Südwind: So viel ich von Ihnen weiß, machen Sie den Eindruck, dass Sie ein begeisterter Reisender sind. Woher kommt denn diese Faszination des Reisens, und wie äußert sie sich beim Reisen selbst?
Puchner: Ich glaube schon, dass ich vom Naturell so etwas wie ein Reisender bin; ich sehe aber dieses Reisen nicht unbedingt als Ortsveränderung an, sondern eher als Gefühl. Es ist durchaus möglich, dass ich auch in meiner Wohnung reise. Reisen ist einerseits ein bisschen dieses Wegsein, aber das bedeutet nicht unbedingt von Zuhause weg zu sein. Obwohl das Wegsein von Zuhause schon noch einmal eine höhere Qualitätsstufe bedeutet.
Da mein Alltag oft relativ unorthodox abläuft, ist es nicht unbedingt so, dass ich von dieser alltäglichen Struktur weg muss.
Haben Sie das Gefühl, dass das etwas Angeborenes ist?
Wenn man das so sieht, könnte ich schon sagen, dass bei meinem Vater eine ähnliche Struktur zu beobachten war. Mein Vater ist in einem Waldhaus aufgewachsen, er musste aus familiären Gründen weg. Er ist erst einmal aufs Schiff gegangen und dann um die Welt gereist. Wenn es also diese übertragbare Unruhe gibt, dann wäre sie hier angeboren – aber das ist schwer zu sagen.
Wenn man das Wort Angeboren anders übersetzt, etwa als Bestandteil des Wesens, als Wesenszug, dann habe ich schon das Gefühl, dass das Reisen eine Suche nach einem glücklichen Zustand ist.
Was ist nun der wesentliche Unterschied zwischen dem Reisen in den eigenen vier Wänden und dem Reisen als tatsächlicher Ortsveränderung?
Ziemlich sicher gibt es einen wesentlichen Unterschied. Wenn ich in den eigenen Räumen auf eine bestimmte Art verreise, so ist das Gefühl des Fremden nicht so stark gegeben, als wenn man durch die Welt zieht, permanent in einen anderen Raum eintritt, mit neuen Bildern und Situationen konfrontiert wird.
Goethe sagte einmal, „Glücklich ist der, dessen Welt in den eigenen vier Wänden liegt“. Das würde bedeuten, dass es zwischen dem imaginären und dem tatsächlichen Reisen kaum einen Unterschied gibt.
Da muss ich sagen, dass es für mich schon noch eine andere Möglichkeit gibt. Bei mir ist das Zuhause eigentlich nicht der Wohnort, die Wohnung, sondern mein Zuhause ist eigentlich mein Materialbuch. Das Buch, in das ich immer wieder etwas hineinschreibe, hineinkritzle, hineinklebe, hineinzeichne – dieses Buch ist seit vielen Jahren mein Zuhause geworden. Letztlich habe ich das Gefühl, dass das Zuhause kein fixer Zustand ist, genauso wenig wie das Reisen.
Das Materialbuch ist auch der Begleiter auf meinen Reisen. Es ist wie ein Tagebuch, ein Text- und Bildbuch. Es ist auf wunderbare Weise die Verknüpfung von Verreisen und Zuhausesein.
Bereiten Sie die Reisen genau vor, oder sind das eher spontane Aktionen?
Ich bereite mich im Allgemeinen sehr gut vor. Das geht oft so weit, dass ich mir schon in Wien Gesprächspartner in anderen Ländern suche, die mir von irgendwem empfohlen wurden oder die ich erfragt habe. Reisen ist ja oft auch eine Reise von einem Menschen zu einem anderen, von einem Bild zum nächsten. Ich bereite mich auch lesend vor, über Literatur; natürlich auch über Reiseführer.
Ich habe den Eindruck, dass Sie das Reisen eigentlich wenig im journalistischen Sinn verwerten, um Reportagen oder Bücher zu schreiben, wie etwa Ihr Freund Christoph Ransmayr.
Ja, ein wenig stimmt es, dass ich relativ wenig verwerte – außer dass ich in meine Materialbücher schreibe und zeichne. Ich habe davon an die vierzig verfasst. Gelegentlich habe ich auch eines publiziert, eher auszugsweise, etwa in Reisemagazinen. Zur Zeit aber habe ich einen Vertrag für ein Buch, das mit dem Reisen zusammen hängt, ein Buch, das den Arbeitstitel trägt: Ich liebe das Meer.
Afrika ist ein ziemlich weißer Fleck auf Ihrer Landkarte.
Ja. Ich kenne nur Nordafrika. Und ich spüre, dass dieses Gefühl des weißen Flecks so etwas wie Sehnsucht und Neugierde schafft. Da schwirren sogleich Bilder durch den Kopf. Für mich ist es immer auch wichtig zu wissen, wie die nächste Reise ausschauen könnte. Die Reise muss verbunden sein mit einem spezifischen Interesse, mit einem Bild, das mich dorthin zieht. Gelegentlich werde ich zu Presse-Reisen eingeladen, aber da fahre ich so gut wie nie mit. Zur Zeit zieht es mich stark nach Indien. Es gibt verschiedene Fragen, die sich dort aufgetan haben, und denen möchte ich gerne nachgehen.
Wie erklären Sie sich die häufig anzutreffende Fixierung von Reisenden auf gewisse Weltregionen und Kulturen? Manchmal hört man die Vermutung, dass das mit früheren Leben zu tun haben könnte.
Mir kommt vor, das hat weniger mit früheren Leben zu tun, sondern mit dem, was mehr oder weniger alle Menschen betrifft, nämlich mit den gegenwärtigen Fragen des Einzelnen an das Leben. Fragen verschiedenster Natur. Warum wir nun mit Vorliebe in gewisse Gebiete reisen, hat meiner Meinung nach mit diesen Fragen zu tun und auch damit, dass wir oft nicht wissen, wie diese Fragen heißen. Das sind Fragen, die nicht so leicht zu entschlüsseln sind. Wenn nun Reisen eine Möglichkeit wäre, eine Antwort darauf zu finden, dann wäre es auch klar, warum man immer in bestimmte Regionen fährt. Wir sind beim Reisen immer einer ähnlichen inneren Struktur hinterher.
Aber diese Fragen sind nicht so einfach in Worte zu kleiden. Außerdem verändern sich einige im Laufe der Zeit, andere bleiben wiederum gleich. Wenn man auf Reisen Tagebuch schreibt und später wieder darin liest, so sieht man, dass gewisse Fragen durch Jahrzehnte hindurch andauern. Es sind Fragen, die die Existenzproblematik berühren, die ganz im Tiefen liegen.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, mit den beiden Pinguinen um die Welt zu reisen?
Ich habe in Wien in einer Werkstätte namens „Ana Plus“ 25 Pinguine aus Polyesterharz gesehen und habe zwei davon gekauft. Ich habe zu jener Zeit meine Diplomarbeit „Über private Fotografie“ beendet. Für mich waren die beiden Ausdruck von Pose und privater Fotografie, und allmählich wurden sie zu Protagonisten meiner Phantasie. Das Projekt hat dann eine Eigendynamik bekommen.
Kann das etwas damit zu tun haben, dass die Pinguine Joe und Sally dieses Vakuum des Alleinseins auf Reisen ausfüllen sollen?
Die Pinguine haben eher die Funktion gehabt, dass ich einerseits diese Geschichte über die Sehnsucht erzählen wollte, andererseits sind die Pinguine in der Eigendynamik, die diese Geschichte entwickelt hat, sehr wohl zu wirklichen Begleitern geworden. Heute sehe ich es auch als „Trauerarbeit“. Ich hatte mich damals von meiner Lebensgefährtin getrennt und war auf der Suche nach einem neuen Glück.
Wie ist das entstanden, dass Sie nun mit den Pinguinen für die Österreichische Fremdenverkehrswerbung „ins Feld ziehen“. Ist dieses Unternehmen an Sie herangetreten?
Ja, die Werbeagentur Lowe GGK ist an mich herangetreten. Und da ich viel in der Welt unterwegs war, Österreich aber relativ wenig kenne, habe ich das für einen interessanten Gedanken gehalten, wenn Joe & Sally weiterreisen. Wenn die Pinguine nun so groß auftauchen, gibt es eine ganz andere Art von Reflexion. Jetzt kommen die beiden, nachdem sie durch die ganze Welt gereist sind, endlich nach Hause.
Wie sieht es mit künftigen Reiseplänen aus?
In Zukunft werde ich mehr durch Österreich reisen, in Zusammenhang mit diesem Projekt mit der Österreichwerbung, werde aber an meinem Buchprojekt über das Meer weiter arbeiten, und daher immer wieder ans Meer reisen. Das ist eine ganz andere Ausgangsposition als die Reisen mit den Pinguinen. Da sitze ich am Meer, lese, schreibe oder zeichne oder gehe einfach am Meer entlang. Es kann auch sein, dass von irgendwo ein Auf-und-Davon-Funke kommt, den ich noch nicht kenne. Was mir noch immer am Herzen liegt, wie ich schon sagte, ist Indien.
Gibt es irgendeine Form der Fortsetzung Ihrer vielen menschlichen Begegnungen auf den Reisen?
Bei meiner letzten Indien-Reise hatte ich mit Hunderten Menschen Kontakt, und da war mein kleines Ziel, von allen Leuten, die ich fotografierte, auch ihre Adresse zu bekommen und ihnen dann ihre Fotos zu schicken. Ich habe dann Hunderte Fotos nach Indien geschickt. Das Schwierige dabei war, dass viele gar keine Adresse haben, da musste ich dann die Bilder an Tankstellen senden oder an Geschäfte mit der Bitte um Weiterleitung. Es ist kein einziger Brief zurückgekommen – das muss allerdings nicht heißen, dass alle zugestellt wurden. Aber es sind einige Antworten gekommen, und in allen war derselbe Wunsch formuliert: sie wollen noch mehr Fotos haben.
Von Willy Puchner sind derzeit folgende Bücher lieferbar:
„Die Sehnsucht der Pinguine“, Frederking & Thaler (s. Rezension in diesem Heft)
„Tagebuch der Natur“, NP-Verlag
„Flughafen. Eine eigene Welt“,
NP-Verlag
„Ich bin …“, Quell-Verlag
(nur beim Autor)