Die (Ohn)Macht der Reisenden

Von Martina Backes · · 2002/11

Eine Vielzahl von Initiativen arbeitet für einen nachhaltigen Tourismus. Wichtig ist es, dabei die oft kontraproduktiven globalen Rahmenbedingungen nicht aus den Augen zu verlieren, meint Martina Backes.

Seitdem der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger die nunmehr über 40-jährige Kritiktradition am Tourismus einleitete, sind viele Einsichten gewonnen worden. Insbesondere ist die ausweglose Devise „Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet“ (Enzensberger) mittlerweile einem Konzept gewichen, das auf eine „Reisen-für-eine-bessere-Welt“-Mentalität setzt. Offensichtlich erfuhr die Rolle der TouristInnen eine Umbewertung: Von der frühen tourismuskritischen Sicht zu unbegrenzt manipulierbaren Objekten der Tourismusindustrie reduziert, stilisieren umwelt- und entwicklungspolitisch engagierte Kreise die Reisenden nun gerne zur „Kraft, die das Reisegeschehen grundlegend umgestalten könnte“ (Jost Krippendorf, 1987). Wie kam es dazu, und wie sind die Ansätze für einen besseren Tourismus zu bewerten?
Animiert von Jost Krippendorfs Beitrag „Die Landschaftsfresser“ und mit der Frage von Robert Jungk „Wie viele Touristen pro Hektar Strand?“ (1980) gewann das aus der Ökologie stammende Konzept begrenzter Tragfähigkeit auch im Tourismus Anerkennung. Die Forderung, über eine Besteuerung von Kerosin den Flugverkehr zu verteuern, Pläne zur „BesucherInnenlenkung“ in Naturgebieten oder umweltpolitische Auflagen wie Kläranlagen für Tourismusvorhaben sind erste Ergebnisse dieser Debatte.

Die Initiative „Tourismus mit Einsicht“, zu der sich in den 1980er Jahren eine Reihe umwelt- und entwicklungspolitisch engagierter Organisationen zusammenfand, formulierte schon früh einen Wertekodex, der Reisende und Reiseanbieter zu Rücksichtnahme gegenüber Kultur und Natur aufforderte. Die Entdeckung der Mitverantwortung der TouristInnen eröffnete neue Handlungsperspektiven. Nicht die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die das „massenhafte Reisen“ hervorbringen, sondern die individuelle (Ab)Wahl von besseren und schlechteren Reiseangeboten galt es zu organisieren. Ein wachsendes Know-how von kritischen TourismusexpertInnen und das gestiegene Umweltbewusstsein der KonsumentInnen wurde in Gütesiegeln gebündelt. Dies zeigt sich am wachsenden Angebot an grünen Koffern, blauen Flaggen und anderen Labels. Dahinter steht die Einsicht, dass sich mit den Katastrophenszenarien die positiven Erlebnisse der Reisenden nicht wegtheoretisieren ließen. Das Thema Reisen und Umwelt galt es, „aus der Müsliecke herauszuholen und in ein schickes, fetziges Produkt umzuwandeln“. Die Urlauber müssten es „attraktiv finden, die Umwelt im Urlaubsgebiet schonend zu behandeln“ (Dietlind von Lassberg 1997).

Im Laufe der 1990er Jahre wurde verstärkt auf die globalen Rahmenbedingungen und ihre schädliche Wirkung auf nachhaltigen Tourismus hingewiesen. Die tourismuspolitischen Vorgaben, die für Umweltentlastung und soziale Gerechtigkeit oder Arbeitsschutz stehen, kommen allerdings nur schleppend voran. Zumindest arbeiten die auf Liberalisierung und Marktöffnung ausgerichteten Verpflichtungen, die im Tourismussektor von der Welthandelsorganisation vorgegeben werden, ständig gegen eine Ausgestaltung des Tourismus, wie sie beispielsweise von der „Kommission für nachhaltige Entwicklung“ der UNO vereinbart wurde. Der strukturelle Rahmen ist bis heute nicht im Sinne einer nachhaltigen Tourismusentwicklung gestaltet worden.
Dem gegenüber bieten die praktischen Ansätze eine breite Palette, neben Labels und Gütesiegeln Wettbewerbe und Tourismus-Preise, Ökosteuer und Qualitätsmanagement, verbesserte Ausbildung, Selbstverpflichtungen und Ethikkodizes. Auch von vorsorgenden Prüfungen der Umwelt- und Sozialverträglichkeit ist viel die Rede; Bewusstseinsbildung und Informationsarbeit hofft auf Verhaltensänderung durch Einsicht; integrierende Regionalplanung berücksichtigt den verflochtenen Charakter des Tourismussektors mit Verkehr, Beschäftigung, Naturschutz und Landschaftspflege, Energie- und Landwirtschaft.
Ein Statement für oder gegen den Sinn oder die Wirkung einzelner Instrumente würde kaum einer Überprüfung standhalten. Schließlich ist die erstaunliche Vielfalt an Initiativen ja gerade Resultat der Vielfalt an Problemen, die der Tourismus verursacht. Zudem spiegeln sich in der existierenden Palette von Ansätzen auch Interessengegensätze oder unterschiedliche Prioritäten wider. Nicht jedes Instrument kann Naturerhalt, Gerechtigkeit und lokale Einkommensmöglichkeiten gleichermaßen garantieren.

Ein Instrumentenmix mag Synergien freisetzen, kann aber ebenso lähmende Folgen haben. Welche konkreten Instrumente aus den vier Bereichen Vorsorge, kooperative Strategien, (finanzielle) Anreize, regulative Eingriffe und Informationsarbeit jeweils kombinierbar und angemessen sind, lässt sich kaum generalisieren. Ein bislang wenig realisierter Aspekt ist die vorinformierte und aktive Mitsprache auch der einheimischen Bevölkerung am touristischen Planungs- und Umsetzungsprozess als eigentlich unverzichtbares Element nachhaltiger Entwicklung.
Während die frühen KritikerInnen die individuellen Handlungsspielräume der Reisenden unterschätzten, verkennt die „Anders-reisen-ist-besser-reisen“-Philosophie, dass die beschworene „Macht der KonsumentInnen“ durchaus Grenzen hat. Auch der gute Wille vieler kleiner Anbieter, die mit Mühe ökologisch verträgliche und sozialverantwortliche Kriterien berücksichtigen, hält oft der wirtschaftlichen Realität nicht stand. Wenn zunehmend offene Märkte das Konkurrenzgerangel unter den Anbietern verschärfen, gestalten diejenigen den Tourismus, die über Sozialdumping und Ressourcenverschleiß Vorteile erwirtschaften. Sicher ist das Motto, sich aufs Machbare zu konzentrieren und mit guten Beispielen (best practice) voranzugehen, verlockend und zeugt von Engagement. Doch sollte bei allem guten Willen das Wünschenswerte nicht auf Kosten des Machbaren aus dem Blick geraten. Auch deshalb ist eine Kritik an den aktuellen strukturpolitischen Rahmenbedingungen des Tourismus für die lokalen Initiativen und pragmatischen Ansätze letztlich nicht verzichtbar.

Martina Backes ist Biologin und Mitarbeiterin von FernWeh – Forum Tourismus und Kritik im informationszentrum dritte welt (iz3w) in Freiburg i.Br.

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