Die Lehrjahre waren hart, und immer noch sind viele Probleme zu lösen. Eine Pionierin des Alternativ-Handels blickt zurück und in die Zukunft.
Vor geraumer Zeit erkannte der alternative Handel, dass es auf den Märkten unfair zugehen kann, hautpsächlich deswegen, weil die Akteure über ungleiche Kaufkraft verfügen. Eine Korrektur im Gleichgewicht dieser Kräfte ist unabdinglich, will man fair – oder zumindest fairer – handeln können. Es geht dabei nicht so sehr um abstrakte wirtschaftliche oder wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten als vielmehr um eine moralische und politische Haltung.
Das jahrelange mühsame Ringen im Alternativ-Handel ist für die Partner im Norden wie im Süden nicht ohne Erfolg geblieben: ie Qualität der Produkte hat sich verbessert, sie sind allgemein ansprechender, einige sogar richtig gut geworden, dass sie über ein bloßes Nischendasein hinauswuchsen, so weit das überhaupt möglich ist.
Die großen Konzerne wiederum haben begriffen, dass zu viel Chemie sich auf den Geschmack schlagen kann und die Ausbeutung von billigen Arbeitskräften von einem Teil der Konsumenten nicht goutiert wird. Kleinere, beweglichere Unternehmen machten es sich zum Geschäftsprinzip, unerfüllt gebliebene Nachfrage in der neuen Sparte zu befriedigen. Einzelne Produkte aus dem Fairen Handel haben dank der hartnäckigen Bemühungen einiger Pioniere des alternativen Marketing selbst den Sprung in die Regale der Supermarktketten geschafft.
Es gibt also durchaus Erfolge zu feiern, wir sollten auch tun.
Allerdings gibt es Grenzen des Enthusiasmus oder des Grades der Erleichterung darüber. Für ein totalitäres Weltsystem, das uns glauben machen will, es gäbe nur einen, nämlich den Markt, sind Alternativen eine subversive Herausforderung. Und der Krieg wurde von der Gegenseite längst erklärt. Umweltbelastung, Armut, geistige Eigentumsrechte – die meisten der Streitthemen liegen offen am Tisch, die eigentliche Schlacht hat aber gerade erst begonnen.
Das Prinzip des Fairen Handels bleibt für traditionelle, kapitalistisch orientierte Unternehmen unvereinbar mit deren zentraler Geschäftsmaxime, nämlich dem maximalen Anstieg ihrer Aktienkurse. Die meisten Bedenken der KonsumentInnen sind, um es in der Sprache der Marketingstrategen auszudrücken, „nicht-herkömmliche Überlegungen“. Auch wenn Firmen mit themenbezogenem Marketing und einer sensibleren Imagepolitik reagieren: Sie sind noch meilenweit entfernt von der Einsicht, dass eine andere Art von Handel bestimmte Probleme im Sozial- und Umweltbereich lösen kann, die zum Teil durch ihre „traditionellen“ Geschäftspraktiken entstanden sind.
Bemühungen an der Oberfläche bringen lediglich einen negativen Zusatzeffekt, weil sie vom Thema ablenken. Die Intereressen von Kleinbauern oder des informellen Sektors etwa werden in den Hintergrund gedrängt. Und Konzerne, die nicht das geringste Interesse an Fairem Handel zeigen, geraten aus dem Scheinwerferlicht der öffentlichen Kritik.
Je bewusster und verträglicher sich die Supermärkte präsentieren, umso härter wird der Überlebenskampf für die unabhängigen und spezialisierten Läden.
Viele große Hersteller und Einzelhandelsketten haben neuerdings Gruppen, die in ethischen Fragen beraten. Das mehrgleisige Berichtswesen produziert eine Papierflut. Wem kann man angesichts der allgemeinen Vielbeschäftigtheit deren Lektüre zumuten? Und verkürzte Verfahren, etwa wenn NGOs Unternehmen für unbedenklich erklären, sind mit Vorsicht zu genießen. Wer garantiert für ihre Objektivität und Unabhängigkeit, wenn einzelne Organisationen ihr Budget in einem wachsenden Ausmaß aus Stiftungen der Konzerne finanzieren?
Inzwischen wächst die Macht einiger weniger Multis unaufhörlich. Manche Finanzexperten behaupten sogar, dass es in den jeweiligen Sparten bald weltweit nur mehr vier bis fünf marktbeherrschende Unternehmen geben wird. Wenn aber nur wenige Global Players die Regeln diktieren, wird der Einstieg für neue Mitspieler immer schwieriger.
Ohne echten Wettbewerb werden sich die Großen auf ihren Marktanteil, auf ihre Postition zueinander konzentrieren. Deswegen kommt es immer stärkeer auf die eigene Marke an: Marken machen ein Drittel des Gesamtwerts eines Konzernes aus.
Gefangen in diesem gigantischen Kräftemessen ist es für die meisten Multis kaum vorstellbar, sich auf die riskante Herausforderung einer ethischen Vorbildfunktion einzulassen, wenn man nicht sicher sein kann, ob die anderen mitziehen.
Verkaufsstrategen predigen heute, dass Marken neben dem Namen noch zusätzliche Werte transportieren. Eine Firma behauptet irgendetwas Nettes – z.B. dass ein geringfügiger Teil des Kaufpreises an ein Hilfsprojekt in der Dritten Welt geht. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie etwas mit Fairerem Handel am Hut hat. Die Grenzen werden verwischt. Je weiter sich die Produkte des Fairen Handels auf das Territorium der großen Firmen vorwagen, desto eher wird themenbezogenes Marketing die Anliegen des Fairen Handels vereinnahmen. „Werben ist Wettrüsten“, wie es der Boss einer großen Hamburgerkette einmal ausgedrückt haben soll.
Der alternative Handel hat auch seine hausgemachten Schwierigkeiten. Unter den rapide wachsenden Gruppen von Aktivisten ist – im Marketingjargon – weniger Gemeinschaftlichkeit und mehr Segmentierung erkennbar. Wir erweisen uns selbst manchmal als intolerant gegenüber den Prioritäten anderer. Da wird Gesundheit gegen Wahlfreiheit, soziales gegen ökologisches Engagment usw. in die Waagschale geworfen. Oft fällt es uns schwer, unsere zahlreichen Widersprüche auszudiskutieren, um dann unsere Gemeinsamkeiten zu entdecken.
In Großbritannien haben die Gewerkschaften mit dem Lebensmittelgiganten Nestlé bestes Einvernehmen. Unter Frauen- und Kinderschutz-Organisationen ist Nestlé wegen des Babymilch-Skandals immer noch höchst umstritten. Cafédirect ist zwar fair gehandelt und nachhaltig erzeugt, kann aber von den Gewerkschaften nicht gutgeheißen werden, weil er nicht in Großbritannien verarbeitet wird. NGOs und Gewerkschaften in der Dritten Welt befürchten, dass Sozialklauseln ihrem Wesen nach protektionistisch sind.
Und, darf eine Kaffeebauernfamilie über die Verwendung ihres Einkommens frei entscheiden, auch wenn der Konsument aus dem Norden will, dass die „Fairhandelsprämie“ ins Gesundheits- und Bildungswesen investiert wird?
Für die Zukunft müssen wir uns die Gemeinsamkeit in Inhalt und Sprache bewahren.
Und wir brauchen lebendige praktische Erfahrungen darin, wie sich Solidarität und alternative Ökonomie in der Realität anfühlen: damit wir klar definieren können, worum es uns geht und was wir bewirken wollen. Machtverschiebungen von groß zu klein, von reich zu arm, von stark zu schwach benötigen mehr als bloße Selbstlosigkeit – es geht um einen Wandel von Strukturen und von Bewusstsein.
Im Moment scheinen sich alle Diskussionen um die ethische Dimension des Handels zu drehen. In über zehn Jahren haben wir gelernt, dass es Kampagnen, Bildungsarbeit und Mobilisierung waren, die dem Fairen Handel seine Anhängerschaft beschert haben.
Es gibt noch einen weiteren grundlegenden Wesensunterschied zwischen dem konventionellen und dem altenernativen Handel – nicht zuletzt die Höhe des PR-Budgets und die Art von KonsumentInnen, die beide erreichen wollen. Wir wollen kritische KonsumentInnen, und nicht einfach nur Käufer für unsere Produkte.
Pauline Tiffen ist Direktorin, Treuhänderin und Beraterin für eine Reihe von alternativen Unternehmen im Norden wie im Süden. (e-mail: pauline@divinechocolate.com)
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