Anfang Dezember fand in Graz die „Entwicklungstagung 2003“ statt: ein entwicklungspolitisches Großereignis mit klaren politischen Akzenten.
Entwicklung wird langsam wieder zu einem der großen Themen unserer Zeit.“ Die Zahl von 370 TeilnehmerInnen an der „Entwicklungstagung 2003“ lässt Andreas Novy diesen Schluss ziehen. Der Wirtschaftswissenschaftler ist Obmann des Mattersburger Kreises für Entwicklungspolitik, der gemeinsam mit der AGEZ, dem Dachverband der entwicklungspolitischen NGOs, und der Universität Graz die Veranstaltung organisiert hatte (siehe SWM 11/2003, Seite 24f.).
„Die Schaffung von Räumen für einen Dialog von Theorie und Praxis“ und die „Politisierung der Entwicklungszusammenarbeit“ waren die zwei erklärten Ziele der Veranstalter des entwicklungspolitischen Großereignisses unter dem Motto „Globalisierung ist kein Schicksal, Globalisierung wird gemacht!“.
Erstem Ziel dienten vor allem 18 Arbeitsgruppen, „Foren“, thematisch bunt gestreut von Systemischem Reflexionstheater über Fairen Handel bis zu „Disability Mainstreaming“.
Den inhaltlichen roten Faden in Richtung Politisierung boten die drei Hauptvorträge. Sie führten von einer Analyse der Strukturen der Globalisierung über eine Benennung der Akteure bis hin zur Praxis des Widerstandes.
In ihrem Einführungsvortrag versuchte Karin Fischer, die Chefredakteurin des Journals für Entwicklungspolitik (JEP), den umstrittenen Begriff der „Globalisierung“ zu fassen. Handelt es sich dabei immer noch um Kapitalismus oder um etwas qualitativ Neues, einen Epochenwechsel?
Einiges an der „Globalisierung“, der gesellschaftlichen Transformationen des letzten Viertels des letzten Jahrhunderts, sei tatsächlich „qualitativ neu“: Immer mehr Menschen in immer mehr Ländern sind direkt in grenzüberschreitende Marktprozesse involviert. Der Handel innerhalb von transnationalen Konzernen ist kolossal angestiegen. Neu ist auch das Ausmaß an internationaler Kapitalverflechtung, über Kredite und diverse Finanzprodukte, über den Handel mit Währungen etc. Die reale Wirtschaft hat sich von der Finanzsphäre abgekoppelt.
Fischer: „Im Prozess der Globalisierung sind nicht nur Marktkräfte am Werk, sondern es handelt sich immer auch um Machtpolitik.“ Das, was wir heute Globalisierung nennen, sei politisch induziert – zum Beispiel durch das Ende des „Bretton Woods“-Systems fester Wechselkurse, das US-Präsident Richard Nixon 1971 kündigte.
Für die Bewältigung der Krise des Kapitalismus steht laut Fischer ein Repertoire an Strategien zur Verfügung. Welche zur Anwendung kommen, würden AkteurInnen in gesellschaftlichen Verhältnissen unter historischen Bedingungen aushandeln.
Eben jene AkteurInnen standen im Mittelpunkt des Vortrages von Dieter Plehwe. Der Politikwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin untersuchte Struktur- und Machtzusammenhänge, die zu der neoliberalen Hegemonie im Denken führten, und steuerte damit den kontroversiellsten Beitrag zur Tagung bei. Schließlich sind „Weltverschwörungstheorien“ auch rechts außen populär.
Novy: „Als wir Dieter Phlewe einluden, war unsere Absicht, darauf aufmerksam zu machen, dass auch die Denker des Neoliberalismus Name und Anschrift haben; dass das wirtschaftsliberale Projekt der letzten beiden Jahrzehnte nicht vom Himmel fiel, kein Schicksal ist, sondern als bewusste Strategie zur Zerstörung von nationaler Souveränität und Wohlfahrtsstaat vorangetrieben wurde. Neoliberale Think Tanks spielten dabei eine Rolle.“
Besonders gründlich beleuchtete Plehwe die 1947 gegründete Mont Pèlerin Gesellschaft, die Beziehungen zu 95 neoliberalen Think Tanks weltweit unterhält (Näheres unter: www.buena-vista-neoliberal.de). Ungeteilte Zustimmung fand der Vortrag von Margarita Posada aus El Salvador. Die Direktorin der NGO APROCSAL koordiniert die BürgerInnen-Bewegung gegen die Privatisierung des öffentlichen Gesundheitssystems in ihrer Heimat. In ihrem berührenden Vortrag zeigte sie auf, welche katastrophalen Wirkungen der Neoliberalismus auf die öffentliche Daseinsvorsorge hat, aber auch, dass Widerstand möglich ist und erfolgreich sein kann.
Der Hauptgeldgeber der Tagung, die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium (ÖEZA), hat auf jeden Fall Interesse an einer Weiterführung der Debatte rund um die Globalisierung signalisiert. Man trifft einander 2005 wieder.
www.entwicklungstagung.at