Der Aufstand der Maismenschen

Von Werner Hörtner · · 1999/10

Guatemalas berühmtester Schriftsteller Miguel Angel Asturias – einer der wenigen lateinamerikanischen Literaturnobelpreisträger – wurde am 19. Oktober vor hundert Jahren geboren.

"Gaspar Ilóm läßt es geschehen, daß man der Erde Ilóms die buschigen Wimpern versengt mit Bränden, deren Widerschein den Mond schwarzrot färbt wie eine alte Ameise …" – läßt Miguel Angel Asturias sein vor 50 Jahren erschienenes Hauptwerk ?Die Maismenschen? beginnen. Doch nein, Gaspar, ein indianischer Führer, läßt es nicht zu, daß die Ladinos, die mestizischen Siedler, das Land rauben und darauf für Profitzwecke Mais anbauen. Er greift zum Gewehr und probt den Aufstand gegen die Agrarunternehmer, die durch ihre kapitalistische Entweihung die Götter beleidigt haben. ?Der Tanz geht los!? sagt Gaspar – doch die staatliche Unterdrückungsmacht ist, zumindest vordergründig, stärker und tötet den Aufrührer: Eine Parabel jener Geschehnisse, die die Geschichte Guatemalas in den folgenden Jahrzehnten bestimmen sollten.

Für Asturias selbst waren die ?Hombres de maíz? das Schlüsselwerk seines umfangreichen literarischen Oeuvres. ?Von allen meinen Romanen ziehe ich ?Die Maismenschen? unbestritten vor. Das übrige, alles übrige, könnte ich notfalls vergessen; ?Die Maismenschen? ist am wichtigsten, ist das Wesentliche?, bekannte Asturias 1967 in einem Interview, im selben Jahr, als er den Nobelpreis für Literatur erhielt.

INI: Die soziale Problematik war dem aus einer wohlhabenden Familie stammenden Miguel Angel schon von Jugend an vertraut und wichtig – eine seltene Ausnahmeerscheinung in einer Gesellschaft, in der die herrschende Klasse die indianische Welt schlichtweg ignorierte und das Wort ?indio? nur als Schimpfwort in den Mund nahm. Der junge Miguel Angel studiert an der San Carlos Universität in der Hauptstadt zuerst Medizin, dann Jus und promovierte mit einer Dissertation über ?Das soziale Problem des Indios?. Nebenbei beteiligte er sich am Widerstand gegen den Langzeitdiktator Manuel Estrada Cabrera (1898 – 1920), der schon seinen Vater verfolgt hatte, und war Mitbegründer des Studentenverbandes. Und schon zu Studienzeiten begann er an einem anderen Schlüsselroman, ?Der Herr Präsident?, zu arbeiten, der dann mehr als zwei Jahrzehnte später erschien. Darin zeichnet der Autor nach eigenen Worten ?das Bild eines Diktators, wie es für alle Länder Gültigkeit hat?. Auch wenn der ?Präsident? und sein Land, das er schamlos ausbeutet, nie genannt werden, besteht kein Zweifel daran, daß Estrada Cabrera die historische Vorlage zu diesem Roman bildete. Er vereinigt alle Eigenschaften des lateinamerikanischen Diktators in sich: Allmacht und Willkür, Skrupellosigkeit und Tücke. Jahrzehnte später sollte ein anderer lateinamerikanischer Literaturnobelpreisträger, Gabriel García Márquez, mit dem ?Herbst des Patriarchen? der despotischen Caudillo-Figur ein weiteres ?Denkmal? setzen.

INI: Die Gestaltung seines eigenen Lebens ging bei Asturias mit dem Geist seiner Bücher allerdings nicht ganz konform. 1924 zog er für ein Jahrzehnt nach Paris, wo er u.a. an der Sorbonne Ethnologievorlesungen besuchte. Während der Diktatur Jorge Ubicos (1931-44) arbeitete der Literat als Redakteur der Zeitung der Regierungspartei und ging nach dem Sturz des Herrschers vorsichtshalber nach Mexiko, wurde aber vom neuen Präsidenten Juan José Arévalo rehabilitiert und zum Kulturattaché in Mexiko ernannt. Nach dem Amtsantritt des – später von der einheimischen Oligarchie mit Hilfe der USA gestürzten – Reformers Jacobo Arbenz ging Asturias ins Exil nach Argentinien und lebte in weiterer Folge in Frankreich und Italien. Als sein Freund Méndez Montenegro 1966 durch Wahlen an die Macht gekommen war, ernannte er Asturias sogleich zum Botschafter in Paris. Im selben Jahr erhielt der Autor den Lenin-Preis, ein Jahr darauf, als zweiter Lateinamerikaner, den Nobelpreis. 1974 starb Asturias in Madrid.

INI: Die Hauptfigur aus dem Roman ?Die Maismenschen? spielt auch in der jüngsten Geschichte Guatemalas eine Rolle: Rodrigo Asturias, ein Sohn des Schriftstellers, kämpfte als Guerillakommandant gegen die ungerechten Herrschaftsverhältnisse in seiner Heimat und gab sich den Decknamen Gaspar Ilóm. Rodrigo Asturias war jahrelang Oberkommandierender der ORPA, einer Teilorganisation der Guerillakoordination URNG, in welcher er nach deren Umwandlung in eine politische Partei hohe Funktionen ausübt.

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Buchhinweis:

Die Romane ?Sturm?, ?Der grüne Papst?, ?Die Augen der Begrabenen?, ?Die Maismenschen? und ?Don Ni?o oder Die Geographie der Träume? sind alle als Taschenbücher im Lamuv Verlag, Göttingen, erschienen, ?Der Herr Präsident? und ?Weekend in Guatemala? beim Rotpunktverlag Zürich.

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