Devisenkontrollen und Schwiegermuttereinheiten

Von Dirk Reetlandt · · 2010/05

Viele chinesische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) tragen sich als Unternehmen ins Handelsregister ein, um legal arbeiten zu können. Ein neues Devisenkontrollgesetz soll nun den Zufluss von Spendengeldern aus dem Ausland „regeln“.

"Sex is Good. But play Safe“ steht auf dem Plakat. Auf Englisch. Auf Chinesisch steht etwas ganz anderes darunter – wie eine Ansteckung mit sexuell übertragenen Krankheiten verhindert werden kann. Und über den beiden Schriftzügen sind zwei (sich einander nicht berührende) Schnecken gemalt, von denen die eine ein Kondom über ihr Haus gezogen hat. Herausgegeben wurde das Aufklärungsplakat von einer ganzen Reihe staatlicher chinesischer Organisationen, unter anderem auch von dem Amt für Öffentliche Sicherheit der Stadt Dalian. Und nun hängt es bei Aizhixing, der von dem Aids-Aktivisten und Sacharow-Preisträger Hu Jia gegründeten Organisation. Dieser wurde im April 2008 wegen regierungskritischer Artikel und Kontakten zu ausländischen Medien zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Im Konferenzraum von Aizhixing haben sich VertreterInnen verschiedener chinesischer NGOs versammelt. Sie sprechen über ein neues Gesetz, die „Notice No. 63 [2009] of the State Administration of Foreign Exchange [SAFE]“. Eine Devisenkontrollvorschrift also. Sie besagt, dass Spenden aus dem Ausland ab dem 1. März 2010 von den chinesischen Banken nur dann ausgezahlt werden dürfen, wenn ihre Verwendung keine Gesetze und Vorschriften verletzt, weder gegen Moral noch Gemeinwohl verstößt und auch keine Rechte und Interessen der Bürger schädigt. Chinesische Unternehmen haben vor der Auszahlung von ausländischen Spendengeldern ihre Geschäftserlaubnis, einen Spendenvertrag und den Nachweis, dass die Geberorganisation wirklich eine gemeinnützige Organisation ist, vorzulegen.

„Eigentlich ist es ein fortschrittliches Gesetz“, eröffnet Wan Yanhai, ein kleiner Mann Anfang 40 und Hu Jias Nachfolger als Leiter von Aizhixing, das Treffen. „Es ist das erste Dokument, das offiziell anerkennt, dass es in China Unternehmen gibt, die gemeinnützige Arbeit machen und dafür Spenden bekommen.“ Oder anders ausgedrückt: Zum ersten Mal wird bestätigt, dass sich viele chinesische NGOs nicht als solche registrieren können und sich deshalb ins Handesregister eintragen – um überhaupt irgendwo gemeldet zu sein und legal arbeiten zu können.

Für die chinesischen NGOs ist ihre offizielle Registrierung das größte Problem. Noch größer als das lokale Fundraising. Sie brauchen dazu eine staatliche Organisation, die für sie bürgt. Behindertenorganisationen wenden sich an den staatlichen Behindertenverband, Aids-Gruppen versuchen es beim Gesundheitsamt, Umweltschutzorganisationen fragen das Umweltministerium und kirchliche Sozialdienste das Religionsbüro. Diesen staatlichen Organisationen bringt die Übernahme einer Bürgschaft aber nichts – außer zusätzlicher Verantwortung. Deswegen ist die Antwort meistens – und bei in sensiblen Bereichen tätigen NGOs so gut wie immer – ein „Nein“.

Weil die NGOs sich aber nur mit der Bürgschaft einer dieser so genannten „Schwiegermuttereinheiten“ beim Innenministerium offiziell registrieren lassen können, bleibt ihnen meistens nur die verhältnismäßig einfache Eintragung ins Handelsregister. Als steuerpflichtiges Unternehmen. Insofern geht die „Notice 63 [2009]“ sogar über eine bloße „Anerkennung“ hinaus: Wenn es so ist, dass manche Unternehmen spendenfinanzierte Non-profit-Arbeit machen, dann sind sie doch wohl auch von der Steuer zu befreien. Eine gute Sache. Aber trotzdem sieht Wan Yanhai vor allem Probleme: In der „Notice“ steht nämlich, dass alle vorzulegenden Dokumente einer notariellen Beglaubigung bedürfen. Aber wer kann zum Beispiel die Eintragung der ausländischen Geberorganisation beglaubigen? Die chinesischen Botschaften in dem betreffenden Land und also letztendlich das chinesische Außenministerium? Oder wenn es in der Vorschrift heißt, die chinesische Bank habe die Pflicht, die genaue Einhaltung des Vertrags zu überprüfen. Sie könnte dann, je nachdem, wie streng sie das Wort „genau“ auslegt, einer NGO die Arbeit unmöglich machen.

Das mag etwas paranoid klingen, aber Wan Yanhai ist ein gebranntes Kind: 2009 informierte ihn die Bank of Beijing, dass das Geld auf dem Aizhixing-Konto eingefroren worden sei: Es verstoße gegen die Devisenvorschriften, dass ein chinesisches Unternehmen Dollar- und Euro-Spenden erhalte. Wan Yanhai schickte seine Anwälte. Um welche Vorschrift handelte es sich genau? Die Bank musste zugeben, dass es keine entsprechende Vorschrift gäbe. Aber sie behauptete nun, es verstoße gegen das Spendengesetz.

Noch einmal mussten sich Wan Yanhais Anwälte auf den Weg machen. Auf welchen Paragraph bezog sich das? Ohne einen Paragraphen nennen zu können, verlangte die Bank schließlich die Belege und Quittungen von all den Ausgaben von Aizhixing, die im letzten Jahr mit den Spenden finanziert worden waren. Wan Yanhai erschien mit einem Riesenstapel in der Bank. Nach der Durchsicht meinte die Bank aber plötzlich, allein aus Belegen und Quittungen ließe sich nicht viel herauslesen – und wollte Videoaufnahmen der Aktivitäten sehen. Nun macht Aizhixing aber vor allem Aids-Aufklärung und -Beratung, und da wäre es wohl schwierig, alles, einschließlich Infizierter und bestimmter Risikogruppen, zu filmen. Abgesehen davon, dass die chinesischen Banken, wenn auch im Staatsbesitz, so doch Aktiengesellschaften sind und ein solches Verhalten weder gegenüber einem Kunden noch gegenüber einem anderen Wirtschaftsunternehmen (Aizhixing ist als Consultingagentur registriert) angemessen erscheint.

China und die Zivilgesellschaft

Das EU–China Civil Society Forum ist ein Netzwerk von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Europa und China und setzt sich dafür ein, dass soziale, ökologische und menschenrechtliche Entwicklungsziele die Grundlage der Beziehungen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsländer zu China bilden.
Ziele des Netzwerks sind außerdem, dass die chinesischen Tochter- und Beteiligungsgesellschaften sowie die Lieferanten von Unternehmen mit Sitz innerhalb der EU grundlegende Arbeitsnormen und ökologische Standards einhalten. Weiters sollen die europäisch-chinesischen Beziehungen von der Öffentlichkeit realistisch bewertet werden, qualifizierte Chinabilder die öffentliche Meinung in der EU bestimmen und Zerr- und Feindbilder ebenso zurückgedrängt werden wie Euphemismen.
red

Aktuelle Informationen zum Projekt auf www.eu-china.net

Meng Weina, die Gründerin von Huiling, einer Organisation, die sich um die Betreuung von Menschen mit geistiger Behinderung kümmert, sieht das neue Gesetz dagegen viel gelassener. Sie hat die Huiling-Niederlassungen in zehn chinesischen Provinzhauptstädten bei ihren jeweiligen Banken, hauptsächlich der Industrial und der Commercial Bank of China, anrufen lassen. Das Ergebnis: Niemand hatte dort von der Notice No. 63 [2009] auch nur gehört. Sie rät deswegen dringend dazu, keine schlafenden Hunde zu wecken und schon gar nicht von der SAFE eine Konkretisierung ihrer Vorschrift zu verlangen. Sie selbst wüssten nicht genau Bescheid, die Banken wüssten nicht genau Bescheid – prima. Was kümmert sich eine Bank um notarielle Bestätigungen! Schließlich habe Huiling auch seit der Gründung vor 20 Jahren insgesamt über 100 Millionen RMB Yuan Spenden aus dem Ausland erhalten – und nie Steuern dafür gezahlt. Weil es den Steuerinspektoren, die ihre Arbeit kannten, peinlich gewesen wäre, etwas zu verlangen. Weil am Jahresende sowieso nie etwas übrig war. Und weil sich die Bank schon gar nicht darum kümmerte.

Daraufhin meldet sich eine junge Frau aus Hongkong, die in einem ländlichen Entwicklungsprojekt in der Provinz Henan arbeitet. „Wir wussten nichts von dieser neuen Vorschrift“, erzählt sie. „Sonst hätten wir das Geld vor dem 1. März abgehoben. … Es geht auch nicht um viel – 8.000 US-Dollar. Aber als wir die abheben wollten, haben die Bankangestellten sehr wohl eine notarielle Beglaubigung der Dokumente verlangt. Beim Notar wurde uns dann gesagt, dass Vertreter beider Seiten persönlich anwesend sein müssten, um die Unterschrift unter dem Vertrag zu bestätigen.“ Das ging natürlich nicht – das Geld stammte von einer US-Stiftung, und deren rechtlicher Vertreter befindet sich in den USA. Eine Alternative konnte der Notar aber nicht nennen. Meng Weina rät ihr daraufhin, es erst einmal bei einem anderen Notar zu versuchen – Notare gäbe es viele, und sie alle wollten gerne etwas verdienen. Aber Wan Yanhai sieht seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt: „Was ist, wenn wir aus dem Ausland Geld bekommen, um einen Film zu drehen, der sich für die Rechte Homosexueller in China einsetzt?“, fragt er in die Runde. „Welcher Notar bestätigt mir das?“

Kann es also sein, dass die Förderung chinesischer NGOs aus dem Ausland wirklich vollständig unterbunden wird? Um das mit Bestimmtheit zu sagen, ist es noch zu früh. Aber wahrscheinlich ist es nicht. Als Unternehmen registrierte NGOs könnten ihre „Dienstleistungen“ zur Not einfach (steuerpflichtig) an die Ausländer verkaufen. In den großen Städten gibt es ausländische Banken, wo sich – an der SAFE vorbei – 17.000 RMB Yuan (knapp 1.900 1) pro Tag abheben lassen. Und schließlich ist es nicht im Interesse der Regierung, der SAFE und der NGOs, dass Kuriere mit Taschen voll Bargeld über Hongkong einreisen.

Die Diskussion läuft noch einige Zeit lebhaft weiter. Beim Verlassen des Gebäudes werden die TeilnehmerInnen des Treffens von der gegenüberliegenden Straßenseite aus fotografiert – auch dem Amt für Öffentliche Sicherheit der Stadt Peking ist es lieber, wenn „safe“ gespielt wird.

Dirk Olaf Reetlandt studierte Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Entwicklungsländer und Sinologie. Er lebt seit elf Jahren in der VR China. Seit 2005 ist er als Berater für chinesische NGOs besonders in den Bereichen Fundraisung, Finanzmanagement und Wirkungserfassung tätig. Er war bei dem oben beschriebenen NGO-Treffen anwesend.

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