Das indonesische Inselreich gleicht einem Pulverfass, in dem immer wieder neue Brandherde aufbrechen. Wie die Zukunft des Landes aussehen wird, hängt ganz entscheidend von einer der mächtigsten Institutionen ab, dem Militär. Die Putschgerüchte wollen nich
Tausende Menschen kamen in religiös oder ethnisch motivierten Unruhen oder bei Kämpfen zwischen Militärs und separatistischen Gruppen gewaltsam zu Tode. Hunderttausende wurden zu Flüchtlingen. Kirchen und Moscheen wurden zerstört, ungezählte Häuser gingen in Flammen auf. Und auch die Millenniumswende brachte keine Aussicht auf Lösung eines der zahlreichen Konflikte, ob auf den Molukken oder in der Provinz Aceh, die auf ein Referendum über Unabhängigkeit drängt.
„Wir können sagen, dass der Versuch, hier in den vergangenen 55 Jahren eine Nation aufzubauen, zurück beim Punkt Null ist“, zog der aus Deutschland gebürtige Frans Magnis-Suseno, Rektor der jesuitischen Philosophiehochschule in Jakarta, jüngst eine ernüchternde Bilanz. Andere Kommentatoren wollten noch nicht so weit gehen, Indonesien zu einem möglicherweise gescheiterten Staat zu erklären. Von einem „erratischen Land im Übergang“ schrieb der Kultur- und Gesellschaftskritiker Mochtar Buchori kürzlich in der „Jakarta Post“. Verwirrend und widersprüchlich sei die Entwicklung Indonesiens seit dem Rücktritt von Langzeitdiktator Suharto im Mai 1998 und dem damit eingeleiteten politischen Reformprozess (reformasi) gewesen. Kaum jemand, am allerwenigsten die politische Elite, hätte die geringste Vorstellung davon, „was das Ergebnis dieser Übergangsphase sein könnte“, betont Buchori und hält dennoch fest: Es gibt Hoffnung, es gibt noch „eine Zukunft für Indonesien, als Land wie auch als Nation“.
Wie diese Zukunft aussehen wird, hängt ganz entscheidend von einer der seit der Unabhängigkeitserklärung 1945 mächtigsten Institutionen des Landes ab – dem Militär. Noch sind 38 (gegenüber früheren 75) Parlamentssitze für die Armee reserviert und ist diese Armee weder bereit zum Rückzug aus der Politik, noch zum Verzicht auf ihre fest verankerte Doppelfunktion (dwifungsi) und die Beschränkung auf ausschließlich militärische Aufgaben.
Seit Jahresbeginn wollten vielmehr Gerüchte über einen drohenden Militärputsch nicht mehr verstummen. Staatspräsident Abdurrahman Wahid wimmelte zwar ab und sprach von lediglich einigen wenigen Feiglingen in der Armee. Selbst einige hohe Militärangehörige verliehen ihrer Empörung Ausdruck und wiesen derartige „Unterstellungen“ zurück: Solch niederträchtige Vorgangsweise entspreche nicht dem Ethos der Streitkräfte .
Einige Kommentatoren und führende Politiker wie der Parlamentsvorsitzende Amien Rais meinten, dass das Militär wegen seines Assoziiertwerdens mit Suharto und seiner Geschichte der Repression gegen das eigene Volk derart diskreditiert sei, dass es für den Fall eines Coups mit einem Massenaufstand rechnen müsste.
Das Unbehagen aber blieb bestehen. Wahid mochte beschwichtigen. Doch von ihm vorgenommene Umbesetzungen an der Armeespitze deuteten ebenso auf einen Machtkampf hin wie die Weigerung von Ex-Armeechef General Wiranto, der Rücktrittsaufforderung von Wahid Folge zu leisten. Wiranto, seit vorigem Oktober Minister für die Koordinierung von Sicherheitsfragen in der Regierung Wahid, wurde von einer indonesischen Untersuchungskommission als einer der Hauptverantwortlichen für die Gräuel nach dem Unabhängigkeitsreferendum in Osttimor genannt. Doch der General bestritt jede Schuld.
Weiter genährt wurde das Unbehagen durch hartnäckige Vermutungen, dass hinter den Unruhen auf den Molukken und auf Lombok Provokateure aus den Rängen des Militärs und aus den Kreisen um Suharto stünden, den sogenannten „Kräften des Status quo“.
Fest steht in jedem Fall, dass das Ursachengeflecht für die massive Gewalt im Inselarchipel komplex ist. „Sara“ lautete unter Suharto das Kürzel für die Themen, die tot geschwiegen werden mussten, und dazu gehörte jede Art von Differenz (die hier als Unterschied wie als Auseinandersetzung zu interpretieren ist), ob ethnischer, religiöser, kultureller oder sonstiger Natur.
Vier Jahrhunderte etwa geht der Konflikt zwischen Christen und Muslimen auf den Molukken zurück. Eine bewusste Christianisierung und koloniale Bevorzugung der Christen schufen hier eine Kluft, die nach Ansicht von Politologen sofort nach der Unabhängigkeit Indonesiens durch eine bewusste Versöhnungspolitik hätte geschlossen werden müssen. Doch die Annäherung fand nie statt.
Zum Verschweigen – oder der gewaltsamen Unterdrückung – von Konflikten kamen die vom Regime gezielt betriebene Depolitisierung, die vielen Enteignungen ohne adäquate Entschädigung, die Zwangsumsiedlungen und im Zuge der 1997 ausgebrochenen Asienkrise schließlich eine neue Armut und Arbeitslosigkeit. In Summe ergab das ein hochexplosives Gemisch, in dem ein kleiner Unfall, wo die Betroffenen zwei verschiedenen Ethnien oder Religionsgruppen angehören, einen lokalen Krieg auslösen kann. Wenn dann wie auf den Molukken mehr Muslime umkommen als Christen, ergibt das eine Belagerungsmentalität seitens der Bevölkerungsmehrheit – die Muslime stellen mehr als 90 Prozent der 210 Millionen IndonesierInnen. Da erklingt dann schnell der Ruf nach einem Jihad (Heiligen Krieg), in den auch so mancher muslimische Kleriker einstimmt. Was Wunder, dass da bisweilen von einem kollektiven Amoklauf die Rede ist.
Den zu stoppen, waren Präsident Wahid und Vizepräsidentin Megawati zunächst nicht in der Lage. Megawati, die von Wahid ausdrücklich mit der Verantwortung für die Beilegung der Krise auf den Molukken betraut wurde, musste sich allerorts schärfste Kritik wegen ihrer Abgehobenheit gefallen lassen. Als zu Jahresende auf der Insel Ambon die Gewalt wieder einen besonders hohen Zoll forderte, genehmigte sich Megawati einen Auslandsurlaub.
Auch der Präsident hat mit seinen zahlreichen, aber immerhin offiziellen Reisen Anstoß erregt. Erkennt er das Ausmaß der Gefahr nicht, wurde oft sorgenvoll gefragt. Wahid, geschätzt als – möglicherweise einzige – moderate Integrationsfigur und Verfechter einer klaren Trennung von Staat und Religion, liebt Scherze, aber gehen die nicht oft zu weit, sollte er nicht lieber konkrete Maßnahmen setzen?
Gus Dur, wie Wahid im Volk genannt wird, und seine Regierung sind unfähig, die Konflikte im Land zu lösen: Das könnte eine nationale Katastrophe hervorrufen, resumierte unerbittlich der frühere Rektor der angesehenen Universität von Indonesien, Sarbini Somawinta, bei einem Seminar in Jakarta.
Das Fehlen einer Opposition wurde beim Seminar als ein zentraler Mangel der wackligen indonesischen Demokratie hervorgehoben. Gus Dur hatte nach seiner Wahl im Oktober eine Regierung der nationalen Einheit gebildet. Doch „eine Opposition ist ein Muss“, betonte der muslimische Intellektuelle Nurcholish Madjid, „eine Opposition, die sich nicht als destruktive Kraft versteht und es auf den Sturz der Regierung anlegt.“
Das aber muss, wie so manches andere, erst gelernt sein. Vieles hat sich geändert seit dem Ende der Ära Suharto. Die rechtlichen Voraussetzungen für demokratische Wahlen wurden geschaffen und der Urnengang abgehalten, politische Häftlinge kamen frei, diskriminierende Gesetze gegen die kleine, ökonomisch aber potente chinesische Minderheit wurden aufgehoben, eine freie Presse zugelassen und ein neues Gesetz verabschiedet, demzufolge mehr Geld in jene Regionen zurückfließen soll, aus denen das Gros der Rohstoffe kommt.
Doch vieles bleibt weiter tabu, etwa eine seriöse Debatte über Dezentralisierung. Noch wird von maßgeblichen Personen mehr Macht für die Regionen mit Desintegration gleich gesetzt. „Wir müssen erst lernen, mit Differenzen zu leben, und erkennen, dass Vielfalt kein Widerspruch zu staatlicher Einheit sein muss“, sagt Magnis-Suseno. Nur wenn es gelingt, eine pluralistische Demokratie zu errichten, sagt Gesellschaftskritiker Buchori, wird Indonesien Bestand haben. Gelingt dies nicht, „ist uns der Abstieg sicher. Chaos wird sich ausbreiten“.
Watch Indonesia aus Berlin: http://www.snafu.de/~watchin.
Die Autorin ist Auslandsredakteurin bei der Tageszeitung
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