Die Industrieländer wollen in der Welthandelsorganisation WTO ein multilaterales Investitionsschutzabkommen durchsetzen. Und den Entwicklungsländern Rezepte verschreiben, die sie selbst nicht angewendet haben. Doch diese wollen sich nicht „helfen“ lassen – völlig zu Recht, meint Christian Felber.
Wirtschaftsminister Martin Bartenstein hat eine unglückliche Liebe: MAI. Das Multilaterale Abkommen über Investitionen scheiterte zu seinem Bedauern 1998 in der OECD. Die Bemühungen der Industrieländer, das MAI als „MIA“ in der WTO zu neuem Leben zu erwecken, blieben bisher ebenfalls erfolglos. Dabei wäre alles so einfach: In der Weltsicht von Freihandelsfans nützt ein Investitionsschutzabkommen gerade den armen Ländern, weil es mehr ausländische Direktinvestitionen (ADI) ins Land lockt und ADI immer Entwicklung bringen. Für Bartenstein ist es unbegreiflich, dass so viele arme Länder diese heilsame Medizin nicht schlucken wollen.
Um die Widerborstigkeit des Südens zu verstehen, empfiehlt sich ein Blick auf den Inhalt des MIA-MAI: Kernstück ist die Gleichbehandlung von in- und ausländischen Unternehmen. Inländische Unternehmen dürfen nicht vor der Weltmarktkonkurrenz geschützt werden. Und: Ausländische Direktinvestitionen dürfen nicht reguliert werden, sprich, Anforderungen seitens der Gastländer sind verboten. Dieses Doppelrezept – Liberalisierung und Deregulierung – ist aber eine Entwicklungsstrategie, die kein einziges der heutigen Industrieländer verfolgt hat. Egal, ob die USA, Großbritannien, Deutschland, Japan oder die asiatischen Tigerstaaten, sie alle haben durch das Fernhalten und die Regulierung ausländischer Investoren reüssiert.
Der Harvard-Ökonom Ha-Joon Chang hat ein ganzes Museum an Beispielen für den historischen Protektionismus der heutigen großen Handelsmächte zusammengetragen: So beschränkten etwa die USA schon im vorvorigen Jahrhundert Investitionen in Grundbesitz und den Abbau von Bodenschätzen auf Inländer. Ein Arbeitsgesetz von 1885 verbot die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte. Zahlreiche Bundesstaaten hoben von ausländischen Unternehmen höhere Steuern ein als von inländischen, und Indiana entzog ersteren 1887 gar den Schutz der Gerichtsbarkeit. New York sperrte noch 1914 ausländische Banken aus, worüber sich die London City and Midland Bank grün und blau ärgerte: Die Herrin über ein globales Netz von 867 Filialen durfte keinen Fuß auf den goldenen Boden am Hudson River setzen. Selbst bei Zöllen kannten die USA keine Schamgrenze. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren sie Zollweltmeister.
Mit diesem Rezept standen die USA nicht alleine da. Auch Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Japan und die Tigerstaaten Südostasiens schützten ihre industriellen Keimlinge bis zur Reife. China ist die aktuelle Kontraindikation zum Freihandel und gleichzeitig das erfolgreichste Land in der Globalisierung. Fazit: Durch Freihandel und freien Wettbewerb ist kein einziges Industrieland groß geworden – etwas unerhört also, dass die heutigen Industrieländer genau das von den Entwicklungsländern fordern. Und andererseits verständlich, dass die armen Länder in der WTO auf der MIA-Bremse stehen.
Vorschlag: Die Verschnaufpause auf multilateraler Ebene ließe sich dazu nutzen, den Spieß umzudrehen und ein Gegenmittel zu erproben: Ein multilaterales Investitionsabkommen, das zwar Investoren vor blanker Enteignung und vor Rechtlosigkeit schützt, das aber in erster Linie darauf abzielt, Investitionen für Entwicklung fruchtbar zu machen. Die Eckpunkte eines solchen Abkommens könnten sein:
-> Verpflichtender Technologietransfer an lokale Partnerunternehmen, z. B. durch Joint Ventures.
-> Einbindung der lokalen Wirtschaft über den Bezug von Vorprodukten.
-> Ausbildung von Schlüsselkräften aus dem Gastland.
-> Existenzsichernde Löhne, nicht nur den gesetzlichen Mindestlohn.
-> Volle soziale Absicherung und Einhaltung hoher Arbeitsstandards, nicht nur der international anerkannten Kernnormen.
-> Ausländische Investoren zahlen gleich viele Steuern wie heimische Betriebe.
-> Re-Investition eines Teils der Gewinne vor Ort.
-> Spezielle Förderung von Frauen.
-> Einhaltung hoher Umweltstandards.
-> Möglichkeit des Vetos gegen ökologisch destruktive Investitionen zum Beispiel im Rohstoffsektor durch die betroffene (indigene) Bevölkerung.
Dieses Investitionsabkommen mit umgekehrten Vorzeichen könnte im Rahmen der UNO ausverhandelt werden anstatt in der freihandelsfanatischen WTO, die zudem durch bereits bestehende TRIMS- und GATS-Klauseln einen Teil der obigen Maßnahmen verbietet. Außerdem sollte das globale Abkommen die boomenden bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs) „overrulen“, um bereits getroffene Lösungen zu Ungunsten schwacher Gastländer zu annullieren. Drittens sollte das Abkommen nur als „Mindeststandard“ gelten, damit jedem Land die Flexibilität bleibt, ehrgeizigere Anforderungen an Investoren zu stellen.
Denn das ist eine weitere Conclusio Ha-Joon Changs: Mit Protektionismus erfolgreich waren alle. Die Art und Intensität des Protektionismus wechselte aber von Land zu Land und von Entwicklungsstadium zu Entwicklungsstadium: Je schwächer das Land, desto stärker die Regulierung. Freihandel ist laut Chang das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses, nicht seine Voraussetzung. Die MIA-Strategie des Nurzuschauen- und Nichthandelndürfens ist eine Strategie der Lähmung, die armen Ländern nicht Entwicklung bringt, sondern Investoren höhere Gewinne – zur Freude des Ministers.
Buchtipp: Ha-Joon Chang: „Pulling away the ladder – Development Strategy in Historical Perspective“, Anthem Press 2002.