Der Wiener General Nguyęn Dân

Von Judith Brandner · · 2001/04

Der Österreicher Ernst Frey wurde 1938 aus rassischen und politischen Gründen aus seiner Heimat vertrieben. In Frankreich trat er in die Fremdenlegion ein und landete schließlich in Vietnam, wo er in der Armee Hô Chi Minhs für die Unabhängigkeit von ťFranzösisch-IndochinaŤ kämpfte.

Das ist das Originalmanuskript“ sagen Irma und Sylvia, die beiden Töchter von Ernst Frey, und legen lächelnd drei dicke, schwarzgebundene Bände auf den Tisch. Auf 1200 eng beschriebenen Maschinenseiten hat Ernst Frey von 1968 bis 1972 sein Leben niedergeschrieben; verpackt in eine fiktive Rahmenhandlung, die Namen und zum Teil das Geschlecht der ProtagonistInnen verfälscht. ”Das Schreiben war für meinen Vater nach seiner Rückkehr aus Vietnam Überlebensstrategie“, erzählt Irma, die ältere der beiden. Sie war die erste, der der Vater damals über das Buchprojekt erzählte. ”Es war eine Zeit lang unser Geheimnis“, sagt Irma. Den Entwurf schrieb der Vater mit der Hand, im Kaffeehaus sitzend. Später tippte er zu Hause seine handschriftlichen Notizen in eine klapprige Schreibmaschine – ein Bild, das beide Töchter noch deutlich vor Augen haben.

Im Bemühen, das Buch zu veröffentlichen, wanderte Ernst Frey von Verlag zu Verlag, doch allein der Umfang seines Werks schreckte jahrzehntelang jeden Verleger ab. Aber zu Kürzungen konnte sich Ernst Frey Zeit seines Lebens nicht aufraffen. ”Das hätte für Vater bedeutet, einen Teil seines Lebens wegzustreichen. Das konnte er nicht“, erklären die Töchter und fügen hinzu: ”Wäre er noch am Leben, wäre es jetzt für die Herausgeberin Doris Sottopietra sehr mühsam geworden, denn er hätte sicher um jeden Satz gestritten!“
Die Sozialwissenschaftlerin und studierte Germanistin erkannte sehr rasch, dass die Lebensgeschichte des Ernst Frey mehr ist als ”nur“ eine Überlebendengeschichte: ”Es ist eine überaus politische Geschichte“, begründet sie, weshalb sie das Manuskript für wert befand, es zu einem Buch zu machen. Obwohl das kaum zu bewältigen war: ”Es war so umfangreich, dass man beim Lesen den roten Faden verloren hat“, sagt Sottopietra.

Am Beginn des Buches steht jetzt Ernst Freys politische Sozialisation in Österreich, ohne die sein späterer Einsatz im vietnamesischen Unabhängigkeitskrieg nicht vorstellbar wäre. Schon im Ständestaat war Ernst Frey als junger Mann mehrfach aufgrund seiner politischen Überzeugungen inhaftiert. Er war zunächst Sozialdemokrat, schloss sich jedoch nach den Februarkämpfen des Jahres 1934 den Kommunisten an. Unter den Nazis wurde er zum zweifach Verfolgten und Diskriminierten: politisch und rassisch. Denn erst die Nazis machten den Sohn aus einer assimilierten Familie, der längst aus der Kultusgemeinde ausgetreten war, zum Juden.
1938 gab es für Ernst Frey nur mehr die Flucht aus Österreich. Über die Schweiz gelangte er völlig mittellos nach Paris, und dort setzte er einen verblüffenden Schritt: Er trat in die Fremdenlegion ein. ”Das war wohl weniger eine bewusste Entscheidung denn eine Möglichkeit, zu überleben. Er war ja am Verhungern“, erklären Irma und Sylvia. Frey war zudem überzeugt, dass früher oder später alle gegen Hitler kämpfen würden, also auch die Legion. Die Ironie seines Lebens sollte es sein, dass er nie die Möglichkeit bekommen sollte, diesen, seinen größten Feind, zu bekämpfen.

Die Fremdenlegion schickt ihn nach Algerien, in eine öde und kahle Gegend am Ende der Welt, wo er es schon nach kurzer Zeit kaum mehr aushält. Die Nachricht vom Hitler-Stalin-Pakt trifft ihn, wie er schreibt, wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht. Zum ersten Mal, seit er in der KP ist, stellt er sich gegen die Parteilinie. Ende 1940 stellt Frey erbittert fest, dass er vom Kampf gegen den Nationalsozialismus weiter entfernt ist denn je. In dieser Situation fasst er einen absurd klingenden Plan: Er meldet sich freiwillig für Indochina – denn er ist überzeugt, dass das Schiff bei der Überfahrt in britische Hände fallen würde. Im Krieg gegen Hitlerdeutschland würde Großbritannien jeden Soldaten brauchen können, also auch ihn, so seine Strategie. Doch es kommt anders: Unbehelligt trifft das Schiff am 1. Juli 1941 in Saigon ein.

Die Legionskaserne befindet sich im Norden Vietnams, wo auch die vietnamesischen Unabhängigkeitskämpfer agieren. Frey gründet eine kommunistische Zelle innerhalb der Fremdenlegion und nimmt Kontakt zur KP Indochinas auf, in die er schließlich auch aufgenommen wird. 1945 setzen ihn die Franzosen wegen seiner guten Kontakte als offiziellen Vermittler bei Verhandlungen mit den vietnamesischen Freiheitskämpfern ein. Doch Frey steht auf der Seite des Viet Minh, verlässt schließlich die Legion und kämpft gemeinsam mit Hô Chi Minhs Leuten so manchen bedeutenden Kampf gegen die Franzosen. Zugute kommt ihm die militärische Ausbildung, die er in der Legion erhalten hat und mit der er auch eine Elitetruppe für den Guerillakrieg ausbildet. 1946, mit 31 Jahren, wird Frey als Oberst Nguyęn Dân zum Oberst der vietnamesischen Armee ernannt.

Er liebt das Land, er ist überzeugt davon, sich für die richtige Sache einzusetzen. Er erlebt mit, wie Präsident Hô Chi Minh am 2. September 1945 die Unabhängigkeit des Landes erklärt, er kämpft wichtige Schlachten, wird Oberkommandierender und Wehrkreisleiter. Er steht in engem Kontakt zu den wichtigsten politischen Vertretern, etwa zu ZK-Mitglied Vo Nguyęn Giap, dem späteren Verteidigungsminister.

Plötzlich kommt es zu einer dramatischen Wende im Leben des Ernst Frey. Schwere Schuldgefühle und Alpträume plagen den Kämpfer, der viele Tote auf dem Gewissen hat. Er versucht, seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch der Selbstmordversuch scheitert. Was war geschehen? ”Er war sicher sehr einsam“, erklären seine Töchter den Bruch, ”dazu kam die drückende Ungewissheit über das Schicksal seiner Eltern“. Erst Jahre später, in Wien, sollte Frey Gewissheit darüber bekommen, was ihn als böse Ahnung stets begleitet hatte: beide Eltern waren in Lodz ermordet worden. Doch es gab noch weitere Gründe für die Verzweiflung des Ernst Frey: Seit einer Weile nagten Zweifel am Kurs der Partei an ihm. Dazu kam eine herbe Enttäuschung, als Vo Nguyęn Giap, sein enger Vertrauter, eine seiner militärstrategischen Entscheidungen verwirft. Diese Wunde war so tief, dass er noch 1992, in einem späten, aussöhnenden Briefwechsel mit General Giap, darüber schrieb.

1950 erlaubt ihm die KP, das Land zu verlassen, wie er es schon zwei Jahre zuvor beantragt hatte. So können beide Seiten das Gesicht wahren. Doch nach allem, was geschehen ist, nach der Kritik, die Frey an der Partei übte, kommt der Abschied eigentlich einem Hinauswurf gleich. Am 25. Mai 1951 trifft Ernst Frey wieder in Österreich ein und muss hier bei Null beginnen: die Eltern ermordet, die Schwester nach England vertrieben, die Wohnung arisiert. Mit dem ungeliebten Beruf eines Handelsvertreters hält der Intellektuelle, der er zeitlebens ist, sich und die junge Familie, die er schon bald gründet, am Leben. Lesen, Politik, Geschichte und schließlich sein Buch bleiben ihm stets wichtiger als der Brotberuf.

Bis zuletzt ist Ernst Frey ein Suchender geblieben, einer, der nach Gerechtigkeit strebt und sich selbst treu bleibt. Der ehemalige Kämpfer ist in Österreich Pazifist und glühender Verfechter des Zivildienstes. Er lässt keine Gelegenheit aus, sich politisch zu Wort zu melden, engagiert sich bei Greenpeace und Amnesty International. Er erfüllt sich einen lange gehegten Wunsch und lässt sich taufen, tritt der katholischen Kirche bei – und wieder aus, als er sich nicht mehr voll mit ihrem Weg identifizieren kann. Er tritt den Grünen bei – und wieder aus, als er mit einer ihrer Entscheidungen nicht einverstanden ist. Rund 40 Jahre lang gibt es keinen Kontakt zu Vietnam mehr – doch in seinen letzten Lebensjahren schließt sich der Kreis. Er knüpft neue Freundschaften zu Vietnam und versöhnt sich mit den alten Kampfgenossen. Zu einem Besuch des Landes sollte es nicht mehr kommen. Das, was er erlebt hatte, hat sein Herz zu schwer in Mitleidenschaft gezogen. 1994, mit 79, hört es auf zu schlagen. Seine Töchter begleiten ihn die letzten Stunden seines Lebens rund um die Uhr. Seine letzten Worte sind der Auftrag an sie, sein Manuskript zu veröffentlichen.

Die Autorin lebt als freie Radiojournalistin, Autorin und Übersetzerin in Wien. Das Buch ”Vietnam mon amour“, herausgegeben von Doris Sottopietra, ist soeben im Czernin Verlag Wien erschienen.

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