DIE MACHT DER WERBUNG

Von Dinyar Godrej · · 2006/11

Werbung lügt, manipuliert und dringt auch gegen unseren Willen in unser Unbewusstes ein. Es scheint fast unmöglich, sich ihrem Einfluss zu entziehen, kritisiert New-Internationalist-Autor Dinyar Godrej.

Werbung hat etwas von einem notorischen Lügner an sich. In ihren Anfängen war das jedenfalls ziemlich offensichtlich: Der Getränkeriese Dewar’s behauptete in den 1930er Jahren, sein Scotch Whiskey schütze vor Erkältungen und Grippe; Zigarettenhersteller lobten ihr Produkt als Mittel gegen raue Kehlen und Asthma. Einiges von der Sorte gibt es auch heute noch. In zahlreichen Entwicklungsländern werden wirkungslose Wundermittel beworben. Im mexikanischen Fernsehen etwa werden der Bevölkerung, die Hälfte davon übergewichtig, jeden Tag Produkte angepriesen, die den Bauchumfang angeblich binnen zwei Stunden um zehn Zentimeter verringern.
Heute werden viele der offensichtlich betrügerischen Behauptungen von der Werberegulierung unterbunden. Stattdessen hat sich die Werbung auf ein Terrain begeben, das als „seelischer Betrug“ bezeichnet werden könnte. Denn mit der Einführung eines neuen Produkts oder der Beschreibung der Vorzüge eines existierenden hat sie nur wenig zu tun, dafür aber um so mehr mit Bildern, Träumen und Gefühlen. Wir sind evolutionär programmiert, uns davon beeindrucken zu lassen. Nur dass sie – fast ausnahmslos im Werbegeschäft – bloß vorgetäuscht werden.
In einer Werbekampagne für Sprite (eine Marke von Coca-Cola) hieß es etwa: „Image ist nichts, Durst ist alles.“ Während damit zwar bestätigt wurde, dass Misstrauen berechtigt ist, wurde gleichzeitig ein Image der Ehrlichkeit und Objektivität aufgebaut; Profi-Basketballer wurden eingesetzt, um das Produkt zu bewerben. Sprite kletterte in der Rangordnung der Erfrischungsgetränke sprunghaft nach oben; die Kassen klingelten. Das Image war alles, obwohl es sich als sein Gegenteil ausgab.

Werbung muss sich vom visuellen Chaos – für das sie hauptverantwortlich ist – abheben, ins Auge springen. Sie muss Assoziationen auslösen, die unsere Aufmerksamkeit fesseln. Endlose Wiederholungen in verschiedensten Medien sollen eine griffige Assoziationswolke aufbauen. „Im Kontext des Großteils der Werbung, vor allem in passiv konsumierten Medien wie Fernsehen und Kino, wird nebenbei gelernt, nicht absichtlich“, erläutert ein Branchenexperte. „Deshalb sagen Menschen, die Werbung würde sie nicht beeinflussen. Sie versuchen nicht, sich etwas von der Erfahrung zu bewahren, und werden daher im Moment nicht beeinflusst; aber die Auswirkungen werden später ersichtlich, lange nachdem eine bestimmte visuelle Erfahrung bereits vergessen wurde.“ (1)
Ein Gutteil der Bemühungen zielt darauf ab, gleichsam Bohrlöcher in den gewaltigen Eisberg des Unbewussten zu treiben. Etwa durch „Neuromarketing“. NeurologInnen und PsychiaterInnen durchstöbern das Gehirn nach dem Druckknopf für „Kaufen“, indem sie Versuchspersonen in Scanner stecken, mit Begriffen und Bildern konfrontieren und die Reaktionen beobachten. Bei einem Blind-Vergleichstest von Pepsi und Coca Cola etwa schnitt Pepsi weit besser ab, was die Reaktion im ventralen Putamen betraf, dem Teil des Gehirns, der mit Belohnungsgefühlen assoziiert ist; die meisten fanden also, dass Pepsi besser schmeckt. Sagte man den Versuchspersonen aber vor dem Test, welches Getränk Coke war, leuchtete auch ihr medialer präfrontaler Kortex auf, ein Bereich des Gehirns, dem die Steuerung kognitiver Prozesse zugeschrieben wird. Die meisten sagten nun, sie würden Coke bevorzugen. Allein der Name hatte also Erinnerungen und andere mit dem Getränk verbundene Eindrücke aktiviert, die das Geschmackserleben beeinflussten. (2)

Ein Trost ist, dass all diese zweifelhaften Bemühungen ebensogut scheitern wie erfolgreich sein können. Wenn eine Werbung ein Produkt mit dem Gefühl eines Siegestors in einem Football-Match oder den Tränen und Triumphen eines Popstars verknüpfen kann, dann wird sie ziemlich wahrscheinlich funktionieren. Der Rest ist vor allem Versuch und Irrtum. Fokusgruppen, die zum Test von Werbespots gebildet werden, sind notorisch unzuverlässig, da sie beeinflussbar sind und von Personen dominiert sein können, die gern das große Wort führen.
Na und? Könnte man meinen. Was ist schon dabei, wenn ein Haufen Geld (siehe Kasten Seite 30) ausgegeben wird, um den üblichen Schrott zu verkaufen? Man kann selbst ja trotzdem eine informierte Kaufentscheidung treffen. Naja, vielleicht … Aber was, wenn all das die Kultur, der man angehört, völlig durchdringt und sie verändert? In der Massenwerbung geht es ja darum, Marken, hinter denen das meiste Geld steht, in die Spitzenpositionen zu bringen. Kleinere Unternehmen mit geringerem Werbebudget überleben nicht immer. Schlimmer noch, große Konzerne wenden jeden denkbaren Trick an, um unsere Medien zu kontrollieren. Ein Großteil der konventionellen Medien existiert nur, um Anzeigenkunden ein Publikum zu verkaufen. Wer bloß Zeitungen verkauft, macht keinen Gewinn. Es kommt auf die Anzeigeneinnahmen an; das ist ihr Lebenselixier. Jugendmagazine, vor allem die für Mädchen, sind kaum mehr als Produktkataloge.
Eine Agentur, die Coca Cola vertritt, teilte Magazinen Folgendes mit: „Wir glauben, dass positive und optimistische redaktionelle Inhalte ein geeignetes Umfeld für die Kommunikation der Markenbotschaft darstellen (…) [Wir] verlangen, dass unsere Anzeigen nicht neben Artikel platziert werden, die sich mit den folgenden Themen befassen: aktuelle Nachrichten; Themen, die mit Sex zu tun haben; Medikamente und/oder illegale Drogen; Medizin (z.B. chronische Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Aids etc.); Gesundheit (z.B. geistige oder physische Beschwerden); negative Informationen über Ernährungsgewohnheiten (z.B. Bulimie, Magersucht, raschen Gewichtsverlust); Lebensmittel; Politik; Umweltfragen; Artikel mit vulgären Ausdrücken; Religion.“ (3) Viel Chancen, etwa die Einschüchterung von Coca-Cola-GewerkschafterInnen in Kolumbien oder den Vorwurf der Wasserverschmutzung in Indien zu erwähnen, gibt es also nicht (mehr dazu unter www.killercoke.org).

Wer noch immer geglaubt haben sollte, auf CNN „Nachrichten“ zu sehen, möge sich zu Gemüte führen, was CNN-Moderator Jack Cafferty in einer Live-Diskussion erklärte: „Wir existieren nicht als öffentliche Dienstleistung. Wir sind da, um Geld zu verdienen. Wir verkaufen Werbezeiten, und wir tun das unter der Voraussetzung, dass Menschen zusehen werden. Wenn man zu einem Zeitpunkt, zu dem alle über die Bergarbeiter berichten, nichts über die Bergarbeiter bringt, weil man eine Geschichte über eine Schuldenkrise in Brasilien machen will, dann ruft Citibank an und sagt: ‚Wissen Sie was, wir verlängern unseren Werbevertrag nicht.‘ Ich will sagen, es ist ein Geschäft.“ (4) In den USA, so das Ergebnis einer Studie, stammten 40 Prozent der „Nachrichten“ einer typischen Zeitung von PR-Unternehmen.
Subtiler ist der Kulturwandel in den Medien – leicht verdauliche, unpolitische Fernsehprogramme, die eine „Kaufstimmung“ fördern; Magazine, voll gestopft mit kleinen, sofortigen „Belohnungen“; seriöse Zeitungen, die ohne offensichtlichen Grund lange Reise- und Modeteile bringen. Glück und Zufriedenheit allerorten, einfach unerträglich.
Was ich ebenfalls nicht mehr aushalte, ist das enorme Ausmaß der Werbung. Dieses Gefühl des Überdrusses kennen die Werbeleute nur zu gut. Sie reagierten mit Marketingstrategien, die weniger auf traditionelle Werbung setzen, aber tiefer denn je in unser Leben eindringen. Das Ergebnis: Alles wird zu einer Marke, hat ein Logo oder wird gesponsert. Supermarktketten, die BäuerInnen über den Tisch ziehen, finanzieren Kinderspielplätze und Computer für Schulen, Kinder werden dazu verwendet, Werbegeschenke an andere Kinder zu verteilen und sie zu überzeugen („Peer-Marketing“). Demonstrative Wohltätigkeit überall, um der Marke ein besseres Image zu verpassen – McDonald’s etwa bietet Unterkünfte für Familien mit kranken Kindern. Product Placements schleichen sich in Filme, Fernsehshows, Computerspiele und sogar Romane. Unsere E-Mail-Adressen und Mobiltelefone werden bombardiert. Die meisten Websites würden zusammenbrechen, hätten sie keine Anzeigeneinnahmen.

Mit der Flut kommt auch die Vermeidung. Undankbare GesellInnen, die wir sind, versuchen wir, soviel davon abzublocken wie möglich. Die Fernsehwerbung ist in der Krise. Da traditionelle Werbung immer ineffektiver wird, kommen Unternehmen auf immer schrägere Ideen. Das Bekleidungsunternehmen Diesel zahlte teures Geld für eine Kampagne, in der Modewerbung mit Szenen des Elends in Nordkorea kontrastiert wurde; Benetton setzte das Bild eines an Aids sterbenden Mannes ein, um seine Klamotten zu bewerben.
Werbeguru Lord Saatchi meint, was die heutigen Jugendlichen kennzeichne, sei „anhaltende partielle Aufmerksamkeit“ – eine Hirnaktivität, die alles Mögliche gleichzeitig durchsiebt, aber nur wenig davon speichert. Er rät Unternehmen, sich die Rechte an einzelnen Wörtern („one-word equity“) zu sichern, um sich dieser verkürzten Aufmerksamkeitsspanne anzupassen – wie wär’s mit Sein®, Leben®, Kaufen®?
Diese neuartige Benommenheit ist auch Gegenstand der philosophischen Spekulationen Maurice Lévys, Chef des Werberiesen Publicis: „Konsumenten wollen nicht nur erstaunlich vielfältige Wahlmöglichkeiten. Sie wollen, dass sich diese Wahlmöglichkeiten in immer kürzeren Intervallen ändern. Das ist der Grund, warum wir unser Verständnis von Zeit neu definieren müssen. Wir müssen uns nicht nur mit Veränderung auseinandersetzen, sondern mit einer Beschleunigung der Veränderung selbst. Nicht nur mit Transformationen, sondern mit der Transformation von Transformationen: Es wird eine echte Herausforderung sein, aus Unbeständigkeit [Marken-]Treue zu machen.“ (4)
Dass gerade seine Arbeit darauf hinausläuft, diese Unbeständigkeit zu erzeugen, kommt ihm nicht in den Sinn. Ob Essstörungen, Zwangsneurosen oder Aufmerksamkeitsstörungen, überall spielt die Werbung eine Rolle. Im Süden ist die Dampfwalze der großen Marken dabei, verwestlichte Kulturen zu erschaffen, deren Zielvorstellungen oft in Widerspruch zu jenen der lokalen Kultur stehen.
Wenn wir unsere Identität vom Konsumdenken befreien wollen, besteht unsere stärkste Waffe darin, Phantasie und Realität zu unterscheiden. Wieviel sagt uns eine Werbung tatsächlich über das Produkt, inwieweit geht es bloß um das Image? Marken wollen, dass man sich mit ihnen identifiziert, sie zu einem Teil seines Lebens macht – dieses Vorrecht sollte man ihnen verweigern.

Copyright New Internationalist


1) Erik du Plessis, The Advertised Mind, Kogan Page, London 2005
2) Clive Thompson, „There’s a sucker born in every medial prefrontal cortex“, in The New York Times, 26. Oktober 2003
3) James Ledbetter, „New Coke Order“, 14. April 1998, www.fair.org/index.php?page=2731
4) http://archives.cnn.com/TRANSCRIPTS/0208/05/ltm.13.html

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