Der Spirit lebt

Von Redaktion · · 2016/07

Von Sommer bis Herbst 2015 halfen zahlreiche Ehrenamtliche, die ankommenden und weiterreisenden Flüchtlinge zu versorgen. Richard Solder ging der Frage nach, was von der Zeit und vom Engagement geblieben ist.

Im Bürokomplex in der Lindengasse 48-52 im siebten Wiener Bezirk gehen Menschen aus und ein. Bis 2014 wurde hier eine Tageszeitung gemacht, mittlerweile ist der „Kurier“ nach Heiligenstadt umgezogen. Aktuell leben in der vom Roten Kreuz betreuten Notunterkunft rund 100 Flüchtlinge.

Stefanie Schlögl bringt immer wieder Sachspenden hierher. Zahnpasta, Seife, Shampoo – auf dem Facebook-Auftritt der Notunterkunft informiert sie sich vorab, woran es akut mangelt.

Sie gehört zu jenen BürgerInnen, die anfingen, ehrenamtlich mit anzupacken, als im Sommer 2015 viele Flüchtlinge in Österreich landeten. Bilder von hungrigen, ausgelaugten Flüchtlingen auf dem Weg nach Mitteleuropa lösten hierzulande eine Welle der Solidarität aus.

Spontan gebildete Gruppen ergänzten die Arbeit der Hilfsorganisationen. Sie brachten Lebensmittel und Kleider an die Sammelstellen, gaben Stunden lang Essen aus, versorgten die Ankommenden mit Wasser, Information und Motivation. Es entstanden private Initiativen wie „happy.thankyou.moreplease“ oder „Train of Hope“.

Genug zugeschaut. Bei vielen war es die Situation im Erstaufnahmezentrum im niederösterreichischen Traiskirchen, die sie selbst aktiv werden ließ. So auch bei Stefanie Schlögl: „Ich habe eine richtige Wut bekommen, als ich gesehen habe, wie man dort mit Menschen umgeht“, so die 35-Jährige.

Im Frühsommer mussten die Asylwerbenden in Traiskirchen unter schwierigen Bedingungen leben, teils wegen Platzmangel vor den Gebäuden campieren. Stefanie Schlögl fuhr nach ihrem Feierabend nach Traiskirchen, um Sachspenden abzugeben. Die Hilfe für die Flüchtlinge sollte sie die nächsten Wochen und Monate nicht mehr loslassen.

Infos dafür holte sie sich über soziale Medien – bis heute steht sie so mit Ko-HelferInnen in Kontakt.

Zu einem besonderen Tag wurde der 5. September 2015. Rund 9.000 Flüchtlinge kamen aus Ungarn über die Grenze nach Österreich, die meisten reisten dann mit der Bahn Richtung Deutschland weiter. Am Wiener Hauptbahnhof sowie am Westbahnhof fanden sich ehrenamtliche HelferInnen ein. So auch Anna Fuchs. „Ich bin die erste halbe Stunde ratlos herumgestanden“, erinnert sich die 37-Jährige zurück. „Es war ein ziemliches Chaos. Plötzlich klebte mir jemand ein Pickerl an, auf dem ‚Obstmanagerin‘ stand. Dann ging es los.“

Seitdem ist Anna Fuchs aktiv. Sie war in den vergangen zwölf Monaten praktisch überall, wo Not an Frau und Mann war: Westbahnhof, Hauptbahnhof, Ungarn, österreichische Grenze in Nickelsdorf bzw. in Salzburg. Sogar auf der Balkanroute im Winter krempelte sie die Ärmel hoch: Im kroatischen Transitlager Slavonski Brod an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina.

Kreativ initiativ

Die ÖsterreicherInnen gingen mit den Herausforderungen rund um die vielen ankommenden Flüchtlinge im Sommer 2015 kreativ um. Bei der Erstversorgung spielten die „klassischen“ Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz, die Caritas oder die Diakonie eine wichtige Rolle, doch daneben auch neu entstandene Plattformen wie „happy.thankyou.moreplease“ oder „Train of Hope“.

Am 31. August 2015 rief Jugendarbeiterin Nadia Rida in Wien zur Demonstration „Mensch sein in Österreich“ auf, 20.000 Menschen nahmen teil. Zum von der Volkshilfe organisierten Solidaritätskonzert „Voices for Refugees“ am 3. Oktober am Wiener Heldenplatz kamen mehr als 100.000 BesucherInnen.

„Refugees welcome“-T-Shirts wurden produziert, etwa zu Gunsten des „Freunde Schützen“ Hauses. Die private Initiative „GiveHope“ verkauft seit damals Armbänder mit diesem Motto darauf, der Reinerlös geht an den Verein Ute Bock.

Fußball- oder etwa auch American Football-Gruppen ermöglichen Flüchtlingen, sportlich aktiv zu werden. Es werden Musikunterricht und Kunst-Workshops für Refugees angeboten.

Der beeindruckende Einsatz der Ehrenamtlichen im Sommer 2015 ist auch für andere Bereiche interessant. Die Unternehmensberater Culen Mayhofer & Partner fragten sich etwa, was Firmen von den Freiwilligen am Haupt- bzw. Westbahnhof lernen können. Die HelferInnen hätten sich demnach schnell selbst organisiert, auf ständig wechselnde Bedingungen gut reagiert und seien höchst motiviert gewesen. sol

Dort machten ihr die Umstände zu schaffen: Es war kalt, die Flüchtlinge wurden von den Behörden so schnell vorbei gescheucht, dass die HelferInnen kaum Zeit hatten, ihnen dringend benötigte Winterkleidung zuzustecken. „Wir wussten zudem nie genau, wann die Züge ankommen würden“, erinnert sich Anna Fuchs. „Die Bilder von den Zügen, die ins Camp einfahren und von verängstigten, erschöpften Leuten, die zur Registrierung in alte Schweinemastkäfige getrieben wurden, ließen mich noch öfter aus dem Schlaf hochschrecken.“

Innerhalb der HelferInnen-Gruppen habe man darauf geachtet, wie es den KollegInnen geht, sowohl seelisch als auch körperlich. „Manche haben Nächte durchgearbeitet“, betont Anna Fuchs. „Ich spüre zum Glück, wenn ich Erholung brauche.“

Über den Schatten springen. Lange konnte sich Anna Fuchs dabei ein derartiges Engagement gar nicht vorstellen, obwohl sie schon immer an sozialen Themen interessiert war. „Es war schon eine gewisse Hemmschwelle da, wie sie wohl einige haben“, so die zurückhaltende, bescheidene Flüchtlingshelferin. Die Einsätze würden mit viel Unerwartetem einhergehen, man habe ständig mit neuen Menschen zu tun und müsse laufend improvisieren. „Am ersten Tag am Westbahnhof dachte ich, dass wir nur am Anfang aus dem Stegreif organisieren müssen. Aber das blieb dann die nächsten Monate so“, sagt sie und muss schmunzeln.

Manche HelferInnen erzählen, dass ihr Engagement ihnen selbst gut getan hat. „Man kann von den Flüchtlingen lernen“, erklärt etwa Stefanie Schlögl. Trotz Ausnahmesituation hätten sie ruhig und konzentriert versucht, von A nach B zu gelangen.

Stefanie Schlögl ist schon länger ehrenamtlich aktiv. Der von ihr 2009 mitgegründete Verein Goodball unterstützt Flüchtlingsprojekte. Doch 2015 stellte für die gebürtige Oberösterreicherin eine neue Dimension dar: „Es war eine emotionale Sache mitzuerleben, wie sich Menschen emanzipieren – in unserer Zivilgesellschaft, und auch bei den Flüchtlingen.“ Die Refugees hätten sich immer wieder selbst organisiert und ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen, etwa als eine große Gruppe Flüchtlinge aus Budapest Richtung österreichische Grenze losmarschierte.

In manchen Fällen hatte das Engagement eine regelrecht therapeutische Wirkung für die HelferInnen: „Mir ging es im vergangenen Sommer nicht gut“, berichtet Andreas Jagersberger. Eine langjährige Beziehung war in die Brüche gegangen. „Am 6. September hatte ich Geburtstag, war allein, niedergeschlagen. Ich bin spontan zum Westbahnhof gefahren und habe geholfen, Wasserflaschen, Bananen und Süßigkeiten auszuteilen“, so der 27-Jährige heute. „Ich weiß, wie pathetisch das klingt, aber ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich den ankommenden Menschen mehr geholfen habe oder sie mir.“ Er erinnere sich noch gut daran, wie eine Flüchtlingsfamilie vor ihm stand, „die Mutter mit ihren Kindern am Arm und der Dankbarkeit in den Augen“.

Neuausrichtung. Andreas Jagersberger war lange bei kleineren Initiativen dabei. Mittlerweile ist er in der Caritas Österreich für Flüchtlingskommunikation und Unternehmenskooperationen zuständig. Er kennt die unterschiedlichen Zugänge: „Wenn du dich bei etablierten Organisationen meldest, um zu helfen, kann das durchaus dauern. Bei kleinen Gruppen bekommt man mit der ersten Antwort die konkrete Info, wann man wo sein soll.“ Peter Wesely, Sprecher von Flüchtlingskoordinator Christian Konrad, beschreibt das Verhältnis anhand einer Metapher: „Große NGOs sind vergleichbar mit Tankern. Die kleinen Initiativen sind wie Schnellboote oder Schlauchboote. Sie sind wendiger, haben aber eine andere Stärke und Reichweite. Verstehen sie sich als Flottenverband, haben sie neue gemeinsame Chancen.“

Diesen Sommer haben Flüchtlinge kaum eine Chance, über den Balkan nach Mitteleuropa zu gelangen. Die Neuausrichtung weg von der Erstversorgung hin zu anderen Aufgaben machen nicht alle der 2015 entstandenen Flüchtlingsinitiativen gleich stark mit. „Train of Hope“, Ende 2015 noch mit dem Menschenrechtspreis der Österreichischen Liga für Menschenrechte ausgezeichnet, ist aktuell kaum präsent. Viele Mitglieder der vielversprechenden Plattform widmen sich wieder ihrem Alltag.

Ehrenamtliche Hilfe ist allerdings trotzdem gefragt. „Es gibt nach wie vor genug zu tun“, betont Stefanie Schlögl. Vorrangig sei nun, Wohnmöglichkeiten für jene Flüchtlinge zu finden, die hierbleiben dürfen. Zudem würden Personen gesucht, die Deutschkurse geben, oder mit BewohnerInnen von Flüchtlingsheimen etwas unternehmen. „Der Alltag, nicht zuletzt das Nichtstunkönnen, ist für viele schwierig“, so Stefanie Schlögl.

Dazu beitragen will auch Anna Fuchs. Sie hat mit Leuten, die sie von Hilfseinsätzen kennt, einen Verein gegründet. „Kultur bewegt“ soll Angebote für Asylwerbende koordinieren. „Es kommt etwa vor, dass sich Frauen nicht aus den Quartieren trauen.“

Zudem gäbe es Möglichkeiten, die von Flüchtlingen nicht genutzt werden. Museen, Konzerthäuser oder Sportvereine würden oftmals etwas anbieten, wovon zu wenige Asylwerbende erfahren. „Kultur bewegt“ will das ändern.

Die kleine Initiative habe sich dabei bewusst dagegen entschieden, sich an eine Hilfsorganisation anzuhängen: „Wir können das allein unbürokratischer angehen und haben damit in manchen Situationen mehr Möglichkeiten.“

Sowohl „Goodball“ als auch „Kultur bewegt“ sind für InteressentInnen offen.

www.goodball.at

www.kultur-bewegt.at

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