Der Rechenfehler

Von Martina Weinbacher · · 2012/02

Der wissenschaftliche Beirat der Europäischen Umweltagentur fordert ein Umdenken in der europäischen Bioenergiepolitik. Nachwachsende Rohstoffe sind nicht das Allheilmittel.

Ausgehend von der Annahme, die Verbrennung von Biomasse sei klimaneutral, empfahlen in den letzten Jahren zahlreiche wissenschaftliche Gutachten, dass in den kommenden Jahrzehnten 20 bis 50 Prozent des Weltenergiebedarfs mit Bioenergie abgedeckt werden sollten. Dazu müsste man allerdings die derzeitige Anbaufläche für Energie aus nachwachsenden Rohstoffen je nach Schätzung verdoppeln bis verdreifachen. Kritiker, wie Bernhard Obermayer von Greenpeace Österreich, erkennen schon lange die innewohnende Problematik: „Die große Nachfrage nach diesen Rohstoffen führt zur Plantagenwirtschaft im Süden und zur Konkurrenz zwischen dem Anbau von Lebensmitteln und den Rohstoffen für die Energiegewinnung.“

Die katastrophalen Auswirkungen dieser Politik zeigten sich bereits bei der mexikanischen „Tortilla-Krise“. Wegen der enormen Nachfrage nach Ethanol in den USA, zu dessen Erzeugung massenweise Mais in Mexiko eingekauft wurde, verdoppelte sich dort 2007 der Kilopreis für (aus Mais erzeugten) Tortillas innerhalb weniger Wochen. Viele mindervermögende MexikanerInnen konnten sich damals ihr Hauptnahrungsmittel nur mehr beschränkt leisten. Die negativen sozialen Effekte alleine erreichten allerdings bei der internationalen Politik kein Umdenken.

Die Europäische Union will weiterhin den Anteil von Biokraftstoffen im Verkehrssektor bis 2020 von derzeit 5,75% auf 10% erhöhen. Doch nun erkennt der Beirat der Umweltagentur der EU (EUA) nicht nur energiepolitische Fehler, sondern auch Irrtümer bei der Berechnung des Einsparungspotenzials von Treibhausgasen durch Bioenergie. Diese lassen sich laut Fachleuten bis zum Kyotoprotokoll zurückverfolgen. Obwohl das CO2, das bei der Verbrennung von nachhaltigen Rohstoffen freigesetzt wird, bereits während des Wachstums in derselben Pflanze gebunden wurde, ist die produzierte Energie nicht klimaneutral. Denn würde man auf dem vorgesehenen Land keine Rohstoffe anbauen, wüchsen dort andere Pflanzen, die ohnedies Treibhausgase binden. So werden den Treibhauseffekt reduzierende Vorgänge derzeit doppelt erfasst.

Auch die Folgen von Landnutzungsänderungen wurden laut dem Beirat der EUA unzureichend in die Rechensysteme integriert. Denn eine gleich große Fläche Wald speichert viel mehr Klimagase als etwa eine Plantage für Biomasse. „Besonders kritisch ist die Situation, wenn Regenwälder gerodet werden, wie etwa in Indonesien“, warnt Johannes Wahlmüller, Klimaexperte bei Global 2000: „Abgesehen vom Verlust an Biodiversität und Lebensraum der indigenen Bevölkerung werden durch die Umwidmung im Boden gebundene Klimagase freigesetzt.“

Indonesien ist mittlerweile der drittgrößte CO2-Emittent weltweit. Grund dafür sind Palmölplantagen, die großflächig auf den Torfböden des ursprünglichen Urwaldgebiets angelegt wurden. Bernhard Obermayer von Greenpeace bestätigt dies und weist auf eine Greenpeace-Fallstudie hin, aus der hervorgeht, dass eine Tonne auf Torfboden produziertem Palmöl fast 20 Mal so hohe Emissionen verursacht wie die Verbrennung einer Tonne Rohöl. Bioenergie aus nachwachsenden Rohstoffen könnte deshalb sogar zu mehr globaler Erwärmung führen. „Nur wenn Bioenergie von Biomasse stammt, die ohnehin CO2 an die Atmosphäre abgegeben hätte, wie tierische Fäkalien, dann ist die Gewinnung unterstützenswert“, meint Helmut Haberl, Professor am Institut für Soziale Ökologie der Universität Klagenfurt. Die bis dato geführte politische Debatte über den Einsatz von Biomasse sei nicht nur äußerst bedenklich, sondern grenze an einen Schildbürgerstreich.

Ideen, wie die Klimaerwärmung wirklich in den Griff zu kriegen wäre, gibt es genügend. Bleibt zu hoffen, dass die europäische Politik nun endlich verantwortungsvoll handelt und Lobbys, wie etwa die Automobilindustrie, in die Schranken weist.

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