die meisten Kohleflözbrände im Interesse des Minenbetreibers. Agarwal: „Die BCCL will unbedingt Tagebau betreiben. Dafür braucht sie soviel Land wie möglich. Und je mehr Land Feuer fängt, desto mehr Land wird als gefährlich eingestuft.“ Dann könnten die BewohnerInnen vertrieben werden, und die Gesellschaft bekomme immer mehr unbewohnbares Land, um Kohle abzubauen.
Unter Jharia lagern mehr als 1.000 Millionen Tonnen Kohle. Und die Tagebaugebiete sind dicht besiedelt. 40% der EinwohnerInnen leben auf dem brennenden, Feuer speienden Land. Landflächen sinken ab, Häuser stürzen ein. Zu stark sind die wirtschaftlichen Interessen und der Einfluss des Unternehmens, so dass der Kohleabbau weiter betrieben wird. Zudem hat die Mafia das Gebiet um Jharia fest in der Hand und verdient durch Erpressung, Bestechung und sonstige kriminelle Machenschaften viel Geld.
„In unserem Haus ist es immer heiß. Ständig steigt Rauch vom Fußboden auf“, klagt eine Bewohnerin von Bokalpari, einem kleinen Dorf, das von Kohleflözbränden umgeben ist. Der Rauch und die Dämpfe enthalten Giftstoffe, unter anderem Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und Stickoxide, aber auch Ruß, Methan und Arsen.
Die gesundheitlichen Schäden sind enorm. Lungen- und Hauterkrankungen, Krebs und Magenbeschwerden sind nur einige der Krankheiten, mit denen die Menschen in Jharia zu kämpfen haben. Ashok Agarwal: „Wegen der massiven Luftverschmutzung hier hat praktisch jeder, der in der Umgebung von Jharia lebt, Lungenprobleme. Bronchitis, Lungenkrebs oder Asthma. Das durchschnittliche Lebensalter der Bewohner dieser Region ist mittlerweile sehr, sehr stark gesunken.“
Was geschieht, wenn jemand krank wird? Die Regierung hat ihre eigenen Krankenhäuser. Diese Krankenhäuser sind aber den Angestellten der BCCL vorbehalten. Ashok Agarwal: „Die armen Leute müssen selber für ihre medizinische Versorgung aufkommen, wenn sie krank werden. Aber die meisten von ihnen haben dafür nicht genug Geld. Deswegen gehen sie erst gar nicht ins Krankenhaus.“
Statt etwas gegen die Feuer zu tun, soll einer der weltweit größten Umsiedlungspläne umgesetzt werden, der Jharia Action Plan (JAP). Die Menschen der brennenden Gebiete sollen nach Belgaria umgesiedelt werden, ein acht Kilometer entferntes Gebiet, das sich mitten im Wald befindet. Dort gibt es keine Schule, keine ärztliche Versorgung, keine Geschäfte und, vielleicht am schlimmsten, keine Jobs. In den neu errichteten Einzimmer-Wohnungen müssen ganze Familien, manchmal sogar zehn Personen, unterkommen. Ashok Agarwal: „Die Leute sind praktisch gezwungen worden, dorthin zu ziehen. Sie sind niemals gefragt worden, ob ihnen dieser Ort gefällt oder nicht. Die BCCL hat einfach beschlossen, ihnen ein winziges Zimmer mit Badezimmer und Küche zur Verfügung zu stellen.”
Den umgesiedelten Menschen sind 10.000 Rupien (umgerechnet 145 ?) plus 250 Tage Arbeit zugesagt worden. Aber die allermeisten kriegen gar nichts. Dass die Regierung Postämter, Krankenhäuser, Einkaufszentren, Schulen, Strom und Wasser bereitstellt, ist ein bloßes Versprechen geblieben. Somit entschließen sich viele, in Jharia zu bleiben. Auf dem Feuer. Trotz der Brände. Trotz des ewigen Grauschleiers, der sich über die Stadt legt. Trotz der Luftverschmutzung, die das Atmen an schlechten Tagen fast unmöglich macht. Und trotz des Kohlestaubs, der sich wie eine zweite Haut auf den Körper legt.
Isabell Zipfel ist freie Fotografin. Sie ist in Rom aufgewachsen, lebt nun in Berlin und ist für internationale Magazine tätig.
www.isabell-zipfel.photoshelter.com
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