Siebzig Jahre nach ihrer Verabschiedung würde sich die Weltgemeinschaft heute wohl nicht mehr auf eine „Universelle Erklärung der Menschenrechte“ einigen, ist Manfred Nowak überzeugt.
Sie war auch eine Reaktion auf die Menschenverachtung des Nationalsozialismus: die 1948 durch die Vereinten Nationen verabschiedete „Universelle Erklärung der Menschenrechte“1). Bis heute kann sich auf sie berufen, wer der Würde des Menschen Geltung verschaffen möchte. In Zeiten von Autoritarismus und Rechtspopulismus wirkt sie wie ein Aufruf zur Rückbesinnung auf den antifaschistischen Grundkonsens, der die Erklärung einst ermöglicht hat.
Die Vereinten Nationen (UNO) wurden 1945 in Reaktion auf zwei verheerende Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise, den Aufstieg des Faschismus und die Barbarei des Holocaust gegründet. Sie wollten nichts weniger als eine neue ökonomische und soziale Weltordnung, um eine Wiederholung dieser schrecklichen Ereignisse zu verhindern. Diese neue Weltordnung sollte auf drei Pfeilern errichtet werden: Friede und Sicherheit (Freiheit von Angst und Gewalt), Entwicklung (Freiheit von Not und Armut) und Menschenrechte (Respekt vor der allen Menschen innewohnenden Würde).
Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wurde der Krieg als Mittel zur Lösung von Konflikten verboten. Gegen Staaten, die dieses Gewaltverbot verletzen, sollte der Sicherheitsrat mit den Mitteln der kollektiven Sicherheit gemeinsam einschreiten, wenn nötig mit militärischer Gewalt einen Angreifer mit UNO-Friedenstruppen zurückschlagen. Durch internationale Zusammenarbeit sollte die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Staaten des globalen Südens vorangetrieben und die Armut effektiv bekämpft werden.
Synthese diverser Konzepte. Dem Wirtschafts- und Sozialrat der UNO wurde nicht nur die internationale Entwicklungszusammenarbeit übertragen, sondern auch die Förderung der Menschenrechte. Zu diesem Zweck setzte er 1946 eine Menschenrechtskommission ein. Als ersten Schritt beschloss die Kommission, eine Universelle Erklärung der Menschenrechte auszuarbeiten, um den in der Satzung nicht näher definierten Begriff der Menschenrechte mit Inhalt zu füllen. Der Kommission gelang das Kunststück einer Synthese zwischen dem westlichen Konzept der bürgerlichen und politischen Rechte, dem sozialistischen Konzept der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte und den Vorstellungen anderer Gesellschaften von einem Leben unter Achtung der allen Menschen innewohnenden Würde.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ oder „Universelle Erklärung der Menschenrechte“ ist eine Resolution der UN-Generalversammlung und als solche rechtlich nicht verbindlich. Sie wurde am 10. Dezember 1948 in Paris verabschiedet.
Die Menschenrechte gehören zu den elementaren, grundlegenden Rechten, ohne die ein geordnetes „menschliches“ Miteinander nicht möglich ist.
Wichtig ist ihre Universalität, das heißt, sie gelten für alle Menschen überall auf der Welt. Daneben gilt die Unteilbarkeit, das heißt, man kann nicht nur einen Teil davon beachten und meinen, damit seien alle Menschenrechte erfüllt.
In Artikel 1 heißt es:
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“
Die universellen Menschenrechte sind in insgesamt 30 Artikeln zusammengefasst. Darin enthalten sind unter anderem das Verbot der Diskriminierung, das Recht auf Leben und Freiheit, das Verbot von Sklaverei oder Folter, das Asylrecht, das Recht auf Staatsbürgerschaft, auf Rechtsschutz, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Unschuldsvermutung, Meinungs- und Informationsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, das Wahlrecht, Recht auf soziale Sicherheit, auf Arbeit und gleichen Lohn, auf Bildung, auf die Freiheit des Kulturlebens und vieles mehr.
Asylrecht
In Artikel 14 der Universellen Erklärung der Menschenrechte wird das politische Asylrecht beschrieben. Danach wird dieses Recht nur sehr eingeschränkt gewährt, nämlich als Recht des Menschen, es in anderen Ländern zu suchen.
Drei Jahre nach der Resolution, also bereits 1951, kam es zur Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention, in der sich die Staaten auf das Verbot einigten, Flüchtlinge in den Verfolgungsstaat zurückzuschicken. B.P.
Quellen:
www.unhcr.org www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf www.menschenrechtserklaerung.de www.menschenrechtskonvention.eu
Die starke Betonung der Menschenwürde in der Präambel und in Artikel 1 der Erklärung kann als Reaktion auf die völlige Entwürdigung des Menschen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus interpretiert werden. Aber die Würde wird auch in Artikel 22 der Erklärung im Zusammenhang mit einem umfassend verstandenen Recht auf soziale Sicherheit als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise (1929 bis etwa 1932) und die Ausbeutung des Menschen im Kapitalismus erwähnt. Aus diesem Grund enthält die Universelle Erklärung nicht nur alle wesentlichen bürgerlichen und politischen Rechte, wie sie seit der französischen und amerikanischen Revolution in den meisten Verfassungen westlicher Staaten kodifiziert wurden, sondern auch jene wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, wie sie in der Verfassung der Sowjetunion aus dem Jahr 1936 anerkannt waren. Darüber hinaus garantiert die Erklärung in Artikel 28 allen Menschen einen „Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.“
Die Universelle Erklärung der Menschenrechte wurde am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen feierlich in Paris verkündet. Sie wurde in viele Verfassungen der vom Kolonialismus befreiten Staaten Afrikas und Asiens aufgenommen und bildet die Grundlage für die weitere Kodifizierung der Menschenrechte in zahlreichen universellen und regionalen Verträgen, in denen völkerrechtlich bindende Rechte und korrespondierende Pflichten der Staaten normiert wurden.
Im Zentrum der „Internationalen Charta der Menschenrechte“ stehen die beiden UNO-Menschenrechtspakte aus dem Jahr 1966 über bürgerliche und politische Rechte einerseits sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte andererseits. Obwohl die Kodifizierung der Menschenrechte nie abgeschlossen sein wird und immer auch auf neue Herausforderungen reagieren muss, so wurde der Großteil der heute geltenden Menschenrechte zur Zeit des Kalten Krieges kodifiziert.
Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen, weil trotz der enormen Spannungen und Gegensätze zwischen den beiden Supermächten doch ein gewisser Grundkonsens über die Universalität, Gleichheit, Unteilbarkeit und Interdependenz aller Menschenrechte entwickelt wurde, der dann in der Wiener Erklärung 1993 als Ergebnis der Zweiten Weltkonferenz der Vereinten Nationen über Menschenrechte seinen normativen Niederschlag fand. Zum zweiten, weil die Kodifizierung der universellen Menschenrechte in eine Zeit fällt, in der auch im Westen eine auf John Maynard Keynes beruhende Wirtschaftstheorie vorherrschend war, die dem Staat weitreichende Aufgaben der Wirtschaftslenkung, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Gewährleistung sozialer Sicherheit übertrug.
Neoliberale Weltwirtschaftsordnung. Mit dem Ende des Kalten Kriegs wurde im sogenannten „Washington Consensus“ leider auch das Ende des „Keynesian Consensus“ besiegelt und damit eine Epoche einer auf der Theorie des Neoliberalismus beruhenden Weltwirtschaftsordnung eingeleitet, die auf den entgegengesetzten Werten der Deregulierung, Privatisierung und Minimisierung der Rolle des Staates beruht. Viele der Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte, einschließlich globaler Wirtschafts- und Finanzkrisen, Umweltzerstörung und Klimawandel, wachsender ökonomischer Ungleichheit bis zur gegenwärtigen Krise der Demokratie, des Rechtsstaats und der Menschenrechte hängen ursächlich mit der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung zusammen.
In der Vergangenheit wurden die runden Geburtstage der Universellen Erklärung von Staaten, internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft immer groß gefeiert und als Anlass für innovative Vorschläge zum weiteren Ausbau der Architektur der Menschenrechte genommen.
Der 50. Geburtstag der Universellen Erklärung wurde nicht nur mit dem Beschluss zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs auf der Basis des 1998 verabschiedeten Römer Statuts gekrönt, sondern diente auch der EU dazu, eine neue Menschenrechtsagenda für die Jahrtausendwende zu proklamieren. Im Rahmen des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz arbeiteten wir an diesem Projekt, das von einem aus hochrangigen ExpertInnen bestehenden Weisenrat schließlich der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, in die EU-Menschenrechtserklärung 1998 eingeflossen ist und die im Jahr 2000 angenommene EU-Grundrechtecharta entscheidend geprägt hat.
Zehn Jahre später initiierte die Schweiz ein ähnliches Projekt auf der universellen Ebene. Als Berichterstatter eines „Panel of Eminent Persons“ hatte ich die Ehre, eine globale Menschenrechtsagenda für das 21. Jahrhundert zu entwerfen, in der wir auch die Schaffung eines Weltgerichtshofs für Menschenrechte propagierten. Unsere Forderungen gingen in Zeiten einer globalen Wirtschafts- und Finanzkrise, der Terrorbekämpfung, der Niederschlagung des „Arabischen Frühlings“ und der Gräuel des Kriegs in Syrien völlig unter. Angesichts der derzeitigen Verfassung der internationalen Gemeinschaft wäre jetzt kein guter Zeitpunkt für die Umsetzung innovativer Vorschläge zur Stärkung der Menschenrechte, wird uns von wohlmeinenden DiplomatInnen seit vielen Jahren gebetsmühlenartig versichert.
Gedankenexperiment. Besteht überhaupt ein Anlass, dieses Jahr den 70. Geburtstag der Universellen Erklärung zu feiern? Um sich das Ausmaß der gegenwärtigen Krise von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat vor Augen zu führen, wäre es ein interessantes Gedankenexperiment, sich auszumalen, wie eine Universelle Erklärung der Menschenrechte aussehen würde, die im Jahr 2018 von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ausgearbeitet werden würde.
Stellen wir uns einfach nur ein erstes Brainstorming zwischen den drei einflussreichsten und mächtigsten Männern unseres Planeten vor, bei dem eine solche Erklärung andiskutiert wird, bevor dann die DiplomatInnen die konkrete Ausformulierung übernehmen. Donald Trump und Wladimir Putin wären sich schnell darüber einig, dass ein Recht aller Menschen, Waffen zu tragen, und ein Recht aller Staaten, atomare Erstschläge auszuüben, viel wichtiger wären als etwa die traditionellen Menschenrechte auf Leben und persönliche Sicherheit. Auch bei der Abschaffung des Folterverbots würden sie nicht lange zögern, da sie sich der Zustimmung vieler anderer Staatsführer sicher wären.
Xi Jinping würde den beiden sicher auch darin beipflichten, dass das Recht aller Menschen auf politische Mitbestimmung durch ein Recht der derzeitigen Führer, diese Position auf Lebenszeit auszuüben, ersetzt werden sollte. Statt einem Recht auf ein Minimum eines angemessenen Lebensstandards für alle Menschen würden sich unsere Staats- und Regierungschefs lieber auf ein Recht auf maximalen Lebensstandard für Konzernbosse und Oligarchen einsetzen. Die Rechte auf Auswanderung und Asyl müssten natürlich sofort gestrichen werden, um nicht den beliebten Mauerbau zu gefährden, der dem berechtigten Anliegen eines „America first“ für US-amerikanische Staatsbürger Rechnung trägt.
Generell sollte der Begriff „Menschenrechte“ wieder durch „Bürgerrechte“ ersetzt werden, um die nationalen Vorrechte gebührend zu schützen. Auch sollten die BürgerInnen aller Staaten ein Recht bekommen, sich in öffentlichen Referenden gegen die Menschenrechte oder die Diktatur regionaler Menschenrechtsgerichte auszusprechen, würde Theresa May wohl einfordern, wenn sie bei dieser Männerrunde zugelassen wäre. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wären ohnedies hoffnungslos altmodisch und überholt, um nicht zu sagen kommunistisch, würde sie noch schnell hinzufügen.
Trump weiß nicht so recht, was sie mit diesen Rechten meint, von denen er noch nie etwas gehört hat und schaut hilfesuchend zu Putin, der etwas von „Stalin“ murmelt. Der Führer der kommunistischen Partei Chinas blickt verlegen zu Boden und meint dann, sie sollten jedenfalls schlichtweg gestrichen und durch ein absolutes, unbeschränktes und angeborenes Recht auf Privateigentum an Produktionsmitteln ersetzt werden. Alle atmen auf. Auch das Recht auf Privatheit und Datenschutz wäre angesichts der Gefahren des globalen Terrors nicht mehr zeitgemäß, da nur ein unbegrenzter Überwachungsstaat wirkliche Sicherheit für alle anständigen Menschen bieten könne. Und die Rechte auf persönliche Freiheit, Integrität, Menschenwürde, Meinungsfreiheit und ein faires Verfahren vor einem unabhängigen Gericht sollten in Zeiten täglicher Terrorangriffe nicht mehr allzu stark betont werden.
Diese Liste innovativer Vorschläge ließe sich beliebig verlängern. Sie illustriert, dass von den traditionellen Menschenrechten in einer Universellen Erklärung des Jahres 2018 wohl kaum mehr etwas übrig bliebe.
Gerade deswegen sollten wir aber die Universelle Erklärung von 1948 gebührend feiern und uns überlegen, ob nicht ihr 70. Geburtstag ein wichtiger Anlass für ein Umdenken und Rückbesinnen auf die Werte der unmittelbaren Nachkriegszeit wäre. Jenen antifaschistischen Grundkonsens der 1940er Jahre würden wir dringend wieder benötigen, um allen Kräften des 21. Jahrhunderts entgegenzuwirken, die es auf die Zerstörung von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte abgesehen haben. Oder werden wir erst dann einsichtig, wenn wir vorher alles zerstört haben?
Manfred Nowak ist Professor für Internationale Menschenrechte an der Universität Wien und Generalsekretär des European Inter-University Centre for Human Rights and Democratisation in Venedig. Als unabhängiger UN-Experte leitet er seit 2016 die Global Study on Children Deprived of Liberty.
1) Die „Universal Declaration of Human Rights“ („Déclaration Universelle des Droits de l’Homme“, „Declaración Universal de los Derechos Humanos“) wird im Deutschen meist mit „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ übersetzt, doch finde ich die Bezeichnung „Universelle Erklärung“ angebrachter.
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