Die Schlinge um den Hals des Expräsidenten von Nicaragua zieht sich immer weiter zu – doch Arnoldo Alemán kämpft weiter. Der Großteil seiner Familie hat vorsorglicherweise das Land verlassen.
Statt den Präsidenten wegen Verleumdung und übler Nachrede zu klagen, werde ich ihn auf dem Zivilweg zur Rechenschaft ziehen, wegen Ruf- und Geschäftsschädigung.“ Diese herausfordernden Worte kommen direkt von Arnoldo Alemán, bis zu Beginn dieses Jahres Staats- und Regierungschef von Nicaragua und bis vor kurzem Parlamentspräsident. Und die Person, der er eine Zivilklage androht, ist sein langjähriger Vizepräsident und Amtsnachfolger, Ernesto Bolaños.
Nach der Amtsübergabe von Alemán an Bolaños hatten sich immer mehr Verdachtsmomente gegen den Expräsidenten wegen Korruption und Veruntreuung staatlicher Gelder angehäuft. Immer mehr ehemalige MitarbeiterInnen Alemáns wurden wegen Unterschlagung und Amtsmissbrauch angeklagt, einige auch verurteilt. Ermittlungen gegen Alemán selbst scheiterten jedoch an seiner parlamentarischen Immunität: Auf Grund des mit den Sandinisten abgeschlossenen berüchtigten „Paktes“ erhielt Alemán automatisch einen Parlamentssitz, und mit der totalen Unterstützung seiner eigenen Partei hatte er sich – gegen den Willen von Noch-Parteifreund Bolaños – zum Parlamentspräsidenten wählen lassen.
Der Paukenschlag erfolgte am 7. August. Der Staatspräsident gab in einer Pressekonferenz „mit Scham und Wut“ bekannt, seine Regierung verfüge über schlüssige Beweise darüber, dass Alemán in massive Betrügereien am Staat und in Geldwäschegeschäfte in Höhe von mindestens 100 Millionen Dollar verwickelt sei. Die Anklage richtete sich auch gegen Tochter María Dolores – ebenfalls Parlamentsabgeordnete –, gegen eine Schwester und zwei Brüder des Expräsidenten sowie gegen eine Anzahl von Mitgliedern seiner früheren Regierung. „O Arnoldo, wie konntest du nur!“, rief der Präsident aus, jener Ernesto Bolaños, der während der gesamten Regierungszeit Alemáns als Vizepräsident zugleich dem Antikorruptions-Ausschuss vorsaß. Alemán hatte im Laufe seiner fünfjährigen Amtszeit ein riesiges Korruptionsnetzwerk aufgebaut, mit dem er vor allem Steuereinkünfte auf seine Konten abzweigte. Staatliche Gelder wurden an verschiedene Firmen für Dienstleistungen oder den Kauf von Inventar überwiesen, diese wechselten die Córdobas in Dollars und leiteten das Geld auf Konten im Ausland weiter, vielfach an eine ominöse „Demokratische Stiftung Nicaraguas“(!). Die Gesellschafter dieser Privatstiftung sind Arnoldo Alemán, Tochter María Dolores, sein – mittlerweile inhaftierter – Intimus Byron Jerez und der frühere Privatsekretär Alfredo Fernández.
Im Zuge der Ermittlungen tauchten immer mehr Konten dieser Stiftung und des Alemán-Clans in Panama, Costa Rica, Honduras und schließlich auch in den USA auf. Manche BeobachterInnen nehmen an, dass dem Staat durch dieses Korruptions-Netzwerk ein Schaden von über 600 Millionen US-Dollar erwuchs. Zum Vergleich: Die Gesamtexporte Nicaraguas dürften sich heuer auf 595 Mio. Dollar belaufen.
Eine Schlüsselfrage ist die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Alemán. Richterin Juana Méndez, die die Ermittlungen gegen Alemán & Co. ins Rollen gebracht hatte, verlangte vom Parlament bereits vor Monaten die Aufhebung, doch wurde diese durch die liberale Mehrheit stets verhindert. Erst am 19. September konnte mit den Stimmen einiger Liberaler und der gesamten Opposition eine knappe Mehrheit (47 von 92 Sitzen) das Parlamentspräsidium abwählen und dadurch das Prozedere zur Aufhebung der Immunität des nunmehr „einfachen“ Abgeordneten Alemán in Gang setzen. Anfang November dürfte darüber entschieden werden.
„Gefängnis oder Exil“ sei das Schicksal Alemáns, meinte Generalstaatsanwalt Francisco Fiallos auf die Frage, wie die Korruptionsaffäre für den ehemaligen Staatschef ausgehe. Dabei könnte sich das Gefängnis auch jenseits der Staatsgrenzen befinden: Präsident Bush hat Saubermann Bolaños seine volle Unterstützung zugesichert; die US-amerikanische Justiz wird sehr wahrscheinlich die Auslieferung Alemáns wegen Verletzung nationaler Steuergesetze und eventuell auch Geldwäsche verlangen.
Für Enrique Bolaños ist die Konzentration der öffentlichen Aufmerksamkeit auf den gigantischen Betrugsfall nur von Vorteil. Nicht nur dass er nun als aufrechter Politiker hohe Beliebtheitswerte einfährt – und von Nicaraguas Geberländern als solcher gelobt und gehätschelt wird. Diese Aufmerksamkeit verhindert auch den Blick auf die weiterhin katastrophale soziale und wirtschaftliche Lage des Großteils der Bevölkerung.