„Alles oder nichts“ war Fujimoris Devise bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen in Peru. Doch mit legalen Mitteln war ein dritter Sieg des Langzeitherrschers an den Urnen nicht mehr zu erzielen, obwohl gerade die Armsten für den „Chinito“ stimmt
In den Städten leben unzählige Familien in notdürftig errichteten einräumigen Hütten ohne Wasser und Strom. Sie überleben nur dank der „comedores populares“, Volksausspeisungsstätten, die Mitte der achtziger Jahre spontan entstanden sind. Sie haben sich im letzten Jahrzehnt weiter verbreitet, im Zuge der Strukturanpassungsmaßnahmen, deren Durchführung Fujimori in seinen Wahlkampagnen stets ablehnte.
„Es geht uns immer noch schlechter. Mein Mann kommt manchmal nur mit 5 Soles (ca. 20 Schilling; Anm.) am Tag nach Hause. Wie soll ich davon meine acht Kinder ernähren?“, fragt Rosa Urteaga, eine 37-jährige Bewohnerin eines Elendsviertels an einem Berghang in der östlichen Peripherie von Lima. Ein Drittel der acht Millionen EinwohnerInnen Limas lebt in solchen Vierteln.
Rosa kauft in einem dieser Comedores drei bis vier Portionen, die sie dann unter allen Familienmitgliedern aufteilt. In den Umfragen werden diese Menschen als „Sektor E“ bezeichnet. Es sind die Menschen, die am meisten unter der neoliberalen Politik des Präsidenten Fujimori leiden – und die zugleich die wichtigste Basis für den Staatschef darstellen.
Dieses widersprüchliche Phänomen hat bisher nur bei wenigen AnalytikerInnen der sozialen Lage Perus Interesse erweckt. Nach einer Untersuchung des „Instituts für Peruanische Studien“ wird der autoritäre Regierungsstil des Präsidenten in diesen Vierteln mit Sympathie aufgenommen. Der Soziologe Rolando Ames erklärt, dass die marginalisierten Schichten in Peru „von Geburt an in einer Situation des Autoritarismus leben“: „Eine strikt politische Analyse reicht in Peru nicht aus, da sie die kulturellen Faktoren nicht berücksichtigt.“
Auch der Politologe Fernando Rospigliosi denkt in diese Richtung: „Die Leute können schwerlich demokratische Werte akzeptieren, wenn im Bereich ihrer eigenen Erfahrungen die Demokratie nicht funktioniert“.
Für Ames ist Fujimoris Regierung „weder demokratisch noch eine Diktatur, sondern autoritär, und autoritäre Regimes stellen heute in der Welt die Mehrheit dar. Fujimori hat ein autoritäres Regime im Zeichen der Globalisierung und demokratischer Wahlen errichtet“, so der peruanische Soziologe.
Der 1990 durch einen Erdrutschsieg an die Macht gekommene Staatschef hat immer wieder erklärt, er sei kein traditioneller Politiker – obwohl er auf traditionelle politische Methoden der Machtsicherung zurückgreift. Dabei ist der Populismus Fujimoris charakteristischste Methode. Um zum Beispiel die Wahlen von 1995 zu gewinnen, hat der Präsident kurz vorher zahlreiche Schulen errichten lassen, die er dann im Wahlkampf einweihte. Fünf Jahre später sind die meisten dieser kleinen Schulgebäude auf Grund des schlechten Baumaterials wieder eingestürzt, oder es gibt keine Lehrkräfte für den Betrieb.
Fujimori reiste auch in die entferntesten Siedlungen, die noch nie zuvor ein Präsident besucht hatte, und verteilte Computer in Orten ohne Strom oder Lastwagen in Gebieten ohne Straßen. Er spannte auch Volksorganisationen wie die „Mütter-Clubs“, die das Mitte der achtziger Jahre vom damaligen Bürgermeister Limas, Alfonso Barrantes, gegründete Sozialprogramm „Ein Glas Milch“ betreuen für seine Zwecke ein; wie auch die schon erwähnten Comedores Populares .
Das „Nationale Ernährungsprogramm“ (PRONAA) versorgt diese Organisationen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern – im Austausch gegen Regierungstreue.
Im letzten Wahlkampf wurden die Frauen, die das Milch-Programm oder die Volksausspeisungsstätten betreuen, angewiesen, bei den Wahlkampfveranstaltungen Fujimoris präsent zu sein. Andernfalls, so die Drohungen, würden die Nahrungsmittellieferungen gekürzt.
„In der ersten Runde sagten sie uns, dass wir zu den Meetings von Präsident Fujimori andere Frauen unserer Vereinigung mitnehmen sollten. Viele bescheidene Frauen hatten Angst und akzeptierten diese Bedingung, auch wenn sie damit nicht einverstanden sind“, entrüstet sich Pilar Revello, Leiterin eines Comedor Popular in Pamplona, einem südlichen Randviertel Limas.
Viele nationale und internationale WahlbeobachterInnen und JournalistInnen haben die Gerüchte bestätigt, wonach die TeilnehmerInnen an regierungstreuen Wahlveranstaltungen Geld erhielten. Darauf weist auch die Tatsache hin, dass es nach dem ersten Wahldurchgang am 9. April wohl große Demonstrationen gegen den Wahlschwindel gab, doch keine einzige spontante Unterstützungsaktion für den Präsidenten.
Nach Zeitungsberichten erhielten die TeilnehmerInnen an Fujimori-Veranstaltungen umgerechnet zwischen 3 und 5 Dollar.
Doch obwohl der Präsident die ganze Regierungsmaschinerie einsetzte, um auch den zweiten Wahlgang am 28. Mai für sich zu entscheiden, lief nicht alles nach Wunsch. Nach einer Meinungsumfrage der renommierten Nationalen Technischen Universität führt Toledo kurz vor dem zweiten Durchgang mit 48% gegenüber Fujimori mit 40%. Nach Meinung politischer BeobachterInnen läßt sich dieser Stimmenrückgang für den Staatschef – der in der ersten Runde nach offiziellen Angaben mit 49% an der Spitze lag – auf die massiven Anschuldigungen wegen Wahlschwindels zurückführen. Und darauf, dass Fujimori nun bereits mit dem Makel des Verlierers behaftet ist, da er nicht, wie selbst immer wieder angekündigt, schon im ersten Durchgang haushoh gewann.
Die Beharrlichkeit, mit der Fujimori sich an der Macht festklammern will, obwohl ihm die Verfassung die neuerliche Kandidatur untersagt hätte, polarisierte das Land in Anhänger und Gegner des Präsidenten. Letztere sind vor allem Jugendliche, die Fujimori als Hypothek für ihre Zukunft betrachten. Der Staatschef hat seine Wahlkampagne auf seine beiden Erfolge konzentriert: die Kontrolle der Inflation und die Niederschlagung des Terrorismus. Er hat aber keine Auswege für die Wirtschaftsrezession vorgelegt.
Wenn es gelingt, den Wahlschwindel aufzuhalten, und Toledo gewinnt, so wird dieser sich mit der titanischen Aufgabe konfrontiert sehen, die Wirtschaft zu reaktivieren, um Arbeitsplätze zu schaffen, und dem Land die demokratischen Einrichtungen wieder zurückzugeben.
Die Autorin ist peruanische Journalistin und gegenwärtig Redakteurin der Nachrichtenagentur Noticias Aliadas/Latinamerica Press in Peru. In den 80-iger Jahren war sie Mitarbeiterin von „Barricada International“ in Nicaragua.
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