Ecuador hat den US-Dollar als Währung eingeführt. Doch das hat bei weitem nicht die von der Regierung versprochene Wirkung gebracht. Die Inflation steigt weiter und die Auswanderung hat sprunghaft zugenommen.
Ein Jahr später liegt die Jahresinflation um die 90 Prozent. Diesmal allerdings in Dollar – doch nunmehr keine Rede von Hyperinflation; alles in Ordnung, auch für den Weltwährungsfonds. Zeit für einen neuen weihnachtlichen Aprilscherz, unter schon wieder einem anderen Präsidenten: Die Transportkosten (Busse, Taxis) wurden um 70 Prozent erhöht, das Gas für die Küchen (und viele Industrien, die ungestraft und unkontrolliert vom Haushaltstarif profitieren) wird um 100 Prozent teurer. In der ersten Jänner-Woche setzte ein Richter der Hauptstadt diese Maßnahme wieder außer Kraft, weil sie gegen die Verfassung verstoße.
Seither verkehren keine Busse mehr auf den Strassen, die Leute gehen zu Fuß oder fahren – zum Doppelten des neuen, erhöhten Preises – auf Pick-up-Wagen: eine Initiative der „Privatwirtschaft“.
Die Taxis tun nicht mit bei diesem Streik. Sie haben entdeckt, dass sie eigentlich mit der gesetzlichen Verordnung des niedrigeren Preises gut auskommen können: Wenn es keine Busse gibt, entscheiden sich eben mehr Leute leichter für das Taxi …
In Europa ist der Prozess, sich auf eine neue Währung, den Euro, umzustellen, seit Jahren in Gang. In Ecuador hat man das im Eiltempo gemacht: Anfang Jänner die Ankündigung, ab März das Gesetz, und am 9. September war der Sucre bereits aus dem Verkehr gezogen. Allerdings, bei allem Hurra hatte man übersehen, dass man etwa für den Bus acht oder zwölf Cents, je nach Kategorie, Kleingeld brauchen wird. Der darauffolgende Hilferuf nach Washington im August brachte eine Million Dollar in Münzen, aber viel zu wenige für die lokalen Bedürfnisse. Also gibt es jetzt eine ecuadorianische Prägung der Centmünzen: Für diese Münzen gibt es nicht einmal das Versprechen einer staatlichen Wertgarantie: diese Tilingos (Geld für Puppenspiele etc.) sind in den USA nichts wert. In Ecuador allerdings auch immer weniger.
Die Marktfrauen verhandeln immer noch in Sucres, egal ob die Zwiebel etwa 900 oder 1000 kosten. Dann wird zusammengezählt und die Summe umgerechnet und in Dollar bezahlt. In den größeren Städten zumindest. Auf dem Land zirkulieren immer noch Sucres.
Die Ankündigung der Dollarisierung des Landes war ein Manöver des damals schon sehr angeschlagenen Präsidenten, Jamil Mahuad, um seinen Kopf zu retten. Er hat ihn nicht gerettet, sondern wurde in einer großen Protestbewegung, der „Konföderation der indigenen Nationen Ecuadors“ (CONAIE) und von sozialen Organisationen einschließlich Teilen der Streitkräfte, abgesetzt. Sein Nachfolger ist der damalige Vizepräsident Gustavo Noboa, der jedoch genau die gleiche Politik weiterverfolgt; die Aktion hat also eigentlich nichts gebracht. Die Preise steigen weiter, doch die Einkünfte bleiben mehr oder weniger gleich.
Als im Juni 2000 die Löhne angehoben wurden, kam die Ankündigung schamhafterweise in der alten Währung: „100.000 Sucres“. Denn eine Erhöhung von vier Dollar anzukündigen, wäre selbst einem hartgesottenen Neoliberalen ein bisschen peinlich gewesen.
Das gilt allerdings auch nur für jene Leute, die Arbeit haben. Die Arbeitslosigkeit steht bei über 20 Prozent, und nach offiziellen Statistiken sind noch gut weitere 50 Prozent unterbeschäftigt. Das läuft auf einen „idealen“ Zustand hinaus: eine Unmenge von arbeitswilligen Menschen – bei ständig steigenden Preisen und niedrigen Löhnen. Der Mindestlohn wurde Anfang Jänner 2001 um 21 Dollar auf insgesamt 135 Dollar monatlich angehoben.
Der Flughafen in Quito ist der Schauplatz dramatischer Szenen. Am Maschenzaun am Rande der Rollbahn – inzwischen mitten in der Stadt gelegen – stehen Dutzende Menschen und schauen ein letztes Mal auf das Flugzeug, das einen Verwanden ins Ausland bringt, nach Spanien, Italien, eventuell Frankreich, letztlich aber egal wohin, nur weg von der Heimat.
Die Bevölkerung hat den Glauben an eine Zukunft in Ecuador, an die Überlebensmöglichkeiten im eigenen Land verloren. Seit Jahrzehnten wandern EcuadorianerInnen aus, meistens illegal und vor allem in die USA, doch hielt sich diese Migrationsbewegung bisher im Rahmen. In den letzten zwei Jahren jedoch hat die Auswanderung sprunghaft zugenommen.
Es ist die Rede von zwei Millionen Menschen, die in der letzten Zeit das Land verlassen haben – bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 13 Millionen. Tatsächlich sind die Flüge von Quito nach Europa auf Monate ausverkauft, auch in der ersten Klasse.
Das Land zu verlassen, ist allerdings keine einfache Sache. Man muss den Pass besorgen, das Ticket, Bargeld zum Vorzeigen für die Einwanderungsbehörden in Madrid oder wo immer man in Europa landet. Die dafür notwendigen 5000 Dollar bringen arme Leute nicht auf, da muss man schon ein Auto, ein Haus oder ein Grundstück verkaufen oder verpfänden können.
Wenn dann noch jemand zurückgeschickt wird, ist das eine Katastrophe für den Betreffenden. Ein ganzes Lebenswerk kann so zwischen den Fingern zerrinnen.
Aber viele schaVen es. Die neuen Mythen über diejenigen, die im Ausland einen Posten und irgendeine Arbeit gefunden haben, machen die Runde. Und es kommt auch Geld ins Land. Es heißt, dass die Auslandsüberweisungen bereits die zweitgrößte Einkunftsquelle für Ecuador seien. Sie beliefen sich im vergangenen Jahr auf 1,1 Milliarden Dollar.
Am Jahresanfang standen viele Schulen plötzlich ohne LehrerInnen da. Unlängst wurde eine Zählung durchgeführt, um herauszufinden, wie viele LehrerInnen es überhaupt noch gibt. Von der Stadtverwaltung in Cuenca – der drittgrößten Stadt Ecuadors – fuhren 20 Ingenieure in leitenden Posten auf Urlaub in die USA. Von dort aus faxten sie dann, sie hätten bessere Verdienstmöglichkeiten gefunden, es täte ihnen leid …
Ob es überhaupt eine Lösung für diese Situation gibt, ist schwer zu sagen. Die Ankündigung vor einem Jahr, dass mit den Dollars die Wirtschaft wieder in Ordnung kommen werde, hat sich inzwischen als völlig falsch herausgestellt. Und die Tatsache, dass Ecuador in Lateinamerika an erster Stelle in der Korruptionsrangliste steht, ist auch nicht gerade hilfreich für einen Wirtschaftsaufschwung.
So lange die politischen und wirtschaftlichen Diktate des Weltwährungsfonds und der einheimischen Kapitalisten befolgt werden, wird nicht zu erwarten sein, dass sich das Schicksal zum Besseren wendet. Zumindest nicht für die über 70 Prozent EcuadorianerInnen, die unter der Armutsgrenze leben. Weihnachtliche Aprilscherze bringen da zwar ein bisschen Unterhaltung und Überraschung, aber nicht viel mehr.
1.Der „Tag der unschuldigen Kinder“ geht zurück auf den Kindermord in Bethlehem zur Zeit der Geburt Jesu, angeordnet von König Herodes. Im Mittelalter erhielten die Kinder an diesem Tag die Schlüssel der Klöster und übten somit für einen Tag die Leitung der Klöster aus. Aus dieser Umkehrung der normalen Verhältnisse und den Späßen, die die Kinder trieben, entstand später die Bedeutung von Schabernack und von unserem „Aprilscherz“, der in Lateinamerika richtigerweise am 28. Dezember gemacht wird.
Der Autor ist gebürtiger Niederösterreicher und lebt seit 19 Jahren als Steyler-Missionar in Ecuador. Er ist Direktor der lateinamerikanischen Ausgabe der weltweiten theologischen Zeitschrift „Spiritus“.
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