„Fridays for Future“, die Rolle Österreichs in der Welt und die SDGs: Die Südwind-Magazin-Redaktion hat den vielbeschäftigten Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen per E-Mail dazu befragt.
Südwind wird dieses Jahr 40 Jahre alt. Wie wichtig sind NGOs, nicht zuletzt entwicklungspolitische, im Jahr 2019?
Zunächst mal herzliche Gratulation zum 40. „Geburtstag“. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg, Mut und Beharrlichkeit.
Zu Ihrer Frage: Wir sind nach wie vor mit großem menschlichen Leid, mit Armut und Hunger, Folter oder Vertreibung, Flucht und Perspektivenlosigkeit in vielen Teilen der Welt konfrontiert. Millionen von Menschen sehen sich von einem Tag auf den anderen ihrer Lebensperspektiven beraubt. Oder haben gar nie eine gehabt. Wir dürfen nicht lockerlassen, wir müssen uns weiter engagieren. Es braucht weltweite, politische Stabilität, Sicherheit und Frieden, Gleichheit und Gerechtigkeit sowie Entwicklungschancen für alle Menschen auf unserem Planeten. NGOs spielen dabei eine sehr wichtige Rolle.
Wir sollten uns aber auch daran erinnern, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Fortschritte in der globalen Entwicklung gemacht haben. Auch wenn darüber wenig berichtet wird. Die Statistiken sagen, dass weltweit gesehen extreme Armut und Hunger in den letzten 20, 30 Jahren deutlich reduziert wurden, dass sich die weltweite Kindersterblichkeit seit 1990 halbiert hat, dass mehr Kinder als je zuvor eine Schule besuchen, und dass die Lebenserwartung fast überall auf der Welt steigt. Das ist – nicht nur, aber auch – vielen, vielen NGOs geschuldet, die sich beharrlich und unbeirrbar für Entwicklungspolitik eingesetzt haben.
Die Zivilgesellschaft steht aktuell unter Druck. Inwiefern nehmen Sie das wahr?
Ich habe mich seit meinem Amtsantritt immer wieder mit NGO-Vertreterinnen und -Vertretern getroffen, die mir sehr eindrücklich ihre Probleme geschildert haben.
Muss man sich in Europa im Jahr 2019 um die Demokratie ernsthaft Gedanken machen? Wieso wählen die Menschen Populisten wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro?
Es gibt unterschiedliche Erklärungen, warum Politiker wie Donald Trump Erfolg haben. Durchgängig scheint zumindest in Europa und den USA zu sein, dass Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen, die sich irgendwie von der Politik alleingelassen fühlen, dazu neigen, Populisten ihre Stimme zu geben. Wir sollten uns aber weniger um die Populisten als um die Lebenssituation dieser Menschen kümmern. Sie dürfen sich nicht so alleingelassen fühlen.
Wir tendieren aber auch dazu, zu glauben, solche Entwicklungen würden sich linear fortsetzen. Ich erinnere daran, dass sich nach 1989 die Demokratie weltweit enorm ausgebreitet hat. Jetzt gerät sie sicher wieder etwas unter Druck. Wir werden aber diese Entwicklung wieder umdrehen können. Da bin ich zuversichtlich.
Wie schwer ist es, mit Politikerinnen und Politikern zusammenzuarbeiten, die die Menschenrechte mit Füßen treten?
Die Aufgabe des Bundespräsidenten ist es auch, Österreich nach außen zu vertreten. Die Welt besteht aber nicht nur aus liberalen Demokratien, in denen die Menschenrechte weitgehend eingehalten werden. Man kann sich die Gesprächspartner nicht aussuchen. Ich finde es aber wichtig, mit allen im Gespräch zu bleiben und beharrlich die Frage der Menschenrechte zu thematisieren. Die Apartheid in Südafrika schien viele, viele Jahre hindurch unveränderbar. Die Beharrlichkeit der Apartheidsgegner hat sie aber schlussendlich zu Fall gebracht.
Zur Person
Alexander Van der Bellen wurde 1944 in Wien geboren, er hat estnische und russische bzw. niederländische Vorfahren. Nach der Flucht vor den Sowjets landete die Familie in Österreich, zunächst in Wien, dann in Tirol. Er lehrte von 1976 bis in die 1990er Jahre als Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre. Von 1997 bis 2008 war er Bundessprecher der Grünen und von 1999 bis 2008 Grüner Klubobmann im Nationalrat. 2016 wurde er in der Stichwahl gegen Norbert Hofer (FPÖ) zum Bundespräsidenten gewählt, die Amtszeit läuft bis 2022. red
Welche Bedeutung haben die Vereinten Nationen heute?
Die „America first“-Ideologie des derzeitigen US-amerikanischen Präsidenten macht es für internationale Organisationen wie die UN sicher nicht einfacher. Die UN setzen ja auf Multilateralismus, also auf die erfolgreiche Zusammenarbeit der Staaten. Zugleich ist es unbestreitbar, dass die großen Probleme, vor denen wir weltweit stehen, nur von allen Staaten gemeinsam gelöst werden können. Wenn wir als Menschen weiter diese Erde für uns lebenswert erhalten wollen, also die drohende Klimakatastrophe abwenden wollen, dann geht das nur gemeinsam. Dafür und für viele andere Themen, wie etwa zur Lösung kriegerischer Konflikte, braucht es unbedingt die UN.
Können die SDGs, die UN-Entwicklungsziele, realistisch gesehen am Ende eine Erfolgsgeschichte sein?
Die Agenda 2030 der UN kann eine Erfolgsstory werden, wenn wirklich alle Länder dieses Vorhaben ernst nehmen und den Absichtserklärungen auch Taten folgen lassen. Es geht ja darum, dass die Grundbedürfnisse aller Menschen ausreichend abgedeckt sein sollen, die Natur so erhalten bleibt, dass auch unsere Kinder und Kindeskinder eine lebenswerte Welt vorfinden. Wir werden Hunger und Krieg weltweit nicht ausrotten, wenn wir gleichzeitig unsere Lebensgrundlage kaputt machen.
Wären Sie nicht Bundespräsident, würden Sie mit „Fridays for Future“ mitdemonstrieren?
Ich habe „Fridays for Future“-Vertreterinnen und -Vertreter unmittelbar nach ihrer ersten großen Demo in Wien zu mir in die Hofburg eingeladen. Die Entschlossenheit dieser Bewegung beeindruckt mich sehr. Greta Thunberg und Fridays for Future haben es ja geschafft, das so überlebensnotwendige Klimathema in den Fokus der weltweiten Aufmerksamkeit zu bringen. Das gibt mir Hoffnung. Ich versuche das Meinige dazu beizutragen, dass beim Klimathema etwas weitergeht, etwa durch meine Klimainitiative vor der UN-Klimakonferenz in New York im September, die mehr als 35 Staatsoberhäupter aus vier Kontinenten unterstützt haben.
Ist es legitim, wenn Aktivistinnen und Aktivisten teils an bzw. über Grenzen gehen – Stichwort ziviler Ungehorsam – um sich für eine wichtige Sache einzusetzen?
Es gibt historische – ich denke an Mahatma Gandhi – und aktuelle Beispiele, wo ziviler Ungehorsam sehr viel bewegt hat. Ziviler Ungehorsam, so sehen es etwa die Philosophen Jürgen Habermas und John Rawls, kann eine ultima ratio sein, wenn innerhalb eines Rechtsstaates vorher alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, wenn er moralisch begründet zur Durchsetzung von Menschenrechten und nicht für einen persönlichen Vorteil eingesetzt wird. Es ist aber immer eine sehr heikle Güterabwägung. Ein einfaches Ja oder Nein ist da nicht angebracht.
Welche Rolle kann das kleine Österreich in der Welt spielen?
Österreich kann international Akzente setzen. Ich erinnere an den österreichischen Einsatz für den Atomwaffenverbotsvertrag und dessen Inkrafttreten. So richtete Österreich 2014 die international vielbeachtete Wiener Konferenz zu den humanitären Auswirkungen von Atomwaffen aus. Auch Österreichs Einsatz für Menschenrechte ist international anerkannt. Österreich wurde ja wieder in den Menschenrechtsrat gewählt. Dort setzen wir uns u.a. für die Förderung der Medienfreiheit oder die Stärkung der Menschenrechte besonders schutzwürdiger Personen und Gruppen – Minderheiten, Kinder, Binnenvertriebene – sowie die internationale Zusammenarbeit zur Stärkung der Rechte von Frauen ein. Und meine Klimainitiative habe ich ja schon erwähnt.
Als Bundespräsident reisen Sie viel. Wie kann man Offenheit, die Neugier auf andere Kulturen der Bevölkerung am besten vermitteln?
Ich finde Austauschprogramme wie Erasmus oder Erasmus+, wo Studierende bzw. Lehrlinge in anderen europäischen Ländern arbeiten und studieren können, sehr wichtig. Da wächst eine Generation heran, für die Europa etwas vollkommen Selbstverständliches ist. Das Kennenlernen anderer Kulturen fördert fast immer auch das Verständnis für das Gegenüber, insofern sind Austauschprogramme auch über den europäischen Raum hinaus sinnvoll und wertvoll.
Was sagen Sie politikverdrossenen Menschen, die sich nicht mehr damit beschäftigen wollen?
Wer nicht mitentscheidet, für den entscheiden andere. Es ist aber sicher auch bei der Politik noch viel Luft nach oben, denn es ist deren Aufgabe, dass sich die Wählerinnen und Wähler nicht verdrossen abwenden.
Wie nah sind sich die Person Alexander Van der Bellen und das Amt des Bundespräsidenten, mit all dem, was das mit sich bringt?
Mir macht das Amt des Bundespräsidenten viel Freude, denn ich habe den Eindruck, dass ich doch einiges bewirken kann. Wie in jedem Beruf gibt es auch ein paar Schattenseiten. Aber das Positive überwiegt bei Weitem.
Wie herausfordernd ist Ihr Amt, für Körper und Geist?
Eine Tätigkeit, die einem Freude macht, kann durchaus auch herausfordernd sein. Das macht sie ja spannend.
Werden Sie 2022 wieder kandidieren?
Wir schreiben erst das Jahr 2019.
Wie stellen Sie sich Ihren Ruhestand vor?
Über diese Brücke werde ich gehen, wenn ich am Fluss angelangt bin.
Würden Sie gerne mal nach Ibiza reisen?
Ich fühle mich im Tiroler Kaunertal auch sehr wohl.
Fragen: Richard Solder, Christina Schröder
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