Wie Studierende in Kenia auf die Corona-Pandemie reagieren und mit Innovationen Leben retten.
Von Bettina Rühl, Nairobi
Zuhause bleiben und Abstand halten. Solche Corona-Schutzmaßnahmen wollten einige Studentinnen und Studenten an der staatlichen Kenyatta-Universität in Nairobi nicht so einfach hinnehmen. Mitte März meldete Kenia seine erste Corona-Infektion, die Universitäten wurden fast unmittelbar geschlossen. Aber die Studierenden ließen sich nicht nach Hause schicken, fühlten sich verantwortlich. „Wir haben an der Uni schon so viel gelernt. Die Gesellschaft braucht uns“, erklärt Fidel Makatia Omusilibwa.
Der 23-Jährige ist angehender Elektroingenieur. Er hatte die Idee, zusammen mit anderen Studierenden ein Beatmungsgerät zu entwickeln, und leitet deshalb das interdisziplinäre Team aus 15 Studierenden.
Auslöser waren im Februar die Nachrichten aus Europa, vor allem aus Italien. In Kenia und anderen afrikanischen Ländern waren viele Menschen erstaunt und erschreckt, dass diese reichen Staaten mit den vergleichsweise guten Gesundheitssystemen kaum in der Lage waren, die vielen COVID-19-PatientInnen medizinisch angemessen zu versorgen. „In unseren Medien hieß es, dass es nicht genug Beatmungsgeräte gebe“, erinnert sich Omusilibwa, „und dass deshalb so viele Menschen starben.“
Eigeninitiative mit Sondererlaubnis. Zu dieser Zeit war im ostafrikanischen Land zwar noch keine Infektion bekannt, aber es war klar, dass das Virus früher oder später auch Kenia erreichen würde.
Und so war es auch: Ab Juli stieg die Zahl der neuen Infektionen schnell, Mitte August waren es fast 30.000 gemeldete Fälle.
Omusilibwa wusste dabei schon seit März, dass es im ganzen Land nur 500 Beatmungsgeräte gab, bei einer Bevölkerung von über 50 Millionen Menschen. „Ich dachte: Wenn das neuartige Corona-Virus nach Kenia kommt, wird das eine Katastrophe.“
Und aus den Industrieländern würde Kenia keine zusätzlichen Geräte bekommen. Etliche Staaten erließen damals Exportbeschränkungen, weil sie nicht genug für ihre eigenen Kranken hatten.
Omusilibwa beschloss deshalb, zu handeln. Er sammelte 15 Studierende aus verschiedenen Ingenieurwissenschaften, der Medizin und der Pharmakologie und holte sich grünes Licht von der Uni. Dank Sondererlaubnis konnten Omusilibwa und sein Team bleiben, arbeiten seitdem in der fast leeren Universität, schlafen im ansonsten ziemlich verwaisten Studentenwohnheim – in Kenia bleiben Schulen und Universitäten bis 2021 geschlossen.
Verlorene Semester. Ganz alleine sind sie allerdings nicht, auch andere Teams der Uni entwickeln Produkte, die helfen können, die Corona-Pandemie zu bekämpfen. Aber sie sind Ausnahmen.
Der 19-jährige Christian Murithi gehört zu den vielleicht 99 Prozent der Studierenden, die zu Hause bleiben müssen. „Ich habe das Gefühl, ein ganzes Jahr zu verlieren“, sagt er niedergeschlagen. Er sitzt im Wohnzimmer seiner Eltern, verbringt die Zeit oft vor dem Fernseher. „Das ist nicht produktiv, aber ich habe einfach zu viel freie Zeit.“
Murithi studiert Geowissenschaften an der Jomo-Kenyatta-Universität. Als die Einrichtung geschlossen wurde, war er im zweiten Semester.
Zwar schickten die Professoren per E-Mail-Verteiler Aufgaben, „aber bei uns hätte jetzt viel Praxis angestanden, online können wir kaum etwas machen“.
Er fühlt sich unwohl bei dem Gedanken, dass er seinen Eltern nun noch länger auf der Tasche liegt – auch wenn sie ihn das nicht spüren lassen. Das Schlimmste sei, dass niemand weiß, wann es weitergeht.
Produktion im Rekordtempo. Währenddessen arbeiten Omusilibwa und Co unter Hochdruck weiter. Im Raum mit den 3D-Druckern sitzen Mitglieder verschiedener Forschungsgruppen manchmal nebeneinander. An diesem Morgen überwacht Jeff Ayako aus Omusilibwas Team den Ausdruck von Verbindungsstücken für die Schläuche ihrer Prototypen.
Der 21-Jährige studiert erst seit einem Jahr Ingenieurwissenschaft und ist begeistert, schon Teil eines so wichtigen Projekts zu sein. „Ich finde das unglaublich aufregend“, sagt er. „Ich bin der jüngste im Team und habe von den älteren sehr viel gelernt.“
Zwei Drucker weiter sitzt Simon Karuga Ndirangu. Er ist mit 28 Jahren deutlich älter und studiert schon im vierten Jahr angewandte Wissenschaften mit dem Schwerpunkt Biotechnologie.
Ndirangu entwickelt Test-Kits. Die Stäbchen, mit denen die Proben aus dem Mund-Rachenraum entnommen werden, kommen bei seiner Entwicklung aus dem Drucker. „Die Produktion wird pro Stück nur einen US-Dollar kosten“, erläutert der Student stolz.
Er stellt ebenfalls noch Prototypen her, in der Massenproduktion seien später 100.000 Stück am Tag möglich.
Maina Mambo, der Dekan der Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie, schaut im Druckerraum vorbei. Er ist mit den Ergebnissen an seiner Fakultät sehr zufrieden, vor allem mit dem Prototypen Tiba-Vent: „Unser Ziel war es, ein hochwertiges, kostengünstiges Beatmungsgerät zu produzieren. Und ich denke, dass wir dieses Ziel erreicht haben.“
Im Verkauf werden die Geräte später umgerechnet 8.000 Euro kosten, schätzt Mambo. Nach seinen Angaben sind das pro Stück 14.000 Euro weniger als das derzeit billigste in Kenia erhältliche Gerät, das auf einer Intensivstation einsetzbar ist.
Der günstige Preis ergebe sich auch daraus, dass 90 Prozent aller Teile im Land hergestellt werden. Nur bestimmte Ventile müssten importiert werden, so der Dekan.
Zähe Bürokratie. Bereits Mitte April stellte die Kenyatta-Universität ihren Prototyp offiziell vor. Dann dauerte es Monate, bis alle erforderlichen Zulassungen vorlagen. Anschließend beschloss die Fakultät, das Gerät zur Sicherheit noch im klinischen Alltag zu testen, ehe es in die Massenproduktion geht.
Da sich COVID-19 in Kenia viel langsamer ausgebreitet hat als ursprünglich befürchtet, steht das Beatmungsgerät womöglich doch noch rechtzeitig zum Höhepunkt der Krise bereit, trotz schleppendem Genehmigungsverfahren.
„Jemand hat mal gesagt, Not sei die Mutter der Erfindung“, zitiert Omusilibwa ein altes Sprichwort. „Wir Kenianer haben uns viele Jahre lang darauf verlassen, dass wir medizinische Geräte im Ausland kaufen können. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um uns zu fragen, was wir selbst tun können.“
An ihren eigenen Universitäten lerne der wissenschaftliche Nachwuchs dafür genug, meint der junge Kenianer. Er hofft, dass das Projekt ein Wegbereiter ist, der auch anderen ein neues Selbstbewusstsein vermittelt.
So könnte die Corona-Pandemie der Forschung in Kenia und anderen afrikanischen Staaten einen wichtigen Schub geben.
Bettina Rühl ist freiberufliche Journalistin mit dem Schwerpunkt Afrika und arbeitet für mehrere Zeitungen sowie den Hörfunk der ARD. Sie lebt in Nairobi.
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