Die Macht der Geschichte

Von Brigitte Schneebeli · · 1999/10

Das vom indonesischen Militär geplante und unterstützte Massaker in Osttimor läßt berechtigte Zweifel am Demokratieverständnis der Suharto-Nachfolger aufkommen. Einer, der von Anfang an skeptisch war, ist der Autor Pramoedya Ananta Toer.

Erstmals seit fast 50 Jahren konnte der bekannte indonesische Autor Pramoedya Ananta Toer (oe wird als u gesprochen) wieder ins Ausland reisen. Seine Tournee durch Amerika, Kanada und Europa bedeutet für ihn einen persönlichen Sieg über das Suharto-Regime, das ihn 14 Jahre ohne Prozeß gefangen hielt und alle seine Bücher verbot. Dennoch, Pramoedya bleibt äußerst skeptisch, was den politischen Neubeginn in Indonesien betrifft.

Tief in seinem Herzen hatte sich Pramoedya auf der Gefangeneninsel Buru geschworen: „Ich will den Fall dieses Regimes erleben.“ Pram, wie er genannt wird, wurde 1965 kurz nach der Machtübernahme durch Suharto inhaftiert und später zusammen mit 12 000 anderen politischen Gefangenen auf die Molukkeninsel Buru in Arbeitslager verbannt. Seit seiner Entlassung 1979 lebt er wieder in Jakarta, erst unter Haus- und bis vor kurzem unter Stadtarrest. Alle seine Bücher sind in Indonesien bis heute verboten. Dennoch ist der 74jährige in seiner Heimat der meistgelesene Autor.

Als zu seinem 70. Geburtstag seine Memoiren über die Zeit auf der Insel Buru erschienen, dauerte es lediglich zehn Tage, bis die Staatsanwaltschaft einschritt. Die englische Übersetzung unter dem Titel „The Mute’s Soliloquy“ (Gesänge eines Stummen) ist vor kurzem in Amerika erschienen und wurde zum Anlaß für Prams Auslandstournee, die ihn in Europa durch Holland, Frankreich und Deutschland führte.

INI: Prams Memoiren sind eine Collage aus persönlichen Notizen, Essays, nie abgeschickten Briefen an seine Kinder sowie Listen von Gefangenen, die auf der Insel an Krankheit starben, verhungerten oder umgebracht wurden.

„Welch hohen Preis muß man doch bezahlen für das Recht, sich Indonesier zu nennen“, schreibt Pramoedya in einem dieser Briefe an eine seiner Töchter. Zwar ist Pramoedya Javaner und weit davon entfernt, seine Wurzeln zu leugnen. Im Gegenteil, er hält es für äußerst wichtig, seine Vergangenheit, seine Kultur von Grund auf zu kennen, und es ist ihm ein zentrales Anliegen, das Verständnis für Geschichte unter den IndonesierInnen zu stärken. Aus diesem Wunsch ist seine vierbändige Romanserie entstanden, die um die Jahrhundertwende spielt und in der er die Biografie des javanischen Adligen Tirto Adi Suryo literarisch aufarbeitet. Dieser hatte sich, nach dem Besuch holländischer Schulen, zu einem bedeutenden Publizisten seiner Zeit entwickelt, der sich mit spitzer Feder für die Belange seiner Landsleute einsetzte.

Seine Nähe zu Sukarno sowie zu linksgerichteten Kreisen mag der offizielle Grund sein, weshalb Suharto und dessen Regime versucht haben, Pramoedya mundtot zu machen. Mit seinen kritischen Betrachtungen über die Geschichte und die Rolle der feudalistischen javanischen Kultur jedoch reizte er die Machthaber der „Neuen Ordnung“ zusätzlich.

„Ich will die javanische Kultur bekämpfen“, erklärte er 1979 kurz nach seiner Entlassung in seinem ersten Interview mit indonesischen Journalisten, worauf die einheimische Presse seinen Namen für lange Zeit nicht mehr drucken durfte. In seinem Kampf gegen die „javanische Kultur“ hat Pramoedya insbesondere drei Aspekte im Visier: den Feudalismus, den Javazentrismus und die Art und Weise, Geschichte zu begreifen. „Für die Javaner besteht Geschichte noch immer aus einer Sammlung von mythischen Erzählungen. Wir haben noch nicht gelernt, unsere Geschichte rational anzugehen. Wir haben erst vor kurzem, erst seit der Unabhängigkeit angefangen, rational denken zu lernen“, kritisiert er. Sowohl die Holländer als auch das Suharto-Regime hätten es bestens verstanden, sich den Hang zum Mythos zunutze zu machen, um ihre Macht auszuweiten und zu konsolidieren, um den Feudalismus am Leben zu erhalten und die Javanisierung des Inselreiches voranzutreiben.

INI: „Mit der Javanisierung wurde die Findung einer indonesischen Identität unterbunden. Dieser Prozeß steckt noch in den Kinderschuhen“, stellt Pram fest. Und auf der Suche nach einer indonesischen Identität müsse man sich bewußt werden, daß es kein Volk von Indonesierinnen und Indonesiern gebe, sondern lediglich eine Nation, die aus zahlreichen Völkern, nicht nur ethnischen Gruppen, bestehe.

Nach dem Sturz Suhartos kann Pramoedya zwar seinen persönlichen Sieg über den Langzeitherrscher und die „Neue Ordnung“ feiern, aber den Rücktritt von Suharto hält er lediglich für eine schlechte Cabaret-Nummer: „Wäre Suharto wirklich entmachtet worden, dann hätte er sich ins Ausland abgesetzt. Er ist aber geblieben, und das bedeutet, er ist indirekt noch immer am Hebel.“

Suharto werde sich auch bestimmt nie vor Gericht verantworten müssen. Nicht nur, weil sich in Indonesien kaum jemand getrauen werde, dieses heiße Eisen anzufassen, sondern auch, weil das Land mit seinen Naturschätzen den multinationalen Konzernen für ihre eigenen Zwecke viel zu bedeutend sei.

„Die einzige Chance für eine Zukunft Indonesiens“ sieht Pramoedya darin, daß das Land endlich mit einer konsequenten Vergangenheitsbewältigung beginnt. Doch sogar wenn Megawati Präsidentin würde, was nach den vergangenen Wahlen zu vermuten ist, glaubt er nicht, daß dies wirklich geschehen werde. Von Megawati, der ältesten Tochter Sukarnos, ist Pram zutiefst enttäuscht, weil selbst sie bislang noch kein Wort verloren hat über die Massaker an zwei Millionen AnhängerInnen ihres Vaters in den sechziger Jahren.

„Indonesien braucht eine vollständig neue ethisch-moralische Kultur“, fordert der Autor. Der ganze bestehende Apparat sollte durch neue, junge Leute ersetzt werden. Darauf wird er wohl vergeblich hoffen, aber Pram schaut dennoch nicht tatenlos zu. Zusammen mit MenschenrechtsaktivistInnen hat er eine Stiftung gegründet für die Opfer der Massaker der sechziger Jahre sowie der Repression unter Suharto. Diese Stiftung sammelt Namen und Fakten in der Hoffnung, ihr Beweismaterial dereinst zu publizieren.<

Die Autorin lebt als Journalistin und Übersetzerin in Dietikon, Schweiz. Sie hat zwei Bücher von Pramoedya Ananta Toer übersetzt.

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