Der Geschmack des Publikums

Von Sven Hansen · · 2000/07

Die „Pekinger Jugendzeitung“ hat sich von einem vierseitigen Wochenblatt zu einer der erfolgreichsten Tageszeitungen des Landes gemausert. Der Chefredakteur erläutert die Gründe dieses Erfolgs.

Der Sitznachbar im Flugzeug blättert interessiert in der „Beijing qingnianbao“, der Pekinger Jugendzeitung. Auf das Blatt angesprochen erklärt der Endvierziger, der sich als weltoffener Beamter aus dem Erziehungsministerium in Peking entpuppt: „Es ist eine der besten Zeitungen Chinas. Sie ist aktueller, unabhängiger und frischer als andere.“

In der Redaktionszentrale im Süden Pekings betont Chefredakteur Zhang Yanping den wirtschaftlichen Erfolg des Blattes. „Wir hatten letztes Jahr Werbeeinnahmen von 3,54 Millionen Yuan gegenüber 500.000 Yuan 1991. (1 Yuan ist ungefähr 1,70 öS.) Bei Werbeeinnahmen sind wir auf nationaler Ebene die Nummer sechs und wollen Nummer zwei oder drei werden.“ Das Blatt sei für Werbekunden so interessant, weil die Hauptleserschaft zwischen 30 und 40 Jahre alt ist. Diese Gruppe sei Dank der Wirtschaftsreformen heute Chinas wohlhabendste Schicht.

Pekings Jugendzeitung ist schon 51 Jahre alt, doch erschienen ist sie nicht einmal während der Hälfte ihrer Geschichte. Als Organ des kommunistischen Pekinger Jugendverbandes wurde sie immer wieder Opfer parteiinterner Machtkämpfe. Erst seit 1981 erscheint das Blatt wieder regelmäßig.

„Wir haben uns parallel mit der Reformpolitik entwickelt“, so Chefredakteur Zhang, der 1981 als Nachrichtenredakteur begann. „Damals hatten wir als Wochenzeitung nur vier Seiten und eine Auflage von 20.000. Inzwischen beträgt die Auflage bei 32 bis 48 Seiten täglich 1,5 Millionen. In Peking verkaufen wir 400.000 Exemplare am Tag, davon 100.000 auf der Straße. Wir sind die größte Abonnentenzeitung der Hauptstadt.“

Das Blatt erscheint heute in modernem Layout und Vierfarbdruck mit großen Überschriften und großen Fotos. Der Hauptgrund für den Erfolg ist laut Zhang die frühe Orientierung an den Bedürfnissen der LeserInnen. „Wir begannen schon in den 80er-Jahren mit der Marktforschung, weil wir immer weniger Zuschüsse bekamen.“

Die Jugendzeitung startete Reportagen über Sozialthemen, die ein großes Echo fanden. „Manche sagen, wir nutzen unseren Spielraum besser als andere“, so Zhang. Heute demonstriert das Blatt seine Offenheit durch zweisprachige Texte zum Englischlernen und den Abdruck von Songtexten westlicher Popgruppen wie „Show me the meaning of being lonely“ der Backstreet Boys.

Das Blatt richtete sogar eine telefonische Hotline ein: „Falls Sie auf Unerwartetes, Dringliches, Bewegendes, Interessantes stoßen, dann melden Sie sich unter Telefon 67333717, E-mail bjhotline@263.net oder Fax 67333707“. Heute erreichen die rund um die Uhr besetzte Hotline 300 Anrufe am Tag. Ergibt sich daraus eine Geschichte, werden Anrufer mit bis zu 500 Yuan honoriert. Inzwischen haben auch andere Blätter Hotlines eingerichtet, und manchmal soll schon die Drohung mit einem Anruf reichen, um bei Behörden oder Arbeitgebern etwas zu bewirken.

Die Hotline bringt der Redaktion natürlich auch Ärger ein, zumal ihr Spielraum begrenzt ist. „Wir können nur typische Sachen berichten, aber auch Probleme den Ämtern melden. Wir haben Redefreiheit, aber dürfen dabei die Interessen anderer Menschen nicht verletzen“, erklärt Zhang diplomatisch. Trotzdem sei China inzwischen viel offener geworden. Niemand würde heute mehr wegen eines „falschen Satzes“ verhaftet.

Weil die Experimente der Jugendzeitung erfolgreich waren, wurde Zhangs Vorgänger von der Partei zur „Beijing wanbao“ geschickt, der Abendzeitung, und der damalige stellvertretende Chefredakteur zur „Beijing chenbao“, der Morgenzeitung. Seitdem ähneln die beiden Blätter, die auch von der Kommunistischen Partei kontrolliert werden, der Jugendzeitung.

„Wir erfüllen die Bedürfnisse derjenigen, die sich aktiv an den wirtschaftlichen Reformen und der Öffnung beteiligen. Wer sich immer beklagt, dem gefällt unsere Zeitung wohl nicht“, sagt der 42-jährige Zhang. Mit seinem modischen Outfit verkörpert er selbst schon äußerlich das moderne, städtische China. Die 200 JournalistInnen der Jugendzeitung sind laut Zhang die jüngsten und bestbezahlten der Branche: „Alle haben einen Hochschulabschluss, das Durchschnittsalter ist 30 Jahre, der Monatsverdienst liegt bei 5.000 Yuan.“ Das sind umgerechnet etwa 8.500 Schilling oder 850 Schilling mehr im Monat, als ein Abteilungsleiter im mächtigen Staatsfernsehen CCTV verdient. Stolz erzählt Zhang, dass die Hälfte der Redakteure sich mit einem Darlehen der Jugenzeitung ein eigenes Auto gekauft habe. Im Blatt selbst erscheinen regelmäßig Auto- und Computerbeilagen. Da wird zum Beispiel das Herunterladen von MP3-Musikdateien aus dem Internet erklärt.

Als Mitglied er Kommunistischen Partei ist es für den Chefredakteur selbstverständlich, die Linie der Regierung zu vertreten. „Was die nicht erlaubt, dürfen wir nicht schreiben, denn wir werden von der Regierung bezahlt“, sagt Zhang. Einmal im Monat würden Pekings Chefredakteure in das für sie zuständige Ministerium geladen, wo ihnen die neuesten Richtlinien vorgelegt würden. Zurzeit sind laut Zhang Berichte über religiöse Fragen sowie über Sitten und Gebräuche der nationalen Minderheiten nicht erwünscht. Stattdessen berichtet auch die Jugendzeitung ausführlich über einen Sekten-Anhänger, der sich auf der Suche nach geheimnisvollen Energiequellen den Bauch aufschlitzte.

Für Zhang macht es keinen Unterschied, dass Chinas Zeitungen der Regierung gehören, während sie im Ausland meist in den Händen von Konzernen seien. Informationen ausländischer Zeitungen oder von den freien Medien der Sonderzone Hongkong („ein Land – zwei Systeme“) dürfen laut Zhang nur nach Bestätigung durch die Regierung verwendet werden. Als Hongkongs Zeitungen im Februar über einen Korruptionsskandal berichteten, in den die Frau des Pekinger Parteichefs verwickelt gewesen sein soll, hätten die Zeitungen der Volksrepublik das Paar nur beim Einkaufsbummel abbilden dürfen. Damit galten die Vorwürfe als dementiert, obwohl Pekings Zeitungen darüber selbst gar nicht hatten berichten dürfen.

Die Rolle der Jugenzeitung definiert Zhang so: „Die Zeitung soll die Meinung der Regierung vertreten, aber dem Geschmack des Publikums entsprechen.“ Darin ist die Redaktion so erfolgreich, dass sie zum 1. Juli umzieht: „Unser neues Gebäude hat 26 Stockwerke. Wir werden uns von 3.000 auf 26.000 Quadratmeter Fläche vergrößern.“

Der Autor ist Asienredakteur der Berliner „Tageszeitung“ (taz).

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