In Thailand eskalierte erneut die Gewalt. Der Konflikt zwischen den rivalisierenden Lagern droht über kurz oder lang außer Kontrolle zu geraten. Ein Bürgerkrieg rückt in den Bereich des Möglichen. Aus Bangkok berichtet Nicola Glass.
In jenen Tagen Mitte Mai gleicht Bangkok einem Kriegsschauplatz: Schüsse, Granatenattacken, blutige Zusammenstöße – der Konflikt zwischen Regierung und Rothemden hat sich erneut verschärft, es gibt Tote und Verletzte. Die Roten bereiteten sich zuletzt gar auf einen Sturm der Armee gegen das von ihnen besetzte Gebiet vor: Mit Wällen aus Bambusstöcken, Autoreifen und Kübeln voller Steine hatten sich die Anti-Regierungs-DemonstrantInnen zuletzt eine Wagenburg gebaut, hinter der sie sich verschanzten. Was bis Anfang April noch eine der wichtigsten Verkehrsadern Bangkoks war, umgeben von teuren Hotels und Luxuskaufhäusern, wurde zum „roten“ Gebiet. Die Protestierenden schworen, durchzuhalten bis zuletzt. Auch wenn die Armee einmarschieren sollte.
Der Unmut der „Roten“ richtet sich vor allem gegen Premierminister Abhisit Vejjajiva: Dieser Liebling des konservativen Establishments sei nicht durch Wahlen an die Macht gekommen, sondern durch politische Ränkespiele und mit Hilfe des Militärs. Trotz alledem schien vor kurzem noch eine Annäherung der rivalisierenden Lager möglich. Abhisit, wegen der Proteste zunehmend unter Druck, hatte vorgezogene Neuwahlen für Mitte November vorgeschlagen sowie Bedingungen für eine nationale Versöhnung.
Die Anführer der Rothemden stimmten zu – einige zumindest. Anderen aber erschienen die Offerte der Regierung nicht weit genug zu gehen. Deshalb stellten sie neue Forderungen. BeobachterInnen sprechen von einem Zwist innerhalb der roten Führerriege. Das Hin und Her wiederum ging Abhisit zu weit – und er sagte den anvisierten Wahltermin ab. Nach der jüngsten Gewalt scheinen die Gräben in Thailands Gesellschaft unüberbrückbar.
Die Rothemden, die sich offiziell „Vereinigte Front für Demokratie gegen Diktatur“ (UDD) nennen, sind alles andere als eine einheitliche Bewegung. Die Reisbäuerinnen und -bauern aus den Nord- und Nordostprovinzen träumen genauso wie viele TagelöhnerInnen in den Städten davon, dass der von ihnen gewählte und 2006 vom Militär gestürzte frühere Premierminister Thaksin Shinawatra zurückkommen möge. So wie der Tuk-Tuk-Fahrer Thongphoon Chansamrong. „Ich mag Thaksin, er war gut für Thailands Wirtschaft“, sagt der 49-Jährige. Thaksin war jedoch alles andere als der von seinen AnhängerInnen gepriesene „Held der Demokratie“. Nicht nur, dass der Geschasste korrupt war. Seine Regierung war auch für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich.
Anderen hingegen ist Thaksin völlig egal. Als Börsenmakler gehöre er nun wirklich nicht zu Thailands Armen, sagt ein Mann, der sich mit „Chai-Chai“ vorstellt. Er macht bei den Rothemden mit, weil er für den Erhalt des Prinzips „Eine Stimme für jeden Wähler“ kämpft. „Momentan leben wir in einem Militärstaat, nicht in einer echten Demokratie“, moniert auch der Arzt Weng Tojirakarn, ein hochrangiger UDD-Aktivist. 1973 hatte er Studentenproteste gegen Thailands Militär angeführt. Er wolle gewaltlos demonstrieren, betonte Weng. Andere seiner MitstreiterInnen aber machten mit spektakulären, teils aggressiven Aktionen wie der kurzzeitigen Erstürmung des Parlamentsgeländes Anfang April Schlagzeilen. Die Regierung hatte daraufhin den Ausnahmezustand verhängt.
Den Protestierenden steht eine Elite aus konservativen Bürokraten, Generälen und alteingesessener Mittel- und Oberschicht gegenüber, die keineswegs willens ist, politische Macht und finanziellen Wohlstand mit der ärmeren Bevölkerungsmehrheit zu teilen. Letztere zeigt sich angesichts dieser Benachteiligung zunehmend wütend und frustriert. Hinzu kamen Vorwürfe seitens der Regierung, die Rothemden wollten die Monarchie abschaffen – Anschuldigungen, welche die Anführer der UDD vehement von sich weisen.
Ihr Kampf, so die „Roten“, sei ein Klassenkampf – zwischen den „prai“, den Geschundenen, den Machtlosen auf der einen und den „amart“, den Privilegierten, der konservativen Oberschicht auf der anderen Seite. Dass sich Rothemden als „prai“ bezeichnen, bedeutet den bewussten Bruch mit einem kulturellen Tabu; letzteres gilt als Schmähwort und wird öffentlich kaum verwendet. Die Roten aber tragen diese Bezeichnung nun mit Stolz.
„Die Landbevölkerung und die Arbeiter in den Städten haben es satt, Bürger zweiter Klasse zu sein“, urteilt der Politikwissenschaftler Federico Ferrara von der Nationalen Universität Singapur. „Und sie haben es satt, von Leuten, die durch Ausbeutung und Bestechung reich geworden sind, gesagt zu bekommen, sie seien zu dumm und minderwertig, um jene Rechte zu genießen, die Bürgern in demokratischen Ländern zuerkannt werden.“ Wobei die Armen mit ihren Forderungen nicht allein sind. Längst haben sie auch Zulauf aus der moderat denkenden Mittelschicht gewonnen. Diese ideologische Konfrontation zerreißt das Land.
Eine Schlüsselrolle spielt das ebenfalls tief gespaltene Militär. Etliche Soldaten sympathisieren mit den Rothemden. „Wassermelonen-Soldaten“ nennt man sie, weil ihre Uniformen grün, ihre Herzen aber rot sind. Eine Kluft gibt es auch innerhalb der Top-Riege – hauptsächlich, was den Umgang mit den Rothemden betrifft. Armeechef Anupong Paochinda, der einst dem Rat für Nationale Sicherheit angehörte, dessen Generäle 2006 gegen Thaksin putschten, ist beileibe kein „Wassermelonen-Soldat“. Aber er hat den Einsatz von Gewalt stets abgelehnt.
Doch Anupongs Stellvertreter und designierter Nachfolger, General Prayuth Chan-ocha, ziert sich da weniger. Prayuth war es denn auch, der bei der versuchten Niederschlagung der Proteste am 10. April das Kommando führte. Das Ganze geriet außer Kontrolle – nicht zuletzt wegen einer mysteriösen Gruppe von „Männern in Schwarz“. Beobachter sprechen von Cliquen innerhalb der Armee selbst. Jene militärisch geschulten Gruppen hätten die Demos der Rothemden und deren versuchte Niederschlagung ausgenutzt, um mit Rivalen in den eigenen Reihen abzurechnen. Einer der dabei Ermordeten galt im Militär als aufsteigender Stern, der Anupong nahe gestanden haben soll.
Wochen danach, als die Gewalt nun erneut ausbrach, traf es jemanden, der seine „rote“ Gesinnung und seine Unterstützung für Thaksin offen zur Schau stellte: Der von der Armee suspendierte Generalmajor Khattiya Sawasdipol, ein Hardliner, von dem sich die moderateren UDD-Anführer distanziert hatten, war am Abend des 13. Mai angeschossen und schwer verletzt worden. Ein Rothemden-Sprecher mutmaßte, Khattiya sei von einem Scharfschützen der Armee angegriffen worden. Das aber weist letztere entschieden zurück. Nach den jüngsten Konfrontationen droht die Lage in Thailand außer Kontrolle zu geraten. Es wird befürchtet, dass sie in Bürgerkrieg ausartet.
Nicola Glass ist freie Südostasien-Korrespondentin für Hörfunk und Printmedien und lebt schon seit Jahren in der thailändischen Hauptstadt.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Endredaktion dieses Artikels bis kurz vor Drucklegung des Heftes verschoben. Angesichts der sich überstürzenden Ereignisse kann sich bis zum Erscheinungstermin wieder viel verändert haben.
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