Mit ihren mittlerweile fast 50 ist die Entwicklungshilfe oder -zusammenarbeit in die Jahre gekommen. Reife bewirkt einen anderen Umgang mit vielen Dingen im Leben, vor allem auch mit Zielen und Ressourcen.
Das globale Unterfangen „Entwicklung“ ist institutionell ziemlich gut verankert: Es beruht auf gesetzlichen Grundlagen und internationalen Verpflichtungen – etwa in der EU, bis 2010 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens dafür zur Verfügung zu stellen. Internationale Entwicklung kann an der Universität studiert werden. Seit der Jahrtausendwende gibt es mit den Millennium Development Goals so klar formulierte Ziele wie nie zuvor. Diese acht Ziele sind messbar, und der Stand ihrer Erreichung wird laufend überprüft – wodurch allen Entwicklungs-AkteurInnen klar ist, dass, wenn sie überhaupt erreicht werden sollen, die Hilfe quantitativ und qualitativ verbessert werden muss.
In dieser Absicht haben 2005 mehr als 100 VertreterInnen von Regierungen, Entwicklungsbanken und multilateralen Entwicklungsorganisationen die so genannte Pariser Erklärung unterzeichnet. Sie soll sicher stellen, dass Gelder sinnvoll und sparsam eingesetzt und Doppelgleisigkeiten vermieden werden – bei gleichzeitiger Stärkung der Partnerschaft mit den Empfängerländern. Seit der Pariser Erklärung ist „Wirksamkeit“ ein Schlüsselwort für internationale EntwicklerInnen.
Ohne Zweifel sind die Ansprüche der Pariser Erklärung legitim und wichtig. Schließlich handelt es sich um öffentliches Geld. Auch die nichtstaatlichen Entwicklungsorganisationen stellen sich dem allgegenwärtigen Effizienzdruck. Man zerbricht sich den Kopf, wie Wirksamkeit gemessen werden kann und soll.
Doch nicht alles, was wirkt, ist messbar. Stellt man zu dem „wie“ die Frage „was messen?“, zeigt sich das zweite Gesicht des Entwicklungsdenkens: das Widerständige, das sich nicht mit dem Bestehenden abfinden will. Das zum Beispiel in den berührenden Worten des indischen Theatermachers Sanjoy Ganguly (siehe Seite 22) steckt: Entwicklung finde statt in der Dialektik zwischen unlösbaren Problemen und dem Versuch, sie zu überwinden.
Entwicklung geschieht nicht nur innerhalb eines Projektmanagementzyklus, sie ist auch ein Bewusstwerdungsprozess. Emanzipation hat immer ein offenes Ergebnis, das sich naturgemäß einer verlässlichen Messbarkeit entzieht.
Und gerade diese zweite Seite von Entwicklung ist für viele AkteurInnen auf jeden Fall in den reichen Ländern die eigentliche Motivation, sich in diesem – politisch weit unter seinem Wert geschlagenen – Feld beruflich oder ehrenamtlich zu engagieren. Wer sich mit Entwicklung beschäftigt, der schielt meist nicht auf das große Geld oder die fulminante Karriere, sondern folgt einem idealistischeren Antrieb: dem Streben nach Gerechtigkeit, Sinn, Wissen, Verstehen oder eben auch Widerstand.
Diese beiden Aspekte von Entwicklung lassen sich trefflich gegeneinander ausspielen: Wenn, schwarz-weiß gemalt, weltfremde Weltverbesserer kalten Technokraten gegenüberstehen. Dabei braucht nachhaltige Entwicklung beides: die Ebene der messbaren Wirksamkeit, aber auch das innere Feuer, die Begeisterung darüber, am Widerstand zu wachsen.