Die Stimme der Stimmlosen

Von Mandy Fox · · 2013/10

15 Jahre nach dem Ende der Suharto-Ära blüht die Szene alternativer Radios in Indonesien – zum Missfallen der Regierung.

Auf einer 15m hohen Bambusstange vor dem Haus thront eine Antenne, die beim leichtesten Windhauch ausschwenkt wie das Pendel einer Wanduhr. Im ersten Stock steht der Transmitter auf einem Beistelltisch. Die Abdeckung fehlt, in der Elektrik hängen verstaubte Spinnenweben. Neben einem kleinen Mischpult und dem Mikrofon steht ein Bund Kunstblumen. Ungerührt vom Lärm der Mopeds, der von draußen hereindringt, moderiert Ani, auf einer abgewetzten Holzkiste sitzend.

„Wir haben mit dem Radio angefangen, weil die Bauern und Fischer in unserer Region viele Probleme haben. Sie brauchen Informationen darüber, wie sie ihre Ernteerträge steigern können, oder welche Rechte sie bei Landstreitigkeiten haben. Doch dafür interessieren sich weder die nationalen Medien, noch die Regierung“, sagt Ani vom Radiosender Citra Utami FM in Cianjur, einer Stadt in West-Java. Lösungsvorschläge werden bei live übertragenen Dorf-Versammlungen oder mit NGO-MitarbeiterInnen als Studiogästen diskutiert.

„Die Regierung hilft uns nicht, also helfen wir uns selbst“, sagt Dadang, Anis Ehemann. Er ist Elektriker und fing schon in den 1990er Jahren als Hobby-Tüftler mit dem Radiomachen an. „Wir sind immer um Mitternacht auf Sendung gegangen, um der Kontrolle der staatlichen Behörden zu entgehen, denn wir waren, wie viele andere auch, ein illegales Radio“, so Dadang. Mit dem Rücktritt Präsident Suhartos 1998 endeten 33 Jahre autoritärer Herrschaft in Indonesien und damit auch die Kontrolle über alle Medien. Die neuen Freiräume wurden genutzt, binnen kurzer Zeit entstand eine Vielzahl alternativer Medien.

Citra Utami FM ist heute eines von 600 Community Radios in der noch jungen indonesischen Demokratie. Die Reichweite ist begrenzt, das Programm der nicht-kommerziell betriebenen Sender wird von DorfbewohnerInnen ehrenamtlich gestaltet. So vielfältig wie der Inselstaat mit seinen mehr als 300 ethnischen Gruppen, Sprachen und Dialekten ist auch die Community-Radio Landschaft. Je nach Region und Bedarf gibt es spezifische Programme. LehrerInnen geben „on air“ Unterricht, weil Kinder aus Bauernfamilien oft die Schule nicht weiter besuchen können, oder das Medium dient dem Katastrophen-Management.

So wie Radio Lintas Merapi. Unterhalb des Kraters des aktiven Vulkans Merapi in Zentral-Java, wo der Baumgürtel abrupt endet, liegt die Radiostation. Mobiltelefone haben hier keinen Empfang, und wenn nicht gerade ein Hund bellt, ist es totenstill. „Weil im Ernstfall die Rettungsmaßnahmen der Regierung sehr langsam anlaufen, starteten wir vor 13 Jahren unser Radio. Regelmäßig gaben wir Informationen über die Vulkantätigkeit an die umliegenden Dörfer weiter“, sagt Sukiman, der Mitbegründer der Radiostation. Im Laufe der Jahre entwickelten die RadiomacherInnen einen Evakuierungsplan. Bauern und Bäuerinnen, die auf den Feldern arbeiten, tragen nun Walkie-talkies, um verdächtige Aktivitäten am Vulkan sofort an die Radiostation weiterzugeben. „Unser Radio sendet auf einer anderen Frequenz als vorgeschrieben, aber die lokale Rundfunkkommission lässt uns in Ruhe, denn sie wissen genau, das wir mit unserer Radioarbeit das leisten, was eigentlich Aufgabe der Regierung wäre“, so Sukiman.
In entlegenen Gebieten ist das Radio oft die einzige Informationsquelle.

Durch das Rundfunkgesetz aus dem Jahr 2002 können die Community Radios sich registrieren lassen und eine Lizenz erhalten. Das Gesetz wurde von AktivistInnen als großer Erfolg gefeiert. Doch die Ernüchterung kam bald, denn die Hürden für den Lizenzerwerb sind so hoch, dass bis jetzt kein einziges Community Radio eine Lizenz besitzt. Stattdessen bleiben sie in einer Grauzone oder senden weiterhin illegal und sind so jederzeit von der Schließung durch die Polizei bedroht. Meinungspluralismus sowie ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt werden von den Behörden nicht als Potenzial angesehen, sondern als Gefahr für die nationale Ordnung. Unter dem Vorwand, ebendiese zu schützen, kommt es immer wieder zu Machtdemonstrationen durch die Behörden: Equipment wird konfisziert, Papiere gehen während des Registrierungsprozesses plötzlich verloren, oder die Polizei beschuldigt die BetreiberInnen der Community Radios öffentlich des illegalen Glücksspiels, um sie unter Arrest zu stellen und so Druck auf die Radio-Station auszuüben.

Doch die RadiomacherInnen erweitern ihre Strategien, vernetzen sich und helfen sich gegenseitig. „Auf Gesetzesänderungen und Lizenzen zu warten bringt nichts“, sagt Sukiman gelassen. „Es gibt viel Korruption im Regierungsapparat, deshalb ist es besser, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Wenn du eine gute Idee hast, wie du deiner Gemeinde helfen kannst, dann mach es einfach!“ 

Mandy Fox ist freie Journalistin und Radio-Produzentin mit dem Schwerpunkt Myanmar und Indonesien. Mit einem Stipendium zur Förderung des Wissenschafts- und Auslandsjournalismus arbeitet sie derzeit an verschiedenen Stationen in Asien.

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