Jahrelang ermordete die kolumbianische Armee wehrlose ZivilistInnen, um sie dann als im Kampf gefallene Guerilleros auszugeben – und die Mörder kassierten Prämien für ihre Verdienste um die Nation.
Allem Anschein nach hat der Höhenflug des Präsidenten Álvaro Uribe Vélez seinen Zenit überschritten; die Anzeichen für einen beginnenden Verfall seiner astronomischen Beliebtheitswerte mehren sich. Beurteilten nach der erfolgreichen Operación Jaque (Operation Schach) Anfang Juli, der Befreiung von Ingrid Betancourt und elf weiterer Entführungsopfer aus der Geiselhaft der FARC-Guerilla, volle 87 Prozent der Bevölkerung die Amtsführung ihres Präsidenten als positiv, so lag dieser Anteil im Dezember „nur“ mehr bei 66 Prozent.
Internationales Aufsehen erregte der Fall der falsos positivos, wie es in der Militärsprache heißt, der gefälschten Erfolgsmeldungen. Im Oktober war durch die Nachforschungen einer betroffenen Mutter ans Tageslicht gekommen, dass Soldaten elf Jugendliche aus einem Elendsviertel der Hauptstadt Bogotá unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, etwa ihnen Arbeit zu besorgen, angelockt hatten. Wenige Tage später wurden sie im Norden des Landes aufgefunden, erschossen, in Guerilla-Uniformen gekleidet. Die Soldaten kassierten ihre Prämien, und die Offiziere meldeten stolz ihre Erfolge im Kampf gegen die Subversion.
Diese Praxis hat in Kolumbien Tradition. Schon in den 1990er Jahren wurden solche Fälle bekannt und von Menschenrechtsorganisationen angeklagt, doch keine Regierung nahm die Vorwürfe ernst. Mit Amtsantritt von Präsident Uribe im August 2002 schnellte die Zahl der gefälschten Erfolgsmeldungen rapid in die Höhe. Kein Wunder, hatte der Staatschef seine Generäle doch öffentlich wegen ihrer Erfolglosigkeit im Kampf gegen die Guerilla getadelt. Und diese wollten nun das Gegenteil beweisen. Im Jahr 2005 erließ das Verteidigungsministerium sogar eine Verfügung, die den tapferen Soldaten für im Kampf liquidierte „Feinde“ Prämien wie Sonderurlaub und andere Vergünstigungen garantierte.
Als diese Enthüllung vom Oktober letzten Jahres durch alle Medien ging und nicht mehr zu vertuschen war, trat der Präsident die Flucht nach vorne an und entließ mit einem Handstreich drei verantwortliche Generäle und 27 weitere Offiziere und Chargen. Der Dachverband von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) „Koordination Kolumbien – Europa – USA“ (CCEEU) hatte schon vor dem Auffliegen dieses Skandals 535 Fälle gefälschter Erfolgsmeldungen zwischen Jänner 2007 und Juni 2008 belegt. Gegenwärtig wird von der Staatsanwaltschaft in knapp 3.000 Fällen vermuteter außergerichtlicher Hinrichtungen durch die Armee ermittelt.
Am 7. Jänner wurde in Washington ein Geheimdienstdokument deklassifiziert, d.h. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wonach die CIA und der damalige US-Botschafter in Bogotá schon 1994 über die gefälschten Erfolgsmeldungen und über die enge Zusammenarbeit zwischen der Armee und den paramilitärischen Mörderbanden Bescheid wussten.
Auch über die so genannte „Para-Politik“, die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Instanzen, Politikern und Paramilitärs, hatten mutige MenschenrechtsaktivistInnen schon seit Jahren berichtet, doch erst als der Oberste Gerichtshof Ende 2006 mit Ermittlungen begann, wurde dieser Skandal öffentlich und somit auch frei zur Berichterstattung für die ansonsten wortkargen Medien, was Angriffe auf den Präsidenten betrifft. Mittlerweile sind bereits 14 Abgeordnete wegen ihrer Zusammenarbeit mit den Paramilitärs verurteilt, gegen elf wurde eine Anklage erhoben und gegen 50 laufen Ermittlungen, ebenso gegen ca. 300 öffentliche Mandatare – PolitikerInnen auf regionaler und kommunaler Ebene.
Ende des letzten Jahres erlebte Uribe noch einen weiteren schwarzen Tag: den 4. November. Mit George W. Bush verlor der kolumbianische Staatschef seinen wichtigsten Verbündeten auf der weltpolitischen Bühne. Ein Präsident Barack Obama und ein US-Kongress mit starker demokratischer Mehrheit werden die Menschenrechtspolitik der Regierung in Bogotá noch schärfer als bisher unter die Lupe nehmen und Militär- oder Wirtschaftshilfe mit entsprechenden Auflagen versehen. Der US-Rechnungshof hat von der künftigen Regierung bereits eine Revision des Plan Colombia verlangt, in dessem Rahmen Kolumbien nach Israel und Ägypten zum drittgrößten Empfänger US-amerikanischer Militärhilfe wurde.
Präsident Uribe will durch eine neuerliche Verfassungsänderung eine Kandidatur bei den Wahlen im Juni 2010 erreichen, die diesmal aber durch ein Referendum abgesegnet werden muss. Nach einer jüngsten Umfrage sind nur mehr 55 Prozent der Bevölkerung für eine Wiederwahl des Staatschefs. Die auch Kolumbien bedrohende Wirtschaftskrise wird die Chancen des erfolggewöhnten Präsidenten weiter schmälern.