Mit einem Optionenpapier hat die EU-Kommission die interne Diskussion über die Reform der Zuckermarktordnung eröffnet. Das generelle Motto: je langsamer, desto besser.
Der Zuckerprotektionismus der EU ist nicht zu halten, das weiß auch die EU-Kommission. Ende September stellte sie daher ein Reformszenario mit drei Optionen für die Zeit nach dem 30. Juni 2006 zur Diskussion – denn bis dahin soll die Zuckermarktordnung (ZMO) bleiben, wie sie ist. Vorbehaltlich von WTO-Entwicklungen natürlich: Auf Betreiben von Brasilien, Australien und Thailand wird sich die WTO nun unter anderem damit befassen, ob die EU-Garantiepreise als Exportsubvention aufzufassen sind – und damit den Rahmen der genehmigten Exportsubventionen für die Überschüsse der Union sprengen. Und vielleicht wird Brüssel ja auch etwas nachschießen müssen, um die schwer havarierte Doha-Runde der WTO zu retten. Mit einem verbindlichen Reformvorschlag der Kommission an den EU-Ministerrat ist nach Einschätzung der Zuckerindustrie ab Mitte 2004 zu rechnen – wer Einfluss nehmen will, sollte sich also in Brüssel melden.
Die drei Reformoptionen – Beibehaltung des Status quo, deutliche Senkung des internen Preisniveaus sowie völlige Liberalisierung – gelten für die bereits auf 25 Mitglieder erweiterte Union und beziehen sich auf den Zeitraum 2010-2015. Ihre möglichen Ergebnisse (siehe Tabelle) lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Status quo führt zwar zu einem Ende der EU-Überproduktion, aber gleichzeitig aufgrund des hohen Preisniveaus zu einer Verdoppelung der Einfuhren aus begünstigten Ländern (vor allem AKP-Länder und LDCs) auf vier Mio. Tonnen. Die müssten – wie bisher – postwendend unter den Gestehungskosten am Weltmarkt abgeladen werden. Eine völlige Liberalisierung dagegen würde den AKP- und LDC-Zucker weitgehend aus dem Markt drängen und die EU-Produktion auf weniger als ein Drittel reduzieren. Die fehlenden zehn Mio. Tonnen kämen großteils aus brasilianischen Plantagen. Im dritten Szenario sinkt der Preis nicht auf Weltmarktniveau. Dafür hält sich aber die EU-Produktion bei 14 Mio. Tonnen, und 2 bis 2,5 Mio. Tonnen kommen aus einer Handvoll begünstigter Länder, die zu dem niedrigeren EU-Preis noch exportieren können. Das Bonbon für den Rest der Welt: Wie bei der Liberalisierung hört die EU auch bei der Preissenkungsoption auf, den Weltmarktpreis mit Dumpingexporten zu malträtieren – allerdings erst in mehr als zehn Jahren.
Die Kommission scheint eine Senkung des Preisniveaus zu bevorzugen. Erstens erfüllt diese Option ihre selbst gesetzten Ziele am besten – in der Smiley-Matrix im Kommissionspapier ist sie die einzige, die nur grinsende Exemplare aufweist (siehe Grafik). Und zweitens ist sie auch einigermaßen realistisch: der Status quo wird nicht nur von der Kommission als unhaltbar eingeschätzt, und sie hält es auch für kaum möglich, den tatsächlichen Ursprung der ab 2009 völlig freien LDC-Zuckereinfuhren zu kontrollieren. Eine völlige Liberalisierung wiederum könnte am Widerstand der EU-internen Rübenzuckerlobby scheitern und dürfte noch dazu die höchsten Budgetkosten verursachen: teurer als die jetzige ZMO, und um mindestens 300 Mio. Euro mehr als die Preissenkung – und da sind Kompensationen für die aus dem Markt gedrängten AKP- und LDC-Rohrzuckerlieferanten noch gar nicht dabei.
An die wird jedenfalls gedacht, und auch daran, die Strukturhilfen für die betroffenen AKP-Länder aus den Mitteln für die derzeitigen Exportsubventionen zu finanzieren. Allen Optionen gemeinsam ist, dass Umstellungen möglichst langsam und damit budgetschonend vor sich gehen sollten. Die Umstellungskosten in der EU selbst hält die Kommission in jedem Fall für verkraftbar. Das schließt auch den Nettoverlust an Arbeitsplätzen in Landwirtschaft und Industrie ein, der teilweise durch eine Umrüstung auf Raffinierung von Rohrzucker aufgefangen werden könnte.
Zweifellos wird aber jede Preissenkung den laufenden Konzentrationsprozess in der EU-Zuckerwirtschaft beschleunigen. Eine spezifische Förderung betroffener kleiner RübenbäuerInnen wird im Kommissionspapier nicht erwähnt. Jedoch könnten Direkthilfen „im Interesse der Fairness und zur Reduzierung der Kosten“ nur bis zu einer maximalen Fläche gewährt werden, da Großbetriebe leichter umstellen könnten als Kleinbetriebe. Die Umweltfolgen in der EU selbst hängen zwar von den alternativen Bodennutzungen ab, wären aber wegen der relativ hohen Schädlichkeit des Rübenanbaus eher positiv. Unter der Preissenkungsoption könnte eine von der Produktion abgekoppelte Direkthilfe etwa auch an Umweltkriterien geknüpft werden. Diese Option würde auch Umweltschäden vermeiden, die eine kräftige Ausweitung des Zuckerrohranbaus in Brasilien bei völliger Liberalisierung nach sich ziehen könnte.
Die Strategie einer schrittweisen Preissenkung entspricht übrigens am ehesten dem Reformvorschlag der britischen Entwicklungs-NGO ActionAid, die allerdings eine sofortige Einfuhrliberalisierung für LDCs auf Kosten der EU-Produktion fordert. Diese käme aber letztlich nur den effizientesten LDC-Produzenten zugute, weil Investitionen in Zuckerrohranbau und Zuckerfabriken sich nur langfristig rechnen und der Preis am EU-Markt stetig Richtung Weltmarktniveau fallen würde. Aufgrund des WTO-Verbots von Produktionsstandards ist auch eine Öffnung des EU-Markts bei gleichzeitiger Einführung von Sozial- und Umweltstandards für Importzucker ausgeschlossen. Solange allerdings die EU Einfuhrzölle für Zucker aufrecht erhält, kann sie Präferenzen für Entwicklungsländer an derartige Standards knüpfen und das WTO-Verbot umgehen. Selbst bei völliger Liberalisierung gäbe es nach wie vor die Möglichkeit einer positiven Kennzeichnung. Anfang November hat die Kommission etwa vorgeschlagen, künftige Textil- und Bekleidungsimporte positiv zu kennzeichnen, wenn ihre Herstellung unter Einhaltung von Mindeststandards erfolgt. Das ginge bei Rohrzucker wohl ebenso.
Prekärer Status quo
Die Zuckermarktordnung der EU steht durch hausgemachte und externe Entwicklungen unter Druck: Immer mehr Zucker wird in die EU gelangen, und immer weniger wird exportiert werden können. Eine laufende Reduzierung der EU-Produktionsquoten ist daher unvermeidlich.
Zollfreie Einfuhren aus Ex-Jugoslawien und Albanien (derzeit 0,3 Mio. Tonnen; Potenzial 0,5-0,9 Mio.)
zollbegünstigte Einfuhren aus den ärmsten Ländern (LDCs) im Rahmen der „Everything But Arms“-Initiative (ab 2006 unbegrenzt, ab 2009 auch zollfrei) (derzeit 90.000 Tonnen; Potenzial: 0,9-2,7 Mio.)
Fructose-Importe aus der Türkei und Israel (derzeit 60.000 Tonnen; Potenzial: 0,3 Mio. Tonnen Zuckeräquivalent)
WTO-Beschwerde von Brasilien, Australien und Thailand gegen direkte und indirekte Exportsubventionen
weitere Zollsenkungen und Exportbeschränkungen durch die Doha-Runde der WTO
mögliche Erhöhung der Zuckereinfuhren aus den AKP-Ländern (Afrika, Karibik, Pazifik) im Rahmen der Partnerschaftsverhandlungen
mögliche Konzessionen an Brasilien im Freihandelsabkommen mit der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft MERCOSUR.