Die chinesische Mafia breitet sich ausgehende von Hongkong und Macao im Süden des Mutterlandes aus. In Macao, das im Dezember in die chinesische Volksrepublik einverleibt wird, liefern sich rivalisierende Banden blutige Kämpfe.
Die Anstalt beherbergt 700 Mitglieder der kriminellen Geheimgesellschaften, darunter auch den mutmaßlichen Drachenkopf der 14 K Triade Wan Kuok-koi, bekannter unter dem Namen „Abgebrochener Zahn“. Der Mafia-Pate wurde am vergangenen 1. Mai nach dem Bombenanschlag auf das Auto von Macaos oberstem Mafia-Jäger, Antonio Marques Baptista, verhaftet.
Der Anschlag auf den Gefängnisdirektor ist bereits der vierte versuchte Auftragsmord 1999 in Macao und der sechste Anschlag auf Justizbeamte in letzter Zeit. Seit über zwei Jahren liefern sich die Triaden blutige Machtkämpfe in der portugiesischen Kolonie, die am 20. Dezember mit ihren 450.000 fast ausschließlich chinesischen EinwohnerInnen wie 1997 Hongkong („ein Land – zwei Systeme“) an China zurückgegeben wird.
Das einst verschlafene Macao ist für das organisierte Verbrechen so interessant, weil die Stadt vom Glücksspiel lebt, das sonst in China mit Ausnahme der Pferderennen in Hongkong verboten ist. Macaos neun Spielcasinos, die ein Monopol des Hongkonger Tycoons Stanley Ho sind, erwirtschaften über die Hälfte der Einnahmen der Enklave.
Als Auslöser der Gewalt gelten Kämpfe zwischen den Triaden um die VIP-Räume in den Casinos. Diese Orte mit einem weit höheren Mindesteinsatz wurden an die Triaden „untervermietet“. Sie bieten zahlungskräftigen SpielerInnenn nicht nur alles von Spielchips bis zu Prostituierten, sondern auch Wucherkredite auf Stundenbasis, um das Weiterspielen zu ermöglichen, wenn das eigene Geld verspielt wurde. Auch die Möglichkeit der Geldwäsche macht die VIP-Räume für die Triaden attraktiv. Denn laut Mafiajäger Baptista sind die Triaden in Macao auch bei Schleppergeschäften, beim Waffenschmuggel, der Zuhälterei, dem Kidnapping und allem anderen aktiv, womit Geld zu verdienen ist.
Jahrelang schienen Polizei und Triaden in Macao friedlich zu koexistieren. Doch dann eskalierten die Konflikte unter den Geheimgesellschaften. „Macaos organisiertes Verbrechen degenerierte zum desorganisierten Verbrechen,“ schrieb die „Far Eastern Economic Review“ aus dem benachbarten Hongkong.
Macaos Triaden hatten sich im Immobiliensektor verspekuliert, gleichzeitig drang Konkurrenz aus Hongkong und China in die Kolonie. Die Zahl der Morde verdoppelte sich auf 29 im Jahr 1997. Brutale Exekutionen auf offener Straße sorgten für Schlagzeilen und begannen TouristInnen abzuschrecken. Versuche der Regierung, die Bevölkerung zu beruhigen, halfen wenig. Unbescholtene Bürger bräuchten keine Angst zu haben, sagte Sicherheitsminister Manuel Soares Monge, denn: „Die Triaden sind Profis, die verfehlen niemals ihr Ziel.“
Auch von Peking ermahnt, sah sich die Kolonialregierung gezwungen, gegen die Triaden vorzugehen. Damit gerieten Polizei und Justiz ins Schußfeld. Kurz vor der Rückkehr nach Europa wollen nur noch wenige portugiesische Polizisten ihr Leben in Macao riskieren, während ihre chinesischen Kollegen wissen, daß es für sie in der kleinen Stadt kein Entrinnen gibt.
Während 14 K allein in Macao laut Triaden-Jäger Baptista über 10.000 Mitglieder zählt (in Hongkong sollen ihr weitere 20.000 angehören), hat Macao nur 4.500 Polizei- und Justizbeamte, von denen manche obendrein auch für die Triaden arbeiten.
Um im Zentralgefängnis die Sicherheitsmaßnahmen verschärfen zu können, mußte Lissabon im Oktober eigens neun Gefängniswärter aus Portugal einfliegen, die als unkorrumpierbar galten. Am 14. Dezember des Vorjahres wurden sie Ziel eines Anschlags. Ein Beamter starb, ein weiterer wurde schwer verletzt.
China hat inzwischen seine Truppen zwischen Macao und dem angrenzenden Zhuhai verstärkt und angekündigt, nach der Rücknahme der Kolonie dort auch Soldaten stationieren zu wollen. Dabei bekommt die Volksrepublik den schwunghaften Schmuggel über die Grenze nicht unter Kontrolle – geschweige denn die Triaden.
Diese waren ursprünglich Geheimgesellschaften, banghui genannt, die als bäuerliche Oppositionsbewegung bis in die Zeit der Han-Dynastie (206 vor bis 220 nach Christus) zurückreichen. Der Legende nach gründeten im 17. Jahrhundert fünf Mönche des Shaolin-Klosters eine Geheimgesellschaft, um die mandschurische Qing-Dynastie zu stürzen. Aus einer ihrer fünf Logen entstand dann in Südchina die „Vereinigung der drei Harmonien“ (Triade), die für die Briten zum Inbegriff der Geheimgesellschaften wurde. Diese zeichneten sich durch feste Initiationsriten und ein ausgeklügeltes System von Geheimcodes aus.Mit den wachsenden sozialen Spannungen Ende des 19. Jahrhunderts erlebten die Geheimgesellschaften einen Boom und bildeten den Nährboden für Oppositionsbewegungen, obwohl sie damals schon kriminelle Aktivitäten entfalteten.
Sun Yat-sen, der Gründer der ersten chinesischen Republik, war Mitglied meherer Geheimgesellschaften, von denen die „Roten Brüder“ bei den Vorbereitungen der Revolution 1911 eine wichtige Rolle spielten. Auch Chiang Kai-shek und Mao Zedong gehörten Triaden an. 1927 ließ Chiang Kai-shek in Shanghai Hunderte KommunistInnen durch die „Grüne Bande“ ermorden.
Im Bürgerkrieg standen die Triaden auf der Seite der Nationalisten und flohen nach dem Sieg der Revolution 1949 nach Taiwan, Hongkong und in die Ballungszentren der Überseechinesen.
In Hongkong gibt es heute etwa 50 Triaden, deren größte die Sun Yee On (Neuer ehrlicher Friede) mit 30.000 Mitgliedern ist. Die Triaden kontrollieren als loses Netzwerk von Banden die Filmindustrie, Karoke-Bars und Nachtclubs, betreiben Markenpiraterie, Drogen- und Menschenschmuggel, Kreditkartenbetrug sowie Immobilien- und Investmentgeschäfte.
In den letzten 20 Jahren der britischen Herrschaft konnten ihre Aktivitäten in Hongkong begrenzt werden. Mit Chinas Öffnung und Wirtschaftsreformen kehrten die Triaden in die Volksrepublik zurück, wo sie heute heishehui (schwarze Gesellschaften) genannt werden.
Sie erleben vor allem in der an Hongkong und Macao angrenzenden südlichen Provinz Guangdong eine Renaissance. Daürberhinaus unterhalten sie in vielen großen Städten Filialen.
Sie stehlen für Auftrageber in China Luxusautos in Hongkong, kontrollieren in der Sonderwirtschaftszone Shenzhen die Nachtclubs, exportieren Heroin aus dem Goldenen Dreick über China und Hongkong in alle Welt und schmuggeln Waffen von Vietnam nach China. 1989 und 1999 wurden nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung über 100 DissidentInnen mit Hilfe der Triaden nach Hongkong in Sicherheit gebracht.
Deng Xiaoping hatte 1984 die Triaden als patriotisch bezeichnet und ihnen per Emissär ausrichten lassen, daß sie in Hongkong von China nicht behelligt würden, wenn sie die Kolonie vor der Rückgabe nicht destabilisierten.
In Chinas Städten versorgen heute die Zuwanderung und die Arbeitslosigkeit die Triaden mit Nachschub. Das organisierte Verbrechen wird durch die Korruption führender Kader und der Sicherheitskräfte erleichtert. So soll am Top Ten Nachtclub in Peking nicht nur der Sohn eines Hongkonger Triadenbosses, sondern auch der Chef des Büros für öffentliche Sicherheit beteiligt sein. In Shanghai betreiben Firmen der Volksbefreiungsarmee mit der Son Yee On Triade Nachtclubs.
Im vergangenen September ließen Chinas Behörden im Sportstadium von Shenzhen 30 Angehörige von Triaden vor 20.000 ZuschauerInnen öffentlich hinrichten. Dies galt als Zeichen an die Triaden in Hongkong und Macao, daß ihre Aktivitäten in der Volksrepublik nicht geduldet würden. Doch zugleich wurde betont, daß dies eine Aktion einer eigens von Peking eingesetzten Sonderkommission sei.
Offensichtlich vertraut Pekings Führung im Kampf gegen die Mafia den Kadern im Süden selbst nicht. Angesichts der Hilflosigkeit der Portugiesen gegenüber den Triaden in Macao hoffen dort nicht wenige, daß Peking nach der Rückgabe im Dezember in der Ex- Kolonie hart gegen diese Mafia vorgeht. Doch Peking hat nicht nur auf die Todesstrafe in Macao vertraglich verzichtet, sie vermag in China selbst das Wachsen der Kriminalität nicht zu verhindern. Angesichts der Ausbreitung der Triaden in China kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich heute in Macao das im Kleinen abspielt, was in China bald im Großen droht.
Der Autor ist Asienredakteur der Berliner „tageszeitung“ und bereiste kürzlich Macao.
Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!
Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.
Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.
Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!
Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.