Die SklavInnen von Shenzhen

Von Brigitte Voykowitsch · · 2013/04

Die Hongkonger Soziologin Pun Ngai beschäftigt sich seit Jahren mit dem Schicksal der WanderarbeiterInnen in China. In ihrem neuen Buch „iSlaves“ widmet sie sich der Ausbeutung und dem Widerstand in Foxconn-Fabriken.

2010 sorgte die sogenannte „Sprungserie“ weltweit für Schlagzeilen. Binnen eines Jahres beschlossen 18 Arbeiterinnen und Arbeiter des Elektronikunternehmens Foxconn in China, mit einem Sprung aus dem Fenster ihrem Leben ein Ende zu setzen. 14 starben, vier überlebten mit teils schweren Verletzungen. Zu den Überlebenden gehört Tian Yu, die seit dem Selbstmordversuch partiell gelähmt ist und ihr weiteres Leben im Rollstuhl verbringen wird. Sie hatte gerade die Schule abgeschlossen und war 17 Jahre alt, als sie von ihrem Dorf nach Shenzhen ging. Die südchinesische Boomtown mit ihren Wolkenkratzern aus Stahl und Glas war ihr vom Fernsehen bestens vertraut. Keine Vorstellung hatte sie dagegen von den Arbeitsbedingungen bei Foxconn, wo sie ihre erste Stelle bekam. Die extrem langen Arbeitstage, die lähmende Routine, die Einsamkeit und das militaristische Fabrikregime überforderten Tian Yu von Anfang an. Als ihr nach dem ersten Monat auch noch die Lohnkarte und damit der Lohn verwehrt wurden, sprang sie in die Tiefe.

Das Schicksal von Tian Yu schildert die Hongkonger Soziologin Pun Ngai in ihrem neuesten Buch „iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken“, das sie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen herausgebracht hat. Pun Ngai, die an der Polytechnischen Universität in Hongkong lehrt, beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit dem Schicksal der Wanderarbeiter und Wanderarbeiterinnen in China. In ihren Büchern „Made in China“, „Dagongmei“ und „Aufbruch der zweiten Generation“ zeichnete sie die Lebensbedingungen, aber auch den Wandel in den Erwartungen der jungen Frauen nach, die in den Fabriken der großen Metropolen Arbeit suchen.

Pun Ngai/ Lu Huilin/ Guo Yuhua/ Shen Yuan:
iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken.
Aus dem Chinesischen von Ralf Ruckau. Mandelbaum 2013.

Nicht nur die Sprungserie veranlasste Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu, Foxconn näher zu untersuchen. Ausschlaggebend waren auch die Größe und die Macht des Unternehmens. Foxconn, eine Tochter des taiwanesisch-chinesischen Elektronik-Konzerns Hon Hai, verstand es von Anfang an, die neuen Möglichkeiten in der Volksrepublik China nach dem Tod von Mao Zedong 1976 zu nutzen. Ende der 1970er Jahre beschloss Chinas neuer starker Mann Deng Xiaoping eine wirtschaftliche Öffnung des Landes. Bereits 1980 wurde in dem an Hongkong grenzenden Shenzhen die erste Sonderwirtschaftszone eröffnet. Binnen weniger Jahre entwickelte sich der Ort von einem Fischerdorf zu einer modernen Industriemetropole. Foxconn eröffnete bald seine ersten Fabriken in Shenzhen, profitierte dann von der wachsenden Zahl von Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern und expandierte rasch in andere Landesteile von China.

Foxconn erzeugt Komponenten für iPads, iPhones, Smartphones, Notebooks und andere technische Geräte für fast alle internationalen Elektronikmarken. Das Unternehmen beschäftigt derzeit allein in China mehr als eine Million Menschen. Wie die meisten internationalen Konzerne bevorzugt auch Foxconn junge Frauen wie Tian Yu. „Doch die große Nachfrage nach Arbeitskräften kann nicht mehr ausschließlich mit jungen Frauen gedeckt werden“, sagt Pun Ngai. „Also werden auch Frauen über 24 und Männer eingestellt. Foxconn schließt darüber hinaus Verträge mit Colleges ab, die dann jedes Jahr tausende Technikstudenten und -studentinnen zu sogenannten Praktika zu Foxconn schicken. Tatsächlich werden die Studierenden am Fließband beschäftigt“, so die Buch-Autorin weiter.

In ihrem Buch „iSlaves“ stellt Pun Ngai zunächst die Geschichte von Foxconn dar. Danach verbindet sie Analyse, persönliche Erfahrungen von Arbeiterinnen und Arbeitern mit Berichten von Arbeitskämpfen zu einem eindringlichen Bild moderner Ausbeutung. Pun Ngai blickt dabei auch über Chinas Grenzen: Denn Foxconn ist nicht mehr nur in der Volksrepublik tätig, auch in Tschechien und Polen hat das Unternehmen inzwischen Fabriken errichtet. Diese werden in zwei Anhängen des Buchs beleuchtet. Nach Ansicht von Pun Ngai ist Foxconn „typisch für heutige Prozesse der Kapitalakkumulation. Das Management hat es verstanden, Lokalregierungen in einen Wettkampf um die Neuansiedlung von Fabriken zu verwickeln. Die Lokalregierungen bieten dem Unternehmen daher große Unterstützung – Grundstücke, die Schaffung von Infrastruktur und Steuervergünstigungen. Worauf keine Lokalregierung achtet, ist die Befolgung der Arbeitsgesetze. Pun Ngai: „Die Lokalregierungen vertreten die Interessen des Kapitals, nicht die Interessen der Menschen. Die Arbeitsbedingungen werden sich erst dann nachhaltig verbessern, wenn es den ArbeiterInnen gelingt, eine starke Bewegung aufzubauen.“

Brigtte Voykowitsch ist freie Journalistin mit Spezialisierung auf Indien. Sie lebt in Wien.

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