Die senegalesische Schriftstellerin Ken Bugul blickt auf ein wechselvolles Leben zurück. Margit Maximilian hat die fast Siebzigjährige als eine der mutigen Frauen Afrikas porträtiert.
Wenn eine Frau in Senegal zweimal kurz nach der Geburt ihr Kind verliert, dann gibt man dem dritten Neugeborenen, wenn es ein Mädchen ist, den Namen Ken Bugul. Das ist Wolof und heißt so viel wie: Die, die niemand will. »Es ist ein Brauch, um den Tod zu besänftigen. Dieses Kind soll auch der Tod nicht haben wollen«, sagt Mariètou Mbaye Biléoma. 1981 veröffentlicht sie ihr erstes Buch, „Le Baobab Fou“, der verrückte Baobab (dt. Titel: „Die Nacht des Baobab“). Mit ihrem Debütroman machte die damals Vierunddreißigjährige international Furore. Von da an lebt und schreibt die mittlerweile bald siebzigjährige Schriftstellerin unter ihrem Pseudonym: Ken Bugul, die Unerwünschte.
Als sie 1947 in dem entlegenen muslimischen Dorf Noukoumane zur Welt kommt, ist ihr Vater fünfundachtzig Jahre alt. Ihre Mutter ist seine zweite Frau. Wie viele Geschwister sie dann wohl hat? „Uff – das sind viele“, stöhnt sie. Aufgewachsen ist Ken Bugul noch in tiefster Kolonialzeit. In den 1950er Jahren durfte sie als erstes Mädchen ihrer Familie in die Schule gehen.
Als Mariètou fünf Jahre alt ist, verlässt die Mutter den Haushalt. Selbst viele Jahrzehnte später wirkt sie so wütend, als sei es gestern gewesen. „Ich wollte immer wissen, warum sie gegangen ist. Es ging nicht darum, dass sie wegging, sondern warum sie mich nicht mitgenommen hat. Aber sie hat nur gepackt und gepackt.“ Die Erfahrung führt zum Wunsch zu schreiben. „In die Schule zu gehen, etwas zu lernen, zu lesen, zu träumen – das war alles, was mir blieb.“
Margit Maximilian ist Afrika-Expertin in der ZIB-Redaktion des ORF.
Der Text ist ein Auszug aus ihrem neuen Buch „Woza Sisi. Die mutigen Frauen Afrikas“ (Verlag Kremayr & Scheriau). Mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
Enttäuschung Europa. Ken Bugul hat ausgezeichnete Noten, studiert schließlich an der Universität Dakar. 1971 bietet sich ein Stipendium an. Mit vierundzwanzig fliegt sie nach Europa. Drei Jahre bleibt die junge Frau in Belgien. „Wir waren gebildete Leute. Und dann bin ich angekommen und sie haben gesagt: Nein, du bist nicht gleich. Du bist von dort. Das war eine große Enttäuschung.“
Europa degradiert die junge, schöne Studentin zum exotischen, schwarzen Sexobjekt, das von reichen Männern herumgereicht wird und schließlich in der Nobelprostitution endet.
Schließlich kehrt Ken Bugul in den Senegal zurück, doch sie findet auch hier keinen Halt. Schon bald bricht sie wieder in den gelobten Norden auf. Diesmal nach Paris, wo sie ein Radio- und Fernsehtraining beginnt. Sie lernt einen Mann kennen, bei dem sie fünf Jahre bleibt, obwohl sich der smarte Franzose bald als gewalttätig entpuppt. „Er sagte, er liebt mich, und beschimpfte mich im nächsten Moment als ‚Nigger‘.“
Wieder flüchtet Ken Bugul zurück zu ihren afrikanischen Wurzeln. Doch Familie und Gesellschaft reagieren mit Unverständnis. „Ich war psychisch und physisch am Ende“, sagt sie.
Zurück im Dorf wird Ken Bugul von der Mutter aus Scham weggesperrt. Bis zu jenem Tag, an dem der alte Marabout ins Dorf kommt und sie unter seinen Schutz stellt. Der dreiundachtzig Jahre alte Mann nimmt sie in seinem Harem auf. Ken Bugul wird seine achtundzwanzigste Frau. Da der islamische Gelehrte im Dorf hochgeachtet ist, ändert sich ihr Status schlagartig. „Ich war nicht mehr die Unerwünschte.“
Ein Jahr vor dem Erscheinen ihres ersten Romans stirbt der alte Patriarch. Da man annimmt, dass seine Weisheit und seine Heilkräfte auf sie übergegangen sind, wird Ken Bugul heute im Dorf geradezu religiös verehrt.
Nach ihrer Rehabilitierung führt Ken Buguls Weg wieder in die Großstädte. Sie lernt einen Arzt aus Benin kennen. Er wird ihr Mann und Vater der Tochter Yasmina. Sieben Jahre lang arbeitet sie in einer internationalen NGO. Sie entwickelt Projekte zur Familienplanung, Erziehung und Weiterbildung von Frauen. Wenig später stirbt er. Seit 1993 widmet sich Ken Bugul nur noch dem Schreiben.
Afrika zusperren. „In meinem Buch ‚La Folie et la Mort‘ (‚Der Wahnsinn und der Tod‘) sage ich: Sperrt Afrika einfach für zwei, drei Tage zu. Und wir werden sehen, wer leidet. Wir sind es gewohnt, arm zu sein. Wir sind es gewohnt, am Boden zu sein und das Leben dennoch zu genießen. Aber wenn Europa das Öl aus Afrika nicht mehr hat, keine Diamanten mehr, kein Bauxit, kein das und das? Wir schmeißen alle Firmen raus und schicken sie zurück auf Urlaub. Dann organisieren wir ein großes Palaver unter dem Baobab. Nur wir. Dann entscheiden wir über unser eigenes Schicksal.“
Ken Buguls Mutter stirbt 1985. Am Ende haben sich die beiden Frauen versöhnt.
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