Im Herbst wählen Tunesien und Ägypten. Doch Wahlen allein beleben keine Demokratie.
Anfang September wurden sie wieder aktiv: Die AktivistInnen des ägyptischen Tahrir-Platzes riefen zum Widerstand auf. Die Wahlen in Ägypten wurden auf November verschoben. Die AktivistInnen fürchten um ihre Revolution. Sie fordern einen festen Zeitplan für die Wahlen und die Machtübergabe vom Militär an eine zivile Regierung. Denn einen fixen Wahltermin oder Zeitplan gibt es noch immer nicht.
In Tunesien wird die für Ende Oktober angesetzte Wahl hitzig organisiert. Erste Probleme und Unstimmigkeiten in der Registrierung der WählerInnen tun sich bereits auf, vor allem bei den im Ausland lebenden TunesierInnen. Viele von ihnen wollen zum ersten Mal in ihrem Leben wählen. Gab es bis vor kurzem kaum eine andere Wahl als den Langzeitregenten Zine Ben Ali zu wählen, hat Tunesien jetzt eine unüberschaubare Landschaft aus 100 Parteien. Wen wählen? Hat doch kaum eine der Parteien ein gewachsenes Profil oder schon irgendetwas vollbracht.
Mit all den Problemen, die ein postdiktatorisches Land hat, Wahlen zu organisieren, und selbst wenn diese mehr oder weniger reibungslos über die Bühne gehen sollten, muss man sich doch vor Augen halten: Wahlen allein machen aus einem arabischen Frühling noch keinen arabischen Sommer.
Letztens habe ich durch das Südwind Magazin vom November 2010 geblättert: „Demokratie der Zukunft“ war das Thema dieser Ausgabe. Die Kernaussage war: Wahlen sind Bestandteil, aber nicht definierendes Merkmal einer Demokratie. Denn wie in diesem Thema klar wurde: Demokratie ist viel mehr. Dass beispielsweise Meinungs- und Pressefreiheit oder der Aufbau eines unabhängigen Polizei- und Justizapparats notwendig sind, ist wahrscheinlich auch den meisten PolitikerInnen und StrategInnen in Ägypten und Tunesien bewusst. Das sind zumindest einige Teile der offiziellen Strukturen einer Demokratie. Doch demokratische Strukturen müssen auch von unten aufgebaut werden. Denn gerade das ägyptische und tunesische Volk hat mit seiner unbremsbaren Energie deutlich gezeigt, dass es teilnehmen will – am politischen Leben. Mit den Demonstrationen Anfang September haben die ÄgypterInnen bewiesen, dass sie immer noch die Energie der Revolution haben, um den Mächtigen auf die Finger zu schauen. Doch diese Energie muss auf lange Sicht konstruktive Kanäle finden. Der Aufbau einer partizipativen Demokratie muss geschehen.
Die Etablierung demokratischer Basis-Strukturen und Institutionen wird wohl nicht so medientauglich sein wie die Revolution, sie wird im Stillen passieren. Kommunalversammlungen ergeben keine aufrüttelnden Bilder. Und wen interessieren schon die neuesten Twittermeldungen vom Volksbakkalaureat, so wie es in vielen Ländern Lateinamerikas als demokratische Basiseinrichtung betrieben wird? Doch es ist notwendig. Als Demokratie sollte man nie vergessen, wie es schon im Südwind Magazin im November 2010 stand: An der Wahlurne wird die Demokratie oft eher zu Grabe getragen als belebt.
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