Die Katastrophe sind wir

Von Werner Hörtner · · 2010/11

Die Bilder um die zerstörerische Schlammlawine in Westungarn gingen um die Welt – doch die Frage nach der Ursache des ungesättigten Aluminiumhungers war für die Berichterstattung kein Thema.

Apokalyptische Bilder: Weite Landstriche von einer Verderben bringenden rötlichen Schlammflut bedeckt, die Häuser und Felder, Tiere und Menschen zerstört, verätzt, verseucht. Schwermetalle wie Arsen, Cadmium und Chrom vergiften die Flüsse und lagern sich für Jahrzehnte in den Flussbetten ab. Und trocknet schließlich der Giftschlamm, so wird der Wind die schädlichen Stoffe weiter verbreiten. Bilder wie aus einem Horrorfilm über die Endphase des Industriezeitalters – nur dass sie nicht gestellt sind, sondern Wirklichkeit.

Und schon treten die Beruhigungsberater und Sicherheitsstrategen auf den Plan: In Europa, im wirklichen Europa der entwickelten Industrienationen könne so etwas nicht passieren. Hier seien die Sicherheitsvorkehrungen sowie die behördlichen Auflagen und Kontrollen so streng, dass ein derartiger Unfall praktisch unmöglich sei. Genauso unmöglich wie ein Atomreaktorunfall oder wie die Chemiekatastrophen im italienischen Seveso oder im indischen Bhopal.

Ich habe nie die Szene vergessen, wie mich der deutsch-brasilianische Umweltaktivist und zeitweise auch Umweltminister Brasiliens José Lutzenberger mit dem Wahnsinn der Aluminiumproduktion eindrücklich vertraut machte. Wir tranken ein Bier in dem Wiener Hotel, wo er untergebracht war. Der Flaschenhals war mit einer goldfarbenen Aluminiumfolie verziert. Wütend riss Lutzenberger das Papier herunter, Tränen der Empörung in den Augen. „Wieso brauchen wir so etwas nur! Denken Sie bloß, wie viel Zerstörung die Aluminiumproduktion in meinem Land anrichtet!“

Durch die Flaute in der globalen Industrie hat die Aluminiumherstellung in der letzten Zeit stagniert, doch „die Branche“ rechnet mit starken Zuwächsen in den nächsten Jahren. Die Produktion des Metalls aus dem Rohstoff Bauxit ist extrem energieintensiv und umweltschädlich. Für eine Tonne Rohaluminium werden 14.000 Kilowattstunden Strom aufgewendet, der in Brasilien großteils aus Wasserkraftwerken stammt. Brasilien liegt beim Bauxitabbau derzeit an dritter Stelle. Für den Bau der Wasserkraftwerke werden Regenwaldgebiete abgeholzt, Flüsse umgeleitet, die indigene Bevölkerung „umgesiedelt“: siehe den geplanten Bau des Belo Monte-Kraftwerks im Gebiet des Rio Xingu. Aluminium findet vor allem in der Flugzeug- und Autoindustrie, in der Verpackung und im Baugewerbe Verwendung.

Vor 20, 30 Jahren war der Konsum von Getränken in Dosen politisch unkorrekt, entwicklungspolitische Organisationen lancierten Kampagnen gegen die aus Aluminium hergestellten Getränkedosen. Heute erlebt diese Verpackungsform ein Comeback; Discounter und Supermärkte bieten in ihren Regalen immer mehr Dosengetränke an. Und in Österreich werden die Getränkedosen – im Unterschied zu Deutschland – nicht mit einem Pfand belegt. Offenbar haben wir jegliches Gefühl für die Auswirkungen unseres Lebensstils auf die Umwelt verloren. Die Getränkedosen sind nur ein kleiner, aber aussagekräftiger Teil dieser Realität. Mit Elektro-Autos und Passivhäusern allein werden wir den Globus nicht vor dem Kollaps retten. Wir müssen zu der Empörung des José Lutzenberger zurückfinden oder sie in uns entwickeln. Auch wenn es unbequem ist: Ein Umdenken im Alltag ist gefordert, das zu einer Änderung unseres verschwenderischen umweltschädlichen Konsumverhaltens und Lebensstils führt. Und anfangen müssen wir bei uns selbst.

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