Den Wald und die Bäume sehen

Von Redaktion · · 2016/03

Seit jeher hat der Mensch den Wald und seine Produkte genutzt. Den Übergang hin zur Ausbeutung und Zerstörung haben wir längst vollzogen. Warum wir diesen Weg nicht weitergehen sollten, erklärt Brigitte Pilz.

Vor elf Jahren wurde ein kleiner Teil des Waldes im Wiener Schlosspark Schönbrunn „aus der Nutzung“ genommen. Das „Biotop Fasangarten“ soll sich in aller Ruhe und Abgeschiedenheit wieder in einen Urwald verwandeln, was 200 bis 400 Jahre dauern wird. Ein Denkanstoß – gewiss. Wenn wir aber von der Bedeutung, Bedrohung und Rettung unserer Wälder sprechen, müssen wir uns ganz andere Dimensionen vor Augen führen, denn alle zwei Sekunden wird auf unserer Erde Wald in der Größe eines Fußballfeldes endgültig vernichtet.

Die Welternährungsorganisation FAO nennt 2015 folgende Zahlen und Fakten: Die globale Waldfläche beträgt heute vier Milliarden Hektar, das sind 65 Prozent der Waldbedeckung von vor 8.000 Jahren. Etwa 30 Prozent sind Urwälder. Vor 20 Jahren war ein Drittel der Landflächen von Wäldern bedeckt, heute ist es ein Viertel.

Die tropischen Wälder blieben bis Mitte des 20. Jahrhunderts weitgehend intakt. Dann jedoch setzte eine massive Zerstörung ein. Seit der Jahrtausendwende ist die Entwaldung leicht zurückgegangen und beträgt heute 13 Millionen Hektar pro Jahr. Der Verlust von Waldflächen findet nahezu ausschließlich in den Tropen statt. Dort, wo es Zuwachs an Wald gibt, besteht er vor allem aus stark veränderten Wäldern und Plantagen.

Beim letzten World Forestry Congress, der alle fünf Jahre von der FAO veranstaltet wird, zuletzt im September 2015 in Durban in Südafrika, forderten deshalb Umweltorganisationen vehement, Plantagenflächen nicht wie üblich zu den Waldflächen dazuzuzählen. Das sei ökologisch nicht gerechtfertigt.

Mehr als Bäume. Je nach Bodenbeschaffenheit und Klimazone sind im Laufe der Jahrtausende unterschiedliche Waldtypen entstanden: Nadelwälder, Laub- und Mischwälder, immergrüne Regen- und Nebelwälder. Alle haben vielfältige Funktionen für den Menschen und das Ökosystem. Deshalb ist es erschreckend, wie schnell sie derzeit dezimiert werden.

Für 1,6 Milliarden Menschen, darunter zahlreiche indigene Völker, ist der Wald Lebensraum und Lebensgrundlage. Auch für industrialisierte Gesellschaften haben Wälder immense Bedeutung, nicht nur als Erholungsorte. Sie schützen vor Erosion, Muren, Lawinen und Überschwemmungen. Sie sind Speicher für Regenwasser; und sie reinigen Trinkwasser. Die Forstwirtschaft ist je nach Land und Waldreichtum ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Die Walddezimierung ist eine der größten Bedrohungen der Biodiversität, denn von 1,3 Millionen Tier- und Pflanzenarten leben etwa zwei Drittel in Wäldern.

Gute Luft. Von zentraler Bedeutung sind gesunde, natürliche Wälder für das Weltklima. In der Vegetation und in den Böden ist Kohlenstoff gespeichert (wie auch in den Ozeanen). In Verbindung mit Sauerstoff wird das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) gebildet. Je mehr Kohlenstoff etwa durch die Verbrennung fossiler Energieträger produziert wird, umso höher ist der CO2-Anstieg in der Atmosphäre, die Ursache der globalen Klimaveränderung. Ein Teil des vom Menschen verursachten Kohlendioxidanstiegs kann von Meeren und Wäldern aufgenommen werden, besonders von Tropenwäldern. Diese Funktion geht durch Abholzung verloren, mehr noch, der in der Vegetation und in den Böden gespeicherte Kohlenstoff wird zusätzlich freigesetzt und in Form von CO2 in die Atmosphäre entlassen, was zur weiteren Erderwärmung beiträgt.

Plantagenbäume binden nur ein Drittel bis die Hälfte der Kohlenstoffmenge eines natürlichen Waldes. Umgekehrt setzt die Erderwärmung dem Wald zu. Hitze und Trockenheit führen zu schwer kontrollierbaren Bränden und vermehrt zu schädlichem Insektenbefall.

Unter Stress. In unseren Breiten wiegt man sich zuweilen in Sicherheit. In den 1970er und 1980er Jahren hatten wir mit dem Waldsterben ein Problem, heißt es. Das sei heute vorbei. Damals drohte der saure Regen den Wald in Mitteleuropa zu vernichten. Durch strengere Umweltgesetze (etwa die Reduktion des Schwefel-Gehaltes im Heizöl und die Katalysator-Verpflichtung) und Forstbestimmungen wurde hier Abhilfe geschaffen. Doch gesund ist unser Wald nur bedingt.

Laut deutschem Waldzustandsbericht 2012 sind etwa die Eichen zu 70 Prozent geschädigt. Wälder sind in Europa auf effiziente Holzproduktion ausgerichtet. Es wachsen vor allem Monokulturen aus Fichten nach. Artenreiche Mischwälder verschwinden. Das hat Auswirkungen auf die gesamte Pflanzen- und Tierwelt. Außerdem steht der Wald weiterhin unter Stress. Autoabgase und Stickstoffbelastungen aus Überdüngung der Böden in der industrialisierten Landwirtschaft setzen ihm zu.

Fakten und Zahlen

Eine 100-jährige Eiche mit 130.000 Blättern, ihren Solarzellen, verwandelt jährlich rund 5.000 Kilogramm CO2 in organische Substanzen wie Holz, Blätter, Rinde und gibt dabei bis zu 4.500 Kilogramm Sauerstoff ab.

Mehr als 60 Prozent aller intakten Waldlandschaften liegen in drei Ländern: Kanada, Russland und Brasilien. 20 Prozent davon gelten als geschützt, nur zehn Prozent sind streng geschützt.

Im Amazonasbecken befindet sich mit 0,5 Milliarden Hektar der größte noch verbliebene Regenwaldblock der Erde.

Russland ist das Land mit den größten Waldflächen. Sie schwinden, weil 80 Prozent des russischen Holzes aus Kahlschlägen stammen.

Unter dem Borealen Regenwald (Nadelwälder) Kanadas in den Rocky Mountains liegen die zweitgrößten Ölreserven der Welt, und zwar in Sand gebunden. Die Gewinnung des Erdöls erfordert weiträumige Rodungen, hinterlässt Schlammwüsten, ist extrem energieintensiv und verursacht 40 Prozent der Treibhausgaseemissionen Kanadas.

Für Stauseen in Regenwaldgebieten gilt: Wenn sich die überflutete Vegetation unter Wasser zersetzt, werden große Mengen von Treibhausgasen freigesetzt, vor allem Methan.

In Indonesien wurden in den letzten 20 Jahren 1,5 Millionen Hektar Wald durch Plantagen ersetzt. Konzessionen für die Rodung weiterer vier Millionen Hektar sind vergeben.

Quellen: www.greenpeace.at; www.wwf.de (Waldzustandbericht 2011); www.global2000.at; www.fao.org

Wälder weichen. Seit den ersten Tagen der Zivilisation hat der Mensch Einfluss auf die Waldentwicklung genommen. Um Siedlungs- und Ackerflächen zu gewinnen, wurde gerodet, Holz wurde als Baustoff und Energieträger eingesetzt. Aus Primär- oder Urwäldern, also vorher nicht oder kaum genutzten Wäldern, wurden durch Holzeinschlag und Nachpflanzungen Sekundärwälder. Es gab auch schon vor Jahrhunderten extreme Entwaldungen, wie die Landschaften der Seefahrernationen Portugal und Spanien beweisen. Heute sind die Herausforderungen je nach Region oder Land sehr unterschiedlich, wie auch die Art der Übernutzung vielfältig ist.

Es zeigen sich aber drei Hauptursachen der Zerstörung. Die wichtigste ist die Expansion der Landwirtschaft. Vom größten zusammenhängenden Regenwald der Erde im Amazonasgebiet gingen bereits 20 Prozent an Sojaplantagen und Rinderweiden verloren. Die zweite Ursache ist das Vordringen von Infrastruktur wie Straßen oder von Kraftwerken zur Energiegewinnung.

Wie die Umweltorganisation International Rivers berichtet, plant Brasilien derzeit 20 neue Wasserkraftwerke, ein massiver Angriff auf den Regenwald. Allein der Stausee von Tucuruí überschwemmte fast 300.000 Hektar Wald und vernichtete die Lebensgrundlage von indigenen Völkern. Belo Monte ist aktuell ein besonders umstrittenes Projekt (siehe auch Südwind Magazin 11/2015, S. 34). Mitte Jänner hob ein brasilianisches Gericht die Betriebserlaubnis für den Belo-Monte-Staudamm bis zur Erfüllung mehrerer Auflagen auf.

Die dritte Ursache der Waldzerstörung ist die Holznutzung. In Südostasien, und hier besonders in Indonesien, ist die industrielle Holzgewinnung das Hauptproblem. Selektiver Holzeinschlag steht bei uns für nachhaltige Waldnutzung. In den Tropen dagegen bedeutet er oft, dass nur die vermarktungsfähigen Bäume geschlagen werden, häufig ein oder zwei wertvolle Exemplare pro Hektar, was den Wald insgesamt stark schädigt, die Rechte der lokalen Bevölkerung werden ignoriert. Vielfach muss aber der Wald der Zellstoff-, Papier- und Palmölproduktion ganz weichen.

Holzeinschlag ist in vielen Ländern zum Schutz des Waldes gesetzlich geregelt. Gleichzeitig sind mehr als 60 Prozent des Holzeinschlags illegal, besonders in Ländern mit den letzten verbliebenen großen Waldflächen, in tropischen Regionen ebenso wie in den Staaten des ehemaligen Ostblocks.

Auch in Afrika. Afrikas Regenwälder stehen auch unter Druck. Im Kongobecken liegt das zweitgrößte zusammenhängende Regenwaldgebiet der Erde, der größte Teil davon in der seit Jahren kriegsgeplagten Demokratischen Republik Kongo. Raubbau an wertvollen Tropenhölzern dezimiert den Wald. Verschärfend kommt die extreme Armut der Bevölkerung hinzu und die Tatsache, dass Holz für sie die einzige Energiequelle darstellt.

Sind die Wälder noch zu retten? Umweltorganisationen wie Greenpeace fordern weltweit einen Abholzungsstopp von 100 Prozent, weil es eine der einfachsten und kostengünstigsten Methoden sei, den Klimawandel einzudämmen.

Eine Ausweitung von Schutzgebieten, wie sie etwa in Amazonien und vielen anderen Regionen durchaus vorhanden sind, wäre eine Möglichkeit, besonders tropische Wälder in ihrer Unberührtheit zu belassen. Doch wer kontrolliert die Einhaltung? In armen oder krisengeschüttelten Regionen, wie etwa dem Kongo-Becken, ist sie schwierig. Es bräuchte zumindest Kompensationszahlungen für lokale Gemeinden.

Dort, wo menschliche Aktivitäten den Wald bereits erreicht haben, wird nur eine nachhaltige Nutzung Schäden reduzieren oder minimieren können. Es gilt, bewusst und kritisch mit Waldprodukten umzugehen, vorhandene Ressourcen effizient und sparsam zu nutzen, Papier- und Holzprodukte zu recyceln und den Fleischkonsum zu reduzieren. Wie in so vielen Zusammenhängen tragen auch hier Konsumentinnen und Konsumenten Mitverantwortung.

Brigitte Pilz ist freie Journalistin in Wien und Herausgebervertreterin des Südwind-Magazins.

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