Der mexikanische Priester Alejandro Solalinde bietet MigrantInnen auf der Durchreise in die USA Schutz. Warum er viel riskiert, hat er Christina Schröder erzählt.
Alejandro Solalinde hat Morddrohungen bekommen, wurde eingesperrt und verprügelt. Drei Millionen US-Dollar hat die mexikanische Drogenmafia auf seinen Kopf ausgesetzt. Auf die Frage, wie er unter solchem Druck lebt, lächelt er breit und reagiert mit einem überzeugenden: „tranquilo“, in Ruhe. „Ich habe keine Angst vor dem Tod und hege keinen Groll – gegen niemanden. Ich habe meinen Glauben, erfreue mich bester Gesundheit und habe immer etwas zu Essen, herrlich“, sagt er. Das kleine Kreuz aus Holz, das er um den Hals hat, schwingt nach vorn, als er zu den Waffeln greift, die vor ihm am Tisch stehen.
Straße statt Kirche. Der mexikanische Priester Solalinde ist 72 Jahre alt und war heuer für den Friedennobelpreis nominiert. Er studierte Geschichte, Philosophie, Katholische Theologie, Klassische Literatur und Familientherapeutik. Er verließ das Priesterseminar, weil es, wie er einmal vor Medien sagte, auf der Straße mehr bedürftige Arme gäbe als unter den wenigen BesucherInnen der Gotteshäuser.
Solalinde ist einer, der Dinge offen ausspricht: Vertretern der Kirche, inklusive dem ihm vorgesetzten Bischof, widersetzt er sich gerne, er wirft ihnen eine „verfehlte Auffassung des Evangeliums“ vor; mexikanische PolitikerInnen vergleicht der Padre mitunter mit dem organisierten Verbrechen; US-Präsident Donald Trump bezeichnet er als einen „kranken Menschen, der süchtig nach Geld ist“, die Präsidentschaftsanwärterin der Demokraten 2016, Hillary Clinton, „als Trump, nur mit freundlicherem Gesicht“.
Solalinde wurde Wanderpriester. 2008 begann er, in ganz Mexiko Herbergen zu errichten, in denen Menschen aus Zentralamerika vorübergehend Schutz und Versorgung finden, wenn sie unter lebensgefährlichen Bedingungen das Land queren, um in die USA zu gelangen. Seit über zehn Jahren nennen ihn die Leute den „Migrantenheiligen“.
Die MigrantInnen aus Zentralamerika seien „der Rohstoff für eine ganze Industrie, tot oder lebendig“, sagt der Padre und fährt fort: „Sie werden verschleppt, verfolgt, erpresst, gezwungen, versteckte Tunnel zu graben, dann ermordet, damit sie nichts darüber ausplaudern können. Ihre Organe werden verkauft, und sogar die Sarg-Firmen profitieren gut von diesem Geschäft, ganz zu schweigen vom organisierten Verbrechen und der Politik, die da unter einer Decke stecken.“
Dass er sich gegen das organisierte Verbrechen und korrupte Politiker stellt, erklärt die Bedrohung, der der Padre ausgesetzt ist. Vier Bodyguards schützen sein Leben.
2012 bekam er so massive Morddrohungen, dass er vorübergehend in die USA umzog. Amnesty International unterstützt ihn seit vielen Jahren. Die NGO fordert Schutz für ihn und andere MenschenrechtsverteidigerInnen in Mexiko.
Diesen Sommer organisierte Amnesty eine zweimonatige Europa-Reise mit Solalinde. Mitte September kam er zur Dreikönigsorganisation nach Wien und sprach mit verschiedenen NGOs, JournalistInnen und VertreterInnen internationaler Organisationen über die Situation in Mexiko.
Empfehlung an Europa. Solalinde, der viel Erfahrung mit Migration in Richtung USA hat, warnt davor, in Europa die Grenzen dicht zu machen: „Migration ist wie ein Schneeball, man kann sie nur kurz halten.“ Die Menschen wären nicht von ihrem Ziel abzubringen, auch wenn es noch so gefährlich ist.
Alle Menschen seien auf der Suche nach der Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Im globalen Norden verortet Solalinde eine kulturelle Erschöpfung, die sich im Konsumrausch und im Übersehen der eigentlich schönen Dinge offenbart. „Bei MigrantInnen, die alles verloren oder zurückgelassen haben, bemerke ich immer wieder, dass sie Sinn sehen im Leben und sich gegenseitig Energie und Kraft geben“, so Solalinde. Deswegen sind sie für ihn die Zukunft, auch die Europas.
Als er das sagt, verbreitet er mit seinem zuversichtlichem, verschmitzten Lächeln und wachen Blick das beruhigende Gefühl der Hoffnung.
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