Südwind-Magazin: Was ist Ihr spezielles Interesse, in Wien zu inszenieren?
Ong Keng Sen: Meine Erfahrungen in Europa! Hier herrscht hinsichtlich Asiens sehr viel Unverständnis. Das zeitgenössische Asien hat in Europa wenig Relevanz. So versuche ich, kulturelle Grenzen in unterschiedlicher Weise aufzubrechen. Das Stück „Chinoiserie“ handelt von der Vereinnahmung Asiens durch Europa. Es geht um kulturelle Missverständnisse, kulturelle Aneignung und kulturelle Authentizität.
Bei interkulturellen Projekten geht es heute meist um Respekt. Wir bedürfen jedoch dringend der Herausforderung, die Grenzen anzufechten, indem wir die Missverständnisse, die Heuchelei und die Unvereinbarkeiten aufdecken. Respekt und Anstand enden in Europa darin, dass viele Dinge verdunkelt oder negiert werden. Mit Chinoiserie möchte ich auf Konfrontation gehen und absurd sein, um die „Political Correctness“ durch das Spiel mit Klischees herauszufordern.
Südwind-Magazin: Warum lassen Sie die vier japanischen Schwestern durch Europäerinnen spielen?Erst die Verschmelzung von diversen kulturellen Elementen ermöglicht eine Diskussion über das, was Kultur ausmacht. Wenn wir etwas Monokulturelles gemacht hätten, wenn wir hier Japan durch japanische Künstler präsentiert hätten, wäre es exotisch gewesen, doch es würde uns nicht zu einer Diskussion über Kultur führen. Sobald man jedoch verschiedene Kulturen zusammenwürfelt, wird es problematisch, und es entsteht eine Plattform für Diskussion und Diskurs über den richtigen Weg der Auseinandersetzung mit Kulturen. Die Beschäftigung mit Chinoiserie (kunstgewerbliche Gegenstände in chinesischem Stil; Anm.) ist in diesem Zusammenhang sehr geeignet, da sie uns zeigt, wie eine Kultur die andere wahrnimmt bzw. die kulturellen Sichtweisen darlegt, welche Kultur als dominant und welche als untergeordnet gesehen wird.
Es gibt einen Bericht, in dem EU-Beamte die Beziehung zwischen Europa und Asien untersuchen. Sie kamen zu dem Schluss: Europa braucht Asien, aber braucht Asien Europa? Dies ist eine elementare Frage, da kaum eine Woche vergeht, in der nicht in der internationalen Presse über China und all die Versuche europäischer Unternehmer, sich in China zu etablieren, berichtet wird.
Südwind-Magazin: Singapur kann als exemplarische Leistungsgesellschaft definiert werden. Die Verbindung eines Einparteiensystems mit Demokratie scheint zu funktionieren, obwohl dies in anderen Staaten zu Totalitarismus geführt hat. Warum funktioniert es in Singapur?Ich vermute, der Grund, warum es funktioniert – das ist das Problem der Welt heute an sich – ist, dass wir in sehr amoralischen Zeiten leben. Warum wird Bush unterstützt? Warum ist in Australien John Howard an der Macht, obwohl er extrem rassistisch ist? Auf der ganzen Welt geht es darum, Geld zu machen und es sich selbst bequem einzurichten. Das ist auch in Singapur so. Die Unabhängigkeit Singapurs beruht zum Teil auf den Anstrengungen, eine Mittelschicht zu etablieren. Das war sehr erfolgreich: Die meisten Menschen wurden beschwichtigt und kämpfen daher nicht mehr für moralische Anliegen. Jeder besitzt ein Haus, ein Auto, und alle werden gut versorgt. So wählen wir die Regierung, die in gewisser Weise auch gut ist, immer wieder.
Wenn es um Geld geht, erleben wir sehr viel Heuchelei. Wenn etwas Geld einbringt, dann ist es okay, dann reden wir nicht darüber. Dies zeigt, wie wir in Singapur mit Politik umgehen. Doch das ist auf der ganzen Welt so. So lange etwas effizient ist, so lange es funktioniert, stellen wir unsere Wahl nicht in Frage und folgen dem Szenario.
Südwind-Magazin: Wie kann künstlerische Kreativität innerhalb eines solchen Systems entstehen? Gibt es öffentliche Gelder für die Kunst?Die stärkste Periode war in den späten 1980er, frühen 1990er Jahren. Es gab ein starkes Theater, das eine Menge Fragen aufwarf: „Wer sind wir? Was sind wir? Wer bin ich? Wo liegt die Zukunft?“, sowie großen Zweifel an nationaler Identität und an traditionellen Werten. Im letzen Jahrzehnt ist es bedeutend ruhiger geworden, und das Theater wurde sehr bürgerlich. In Singapur gibt es eine systematische Unterstützung der Kunstszene, anders als in Thailand oder Indonesien, wo viel Korruption herrscht bzw. Kunst nur sporadisch oder undurchschaubar unterstützt wird. In Singapur wird auf Infrastruktur viel Wert gelegt, was aber nicht heißt, dass dies eine lebendige Kunstszene mit sich bringt.
Das Interview ist in voller Länge (auf Englisch) auf
www.univie.ac.at/theaterethnologie zu lesen.
„Chinoiserie“ ist noch bis 19.12. täglich außer Montag jeweils um 20.00 Uhr im Schauspielhaus, Porzellangasse 19, 1090 Wien zu sehen.