Der alte Mann und die Angst

Von Martina Kopf · · 2008/07

Kameruns Regime unter Paul Biya ist mehr als in die Jahre gekommen. Die Spannung zwischen einer zunehmend starrer werdenden Führung und einer Bevölkerung, die in ihrer Dynamik blockiert wird, ist spürbar. Aber anstatt auf die Signale zu reagieren und einen Übergang vorzubereiten, zieht Biya die Schraube an.

Eine kollektive Anspannung lässt sich schwer beschreiben, insbesondere, wenn sie sich unter alltäglicher Betriebsamkeit verbirgt. Sie lässt sich spüren, körperlich, als eine vegetative Alarmbereitschaft, eine Empfindlichkeit an der Haut, ein unterschwelliges Geladen-Sein. Sie macht höchst aufmerksam und lässt zugleich an der eigenen Wahrnehmung zweifeln. Wie an diesem Montag in Yaoundé, der Hauptstadt von Kamerun. Der Himmel ist klar gewaschen, am Straßenrand dieselben Buden und Verkaufstische mit Telefonwertkarten, Plastikkämmen, Pyramiden von Mangos, Papayas oder Bananen, dieselbe Geräuschkulisse aus Taximotoren, Hupen, Stimmen und Zurufen, Musik. Die Sinne empfangen das Signal „Alltag“. Trotzdem bleibt das System auf „Alarm“.
Die Leute, die man trifft, kommen einem in ihren üblichen Verfasstheiten entgegen, ausgeglichen, etwas abgehetzt die eine, freundlich der andere. Man spricht über dies und jenes. Doch kaum spricht man den magischen Satz „Und, glaubst du, dass es wieder losgeht?“ ist es, als ob man eine reife Samenkapsel Springkraut berührt. Sie bricht auf. Heraus kommt ein Bündel an Emotionen. Und schon ist man mitten in einem aufgeregten Gespräch über das Ungeheuerliche, das drei Tage zuvor geschehen ist.
Anfang April hat das kamerunische Parlament einen Entwurf zur Verfassungsänderung abgesegnet, „das unpopulärste Dokument seit der Unabhängigkeit“, wie er in einem Kommentar in der Tagespresse genannt wird. Damit fällt der Artikel, der ein Maximum von zwei Amtsperioden für die Präsidentschaft vorsieht, und ein neuer kommt hinzu, wonach der Präsident für Vergehen während seiner Amtszeit nicht gerichtlich verfolgt werden darf. De facto. De iure darf er wohl angeklagt werden, doch nur, wenn vier Fünftel des Nationalrats und Senats sich in offener Abstimmung dafür aussprechen. Kameruns Zeitungen sprechen von einem Putsch des Parlaments gegen die Bevölkerung. Biyas Partei RDPC (Demokratischer Zusammenschluss des kamerunischen Volks) hält 149 von 180 Sitzen im Parlament.

Nur wenige Wochen zuvor waren die Wirtschaftsmetropole Douala und die Hauptstadt Yaoundé sowie zahlreiche der größeren Städte vor allem im Westen und Zentrum des Landes von einem Aufruhr erschüttert worden, der das Land fünf Tage lang den Atem anhalten ließ (siehe Artikel S. 16-17). Die Oppositionsparteien wurden davon nicht weniger überrascht als die RDPC. Am meisten berührte viele der GesprächspartnerInnen in diesen Tagen, unabhängig von sozialer Schicht und politischer Zugehörigkeit, dass es „Kinder“ waren, die revoltierten – junge Burschen um die 20 und darunter. In den Protest über die steigenden Lebensmittelpreise und eine allgemeine Perspektivlosigkeit mischte sich Zorn über die geplante Verfassungsänderung, über die die RDPC seit Ende des vergangenen Jahres laut nachdachte. Der Ausdruck von Unzufriedenheit aus der Bevölkerung und ihr Signal an die Regierung waren stark und unmissverständlich.
Es wäre ein Machtwechsel angestanden. Mit angespannter Geduld seit Jahren erwartet, schien es greifbar nah, dass Paul Biya bei den nächsten Wahlen 2011 einem Nachfolger den Sessel räumt. 1975 wurde Biya, frisch vom Studium aus Frankreich zurück, von seinem Vorgänger Ahmadou Ahidjo zum Premierminister ernannt. 1982 löste er diesen als Staatschef ab. Mit einem Cocktail aus weit reichender Machtbefugnis, Manipulation, einem geschickten Spiel mit Schein und Sein und der nötigen Portion Gewalt überdauerte Biya den Demokratisierungsschub und die Einführung eines Mehrparteiensystems in den 1990ern. Und mit dem großen Bruder Frankreich im Hintergrund, der sich in Afrika keinen guten Namen damit gemacht hat, Autokraten militärisch und ökonomisch den Rücken zu decken.
Doch als der auf seinem Konterfei stets sanft lächelnde Biya die Wahlen 1997 für sich entschieden hatte – die Gefängnisse waren über Monate hinaus voll mit AnhängerInnen der Opposition und gewaltlosen politischen Gefangenen – schien doch zumindest der Weg zu einem Übergang frei. Zwei Amtsperioden zu je sieben Jahren noch, so war es in der Verfassung neuerdings fest gelegt, und die Ära Biya fände zu ihrem Ende.

Der Machtwechsel ist fürs erste auf Eis gelegt. Eingefroren in der Starre einer Führungsriege, die, so scheint es, das Land mit einem Bann belegt hat, wie die Schneekönigin in Andersens Märchen.
Dabei ist die Dynamik der kamerunischen Bevölkerung spürbar. Douala oder Bafoussam sind quirlige Handelsstädte, die Märkte bieten ein reiches Angebot heimischer Lebensmittel. In den Bussen zwischen Douala und Yaoundé laufen kamerunische Spielfilme à la Nollywood über den Videobildschirm, es gibt eine lebendige Musikszene. Das „Scharnier Afrikas“ mit seinen 16 Mio. EinwohnerInnen und seiner Vielfalt an Landschaften und Kulturen gilt mit seinen Erdölvorkommen und guten Agrarbedingungen als eine der best ausgestatteten Primärökonomien in Afrika südlich der Sahara. Und es verfügt über viele gut ausgebildete Leute – die es mit ihrer Bildung aber eher im Ausland zu etwas bringen als zuhause. Denn wer im Land etwas aufbauen möchte, reibt sich auf. Kredite sind kaum zu bekommen, Zinsraten von 20 Prozent aufwärts üblich. Und ohne Schmieren läuft das Werk nicht. Gut vier von fünf KamerunerInnen geben an, sie hätten im Verlauf des Jahres eine Amtsperson bestochen. Damit sticht Kamerun im jüngsten Korruptionsbarometer von Transparency International für 2007 hervor.
Wo der Staat nicht trägt, versuchen sich die Leute privat zu helfen. Marie-Noël studiert in Yaoundé Management und Marketing. Vor einem Jahr hat sie den Verein „Die Freundinnen“ gegründet. 25 junge Frauen zwischen 20 und 35 Jahren sind dabei, erzählt sie, und zeigt stolz die Vereinsstatuten. Neben dem Unterhaltungs- und Freizeitwert der monatlichen Treffen geht es ihnen vor allem darum, einander sozial voranzubringen. Jede zahlt 2.500 Franc CFA im Monat ein. Damit kommen monatlich umgerechnet beinahe 100 Euro in die Kassa. Das Anfangsgehalt eines Arztes beträgt 130 Euro, eine Brotverkäuferin kommt im Monat auf einen Nettogewinn von etwa 160 Euro. Mit dem Geld haben die Freundinnen bisher einer eine eigene Nähmaschine finanziert oder schießen etwas bei, wenn eine heiratet oder ein Kind bekommt. Große Sprünge gehen sich trotzdem nicht aus, weswegen Marie-Noël nach Förderern sucht. Wie sie sind nahezu alle, die man danach fragt, in privaten Sparvereinen organisiert, die nach ähnlichen Prinzipien funktionieren.
Wo das Politische das Persönliche ist, setzt Emelda Samba mit ihrem Entwicklungstheater an. Die Dramaturgin, Schauspielerin und Theaterwissenschafterin veranstaltet seit ihrem Studium in den 1980er Jahren Theaterworkshops mit Frauen in ländlichen Regionen, mit Straßenkindern und Behinderten. Parteipolitik interessiert sie dabei nicht, ihr geht es darum, auf elementarerer Ebene Veränderungen in Gang zu setzen. Was sie von der gegenwärtigen politischen Situation hält? Da ist es wieder, als ob eine Kapsel leise aufbricht. „Wir sind ein friedliebendes Land, und unser Präsident nützt das aus“, sagt sie eindringlich. „Aber ich weiß, dass ein Tag kommt, wo die Kameruner sagen, genug ist genug. Wenn dieser Tag kommt, gibt es kein Zurück, und es wird für uns alle sehr schwer. Ich hoffe nur, dass unsere Regierenden zur Vernunft kommen.“ Der Journalist Clovis Atatah (siehe Beitrag Seite 16) hat in den letzten Wochen mit vielen Jugendlichen gesprochen, die im Februar auf die Straße gingen. Was er immer wieder zu hören bekam, war: „Hätten wir Waffen gehabt, hätten wir sie benutzt.“

International gilt Kamerun als stabiles Land. Mit den Aufständen kam es kurz in die internationalen Medien, von der Verfassungsänderung zwei Monate später nimmt kaum wer Notiz. Während die europäische Presse wochenlang auf Kenia und Simbabwe schaut, die USA in Nairobi vermitteln und die EU Robert Mugabe offen kritisiert, zieht Biya still und weitgehend ungestört seinen Plan durch. Westliche Doppelmoral, meint Valentine Bongadu, Mitglied des African Youth Leadership Network und Lehrer mit einem Abschluss in Politikwissenschaft. „In Kamerun sind keine europäischen Interessen bedroht.“ Die USA sind im heimischen Erdölsektor die stärksten Investoren. „Aber solange ihre Sicherheit garantiert ist, bleiben sie still“, fürchtet Bongadu. Wie er wünschen sich viele, die internationale Gemeinschaft möge Afrika nicht mit zweierlei Maß messen.

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