Die Verankerung des christlichen Erbes in der EU-Verfassung scheint vielen ArchitektInnen dieser europäischen „Magna Charta“ wichtiger zu sein als die Fragen der Entwicklungszusammenarbeit. Es fehlt eine klare Definition entwicklungspolitischer Ziele und eine Abgrenzung gegen die Außen-, Handels- und Sicherheitspolitik, meint Claudia Bonk.
Am 4. Oktober hat die Regierungskonferenz zur Ausarbeitung einer europäischen Verfassung begonnen. Regierungschefs der alten und zukünftigen Mitgliedsstaaten diskutieren den Entwurf des EU-Konvents, der – extra zu diesem Zweck einberufen – Reformvorschläge erarbeitet hat, wie die EU nach der Erweiterung weiter funktionieren kann, welche Rolle Europa in der Welt einnehmen soll und auch wie Europa den BürgerInnen näher gebracht werden kann.
Die Aufgabe besteht nun darin, vor den Wahlen zum EU-Parlament im Mai nächsten Jahres einen Vertragstext zu beschließen. Einige PolitikerInnen warnen vor dem Aufschnüren des schon ausgehandelten Pakets überhaupt. Doch das scheint momentan eher unwahrscheinlich. Schon streiten sich große und kleine Länder über Anzahl und Stimmrechte der Kommissare, über die vorgeschlagene Abschaffung des Rotationsprinzips der EU-Präsidentschaft, über den Vorschlag, den Posten eines EU-Außenministers zu schaffen, und über die Ausdehnung der Bereiche, in denen Mehrheitsbeschlüsse gefasst werden. Die einen befürchten, dass die großen Länder die kleinen „über den Tisch ziehen“, andere befürchten, dass ihnen lieb gewonnene Stimmrechte abhanden kommen. Wieder anderen geht der Entwurf einfach zu weit, sie wollen der EU nicht so weitreichende Kompetenzen zugestehen.
Was aber bedeuten die Vorschläge für die europäische Entwicklungszusammenarbeit? Erleichterung einerseits, denn im dritten Teil der Verfassung, der die Politikbereiche und die Arbeitsweise der EU beschreibt, findet sich ein eigener Abschnitt zur Entwicklungszusammenarbeit. Und in diesem ist auch weiterhin Armutsbekämpfung und -beseitigung als Hauptziel der EU-Entwicklungszusammenarbeit genannt. Auch bleibt die EZA der EU komplementär zu der der Mitgliedstaaten, d.h. alle Mitgliedsländer und die Kommission engagieren sich und sollen ihre entwicklungspolitischen Bemühungen abstimmen. Ebenfalls findet sich die Forderung nach Abstimmung der politischen Aktivitäten wieder, die Auswirkungen auf Entwicklungsländer haben können. Doch dies ist eine alte Forderung, Stichwort Handels- und Agrarpolitik, die auch in der Vergangenheit nicht eingehalten wurde.
Positiv zu vermerken ist das Vorhandensein der Forderung nach nachhaltiger Entwicklung und der Ansatz zur partizipativen Demokratie, bei dem allerdings eine strategische Ausrichtung mit fest verankerten Konsultationsmechanismen vermisst wird.
An vielen Stellen im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten und ihrer Implementation scheint der Verfassungstext jedoch (absichtlich?) schwammig zu sein, so dass viel Interpretationsraum besteht. Aus entwicklungspolitischer Sicht fehlt es an klarer Differenzierung zwischen erstens Zielen und Maßnahmen einer Politik allgemein und zweitens zwischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einerseits und Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe andererseits. Werden die Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und Strukturen der Entscheidungsfindung nicht deutlicher definiert, besteht die Möglichkeit des Missbrauchs der humanitären Hilfe für Zwecke des „Kampfes gegen den Terror“, der die für humanitäre Hilfe essenziellen Prinzipien der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit unterminiert. Ebenso besteht mit dem vorhandenen Text die Gefahr, dass die Entwicklungszusammenarbeit für europäische Eigeninteressen genutzt wird, das heißt lediglich als Mittel für außen-, handels- und sicherheitspolitische Zwecke eingesetzt und damit ihr eigentliches Ziel, die Armutsbekämpfung, aus den Augen verloren wird. Dies wird seit Jahren von entwicklungspolitischen ExpertInnen beobachtet und moniert und hat sich im Konventsprozess weiter in die „falsche“ Richtung entwickelt.
Viele wichtige Forderungen der entwicklungspolitischen NGOs wurden nicht berücksichtigt. Dazu gehört z.B. das Prinzip der Partnerschaft, das von vielen AkteurInnen als essenziell für eine erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit eingeschätzt wird und im Cotonou-Vertrag mit den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP) bereits verankert wurde.
Zu weit gegangen ist man aus NGO-Sicht im Artikel 223, wo für Jugendliche ein Europäisches Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe festgeschrieben wurde. Dies ist schlicht unprofessionell, da in diesem Bereich oft von Kriegen schwer traumatisierte Menschen zu betreuen sind und dies wiederum zu einer Traumatisierung der BetreuerInnen führen kann, wenn diese nicht professionell ausgebildet und vorbereitet sind.
Die Situation für die entwicklungspolitischen NGOs ist zwiespältig bezüglich ihres weiteren Vorgehens. Soll in dieser letzten heißen Phase noch versucht werden, die offenen Forderungen durchzusetzen? Oder muss das, was erreicht wurde, jetzt sogar verteidigt werden? Trotz Forderungen nach offenen, transparenten Verhandlungen und einem existierenden Fahrplan der Regierungskonferenz finden die Verhandlungen nun hinter verschlossenen Türen statt und keiner weiß, wann genau welche Themen verhandelt werden. Außerdem scheint sich niemand in der jetzigen Phase für Entwicklungszusammenarbeit zu interessieren. Doch wenn der Kuhhandel zwischen Anzahl der Kommissare und gewähltem Ratspräsidenten, zwischen Verankerung des christlichen Erbes und Stimmrechten losgeht, scheint nicht einmal der magere Entwicklungsparagraph sicher.
Die Autorin ist Expertin für EU-Entwicklungspolitik und arbeitet bis vor kurzem im Bereich NGOs und Osterweiterung in Brüssel. Zurzeit ist sie Referentin eines EU-Projekts bei der Südwind Agentur.