Die Globale Finanzkrise und der Süden

Von Redaktion · · 2008/11

Hätte es noch eines Beweises dafür bedurft, dann ist er durch die erneuten Turbulenzen auf den Finanzmärkten in der ersten Oktoberwoche erbracht worden: Die Entkoppelungsthese ist falsch. Das Zentrum der Krise befindet sich im Norden, der Süden ist jedoch in erheblicherem Ausmaß betroffen als es zuächst den Anschein hat, meint Rainer Falk.

Die Behauptung, in der aktuellen Krise zeige sich, dass es den Ländern des Südens gelungen sei, sich von der weltwirtschaftlichen Entwicklung gleichsam abzukoppeln, war auch vorher schon widerlegt, selbst wenn es zunächst den Anschein hatte, dass die Konsequenzen für die Entwicklungswelt diesmal weniger gravierend seien als in der Vergangenheit. Um einen naheliegenden Indikator zu nehmen: Die Aktienkurse sind auch im Süden abgestürzt. So verlor der Aktienindex für die aufstrebenden Ökonomien, der MSCI, zwischen Anfang des Jahres und Oktober 2008 rund die Hälfte seines Wertes. Doch dies ist nur eine Ebene der Betroffenheit.
Als Kreditkrise („credit crunch“) hatte die aktuelle Finanzkrise unmittelbar zur Folge, dass Banken und andere Finanzmarktakteure schon bald Kapital aus den vergleichsweise risikoreichen Volkswirtschaften der Schwellenländer abzogen, um die im Norden aufgerissenen Löcher zu stopfen. Die Länder auf der südlichen Halbkugel, sofern sie überhaupt als Anlageziele für kurzfristiges Kapital interessant waren, konnten dies allerdings recht gut verkraften; nicht zuletzt deshalb, weil sie nach der Asienkrise erhebliche Leistungsbilanzüberschüsse aufgehäuft hatten, um sich gegen spekulative Attacken zu schützen.

Festzuhalten ist auch, dass sich das Zentrum der Krise diesmal in den Kernlanden des globalen Kapitalismus befindet, also vornehmlich in den USA, Westeuropa und Japan, und nicht wie vor zehn Jahren in den Hochburgen eines angeblichen „crony capitalism“ am Rande des globalen Finanzsystems. Dies bedeutet per se, dass die systemische Bedeutung der aktuellen Krise wesentlich größer ist als die der Asienkrise, die sich regional begrenzen ließ. Das zeigt sich aber auch an den quantitativen Dimensionen, etwa an den finanziellen Verlusten im Gefolge der Krise. Diese beliefen sich im Falle der Asienkrise auf rund 400 Mrd. US-Dollar – das entsprach etwa 35% des Bruttoinlandprodukts (BIP) der betroffenen Länder. In der aktuellen Finanzkrise liegen die Verluste allein der Subprime-Krise in den USA bei geschätzten 1.400 Mrd. Dollar – das sind allerdings nur 10% des US-BIP.
Interessant ist nicht zuletzt folgender Unterschied: In der Asienkrise agierte bekanntlich der Internationale Währungsfonds (IWF) mit seinen umstrittenen Rettungspaketen als Finanzfeuerwehr des Nordens gegenüber dem Süden. Die aktuelle Finanzkrise übersteigt schon von ihren Dimensionen her die finanzielle Interventionskapazität des IWF, einmal abgesehen davon, dass die großen Anteilseigner den Fonds immer nur als Disziplinierungsinstrument gegenüber dem Süden wollten und niemals gegenüber sich selbst. Die großen, koordinierten Rettungspakete, die im Nachgang zur letzten Jahrestagung von IWF und Weltbank beschlossen wurden, sind deshalb unter den USA und den Europäern selbst und außerhalb des IWF ausgehandelt worden.

Den Süden betrifft dies alles dennoch, vielleicht sogar in wesentlich erheblicherem Maße, als es zunächst den Anschein hat. Dabei sind mindestens zwei Ebenen zu unterscheiden, zum einem die künftigen Finanztransfers von Nord nach Süd und zum anderen die Exportposition des Südens angesichts immer stärkerer Rezessionsgefahren in den Industrieländern. Vielfach ist inzwischen darauf hingewiesen worden, dass die Entwicklungshilfe-Versprechen des Nordens angesichts der aktuellen Rettungsprogramme für die Finanzmärkte wirklich nur „Peanuts“ sind. Und doch ist denkbar, dass diese Versprechen gegenüber dem Süden künftig noch weniger eingehalten werden als heute schon. Wie sich auf dem UN-Notstandsgipfel zu den Millenniumszielen im letzten September zeigte, steht jedenfalls fest: Ein „Bailout“(Schuldenübernahme und Tilgung durch Dritte; Anm. d. Red.) für die Entwicklungsländer findet nicht statt.
Schwieriger zu beurteilen sind die künftigen Exportaussichten der Dritten Welt. Diese hängen unmittelbar davon ab, wie schwer der wirtschaftliche Rückgang im Norden ausfallen wird. Unabhängig davon, ob die globale Rezession, wie etwa der US-Starökonom Nouriel Roubini prognostiziert, zwei Jahre dauern wird oder nur bis Ende 2009, wie der IWF meint, werden vor allem die Entwicklungsländer, die sich wie China auf den Export arbeitsintensiver Güter orientiert haben, mit Exportrückgängen rechnen müssen. In seiner letzten Prognose hat der IWF jetzt jedenfalls auch die Wachstumserwartungen für die Schwellenländer und die Entwicklungsländer insgesamt nach unten korrigiert, nicht nur die der Industrieländer.
Dabei bleibt allerdings trotz (oder gerade wegen der Finanzkrise im Norden) das bisherige Wachstumsmuster, bei dem der Süden insgesamt deutlich höhere Raten aufweist als der Norden, im Prinzip erhalten, wenn auch auf niedrigerem Niveau als in den letzten fünf Jahren. Dieses Wachstumsmuster verdeckt aber die großen regionalen Unterschiede innerhalb des Südens, wo sich echte Aufholerfolge immer mehr mit realen Rückwärtsentwicklungen paaren. Vor allem die Länder Subsahara-Afrikas dürften mit erheblichen Konsequenzen aus der aktuellen Finanzkrise zu rechnen haben, da dort die Verknüpfungseffekte mit den Konsequenzen der anderen globalen Krisen, der Nahrungsmittelkrise, der Energiepreiskrise und der Klimakrise am stärksten zu Buche schlagen. Afrika mag für das global vagabundierende Kapital (von den Bodenschätzen abgesehen) uninteressant sein. Um die Opfer, die in der Vierfach-Krise des globalen Kapitalismus zu erbringen sind, wird es nicht herumkommen. Auch so gesehen ist die Abkoppelungsthese falsch.

www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org

Rainer Falk ist Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung.

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