Detektivarbeit für den Artenschutz

Von Robert Lessmann · ·
Die Schüler:innen finden vor allem den Forensik-Workshop spannend. © Robert Lessmann

Sie ist ein weltweites Milliardengeschäft und eine der stärksten Bedrohungen für die Artenvielfalt: die Wildtierkriminalität. Ein Projekt für Schulklassen bietet Aufklärung an.

Von Robert Lessmann

Raus aus dem Klassenzimmer, rein ins Leben, projektbezogenes Lernen, praxisnah und fächerübergreifend. So hätte ich mir Unterricht vorgestellt, dachte sich der Autor, als er von einem innovativen Projekt für Oberstufenklassen hörte, und ging Ende Jänner zum Kick-Off-Meeting ins Naturhistorische Museum Wien (NHM).

„Eine coole Abwechslung zum Schulalltag“, findet Kati vom BRG Perchtoldsdorf schon nach den ersten einleitenden Vorträgen. Besonders „arg“ findet sie, dass Tiere für Zwecke der Modeindustrie gequält und getötet werden. Und ihre Nachbarin Amelie merkt an: „Was man theoretisch über Artenschutz gehört hat, wird hier plastisch und greifbar.“

Vom Entdecken und Aufdecken

Es geht um Wildlife Crime, also Wildtierkriminalität, die neben dem Verlust an natürlichen Lebensräumen eine Riesenbedrohung für die Biodiversität darstellt – und ein Milliardengeschäft ist. Juristisch gesprochen geht es um Verstöße gegen das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES) aus dem Jahr 1973. Es legt Regeln für den Handel mit über 36.000 geschützten Wildtier- und Pflanzenarten fest und verpflichtet die Vertragspartner:innen, Verstöße zu ahnden.

Die Palette an Delikten ist vielfältig und reicht vom illegalen Handel mit verbotenen Haustieren, Jagdtrophäen, Modeartikeln und Kunstgegenständen über den verbotenen Handel mit (pseudo-) medizinischen Inhaltsstoffen wie angeblich potenzsteigerndem Pulver aus Nashorn-Horn bis zum Verzehr von Fleisch wildlebender Tiere wie etwa von Pangolinen (Schuppentieren). Letztere sind in den Verdacht geraten, maßgeblich zur Entstehung von SARS-CoV-2 und damit zur Covid-19-Pandemie beigetragen zu haben.

Jorge Eduardo Ríos vom in Wien ansässigen United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) macht in seinem Vortrag vor den Schüler:innen klar, dass die verantwortlichen Menschen, beispielsweise Wilderer, nicht selten aus der Not heraus handeln (über die Widersprüche berichtete das Südwind-Magazin im Artikel Naturschutz versus Menschenrechte LINK: https://www.suedwind-magazin.at/naturschutz-versus-menschenrechte). Die großen Profite würden, wie oft im Bereich der organisierten Kriminalität, auf höherer Ebene im Handel erzielt. Österreich spielt als Binnenland dabei vor allem im Transit eine Rolle. 

Globale Dimension

Im Projekt geht es um fächerübergreifendes Lernen und Forschen zu einem Thema von globaler Reichweite über 18 Monate mit Oberstufenklassen verschiedener Schulen. Zwei aus Wien, eine aus Graz und eine aus Niederösterreich nehmen daran teil. Im Rahmen der Forschungsförderschiene Sparkling Science wird es von der Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD) mit 180.000 Euro gefördert. Ziele sind die Sensibilisierung für das Thema, interaktive Beteiligung an Forschungsprozessen und Einblicke in themenrelevante Berufsfelder. Partner – die auch von den Klassen besucht werden – sind das UNODC, das Finanzministerium (Zollamt Österreich), der WWF Österreich, die IUCN-SSC Crocodile Specialist Group (virtuell), eine Schlangenfarm in Bangkok (virtuell) und andere mehr.

Sigrun Pirker und Astrid Süssenbacher, Lehrerinnen am Gymnasium Sacré Coeur in Graz, berichten, dass das Projekt sehr positiv bis begeistert aufgenommen wird. Insbesondere Geografie- und Biologieklassen sind beteiligt, doch spielen auch andere Fächer wie Englisch bei länderübergreifendem Geschehen eine Rolle. Doch nicht nur: Der WWF und BirdLife Österreich weisen auch auf lokale Problematiken hin, wie etwa illegale Abschüsse oder Vergiftungen von Fischotter, Wolf, Bär oder Steinadler. Meist gehe es dabei nicht um kommerzielle Nutzung, sondern um Jagdtrophäen oder Nutzungskonflikte etwa in der Land- und Teichwirtschaft.

Forschung vor der Haustür

Lokale Handlungsoptionen zu einem globalen Problem sind auch im Rahmen der Forschungen anvisiert. Etwa Recherchen im Familien- und Bekanntenkreis, aber auch auf Flohmärkten, in Putzereien und im Handel. Was finden wir in unserer unmittelbaren Umgebung? Forschungsergebnisse werden gemeinsam auf der European Citizen Science Conference im April 2024 präsentiert. In jeder Schule werden Vitrinen zum Thema aufgestellt. Die beteiligten Schüler:innen sollen quasi Botschafter:innen gegen Wildlife Crime werden, wünscht sich Lisa Seidl vom UNODC.

Während der verschiedenen Impulsvorträge am Vormittag des Kick-Off-Meetings dauert es eine Weile, bis es wirklich interaktiv wird. Vor allem Thomas Jost vom Zoll muss dann viele Fragen beantworten. Dass die Schüler:innen zunächst einmal vor allem die Forensik spannend finden, wird bei den Gesprächen mit ihnen in der Mittagspause deutlich. Begeisterung kommt auch in einem anderen Workshop auf: An einem fiktiven Schauplatz von Elefanten-Wilderei dürfen die jungen „Kriminalist:innen“ unter fachkundiger Anleitung Fingerabdrücke von einem echten Stoßzahn nehmen, konservieren und abgleichen. Fortsetzung folgt demnächst in der Wiener UNO City, wo die Teilnehmer:innen auf einer fiktiven Konferenz als „Diplomat:innen“ nach Lösungsansätzen suchen.

Robert Lessmann arbeitet als freier Journalist und Autor in Wien, die Vereinten Nationen sind dabei ein Schwerpunkt.

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