Kap Verde hat in den letzten Jahren einen politischen Wandel erlebt. Wie hat er sich auf die soziale Situation ausgewirkt? Darüber sprach SÜDWIND-Autorin Brigitte Pilz mit der Wirtschaftsexpertin Georgina Mello.
Antwort: Wenn wir von Hunger sprechen, denken wir an die Katastrophen, die es in unserer Geschichte immer wieder gegeben hat und die so viele Menschen in die Emigration getrieben haben, das letzte Mal Ende der vierziger Jahre. Heute gibt es hingegen viele, besonders im Inneren einzelner Inseln, die mangelernährt sind. Aber heute sterben Leute nicht aus Hunger. Die Nachbarn helfen. Dennoch ist die Situation schlimm. Es gibt keine Jobs, zu wenig Betriebe, keinen Regen für die Landwirtschaft.
SÜDWIND: Armut drückt sich nicht nur in einem Mangel an Ernährung aus.
Antwort: Ja natürlich, auch in einem Mangel an ordentlichen Wohnungen, sauberem Trinkwasser, Sanitäranlagen, Kleidung. Du brauchst hier in Praia nur etwas von den Hauptstraßen abzubiegen, dann siehst du die Not. Um Praia hat sich ein Armutsgürtel gebildet. Hier ist die Nachbarschaftshilfe bei weitem nicht so ausgeprägt ist wie auf dem Land.
SÜDWIND: Sie waren früher in der PAICV sehr aktiv und stehen der MPD-Regierung sicher kritisch gegenüber. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Sozialpolitik?
Antwort: Ohne Zweifel hat sich mit der neoliberalen Politik der MPD die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet. Wenn man auf Privatisierung setzt, müßte man parallel dazu eine Sozialpolitik entwickeln, um jene abzusichern, die weniger Chancen in der Wirtschaft haben. Wir haben kaum gesetzlich geregelte soziale Netze.
SÜDWIND: Wie schaut es mit dem informellen Sektor aus?
Antwort: Er wächst und wächst. Eigentlich schadet er dem modernen Wirtschaftssektor, denn die Leute zahlen keine Steuern, sie haben nicht die Verpflichtungen, die Betriebe auf sich nehmen müssen. Man sollte den informellen Sektor bekämpfen, weil es keine gesunde Entwicklung privaten Unternehmertums ist. Andererseits schafft er aber Überlebensmöglichkeiten.
SÜDWIND: Glauben Sie, das Bildungssystem ist ausreichend?
Antwort: Freier Zugang zur Schule für alle bzw. eine verlängerte Schulpflicht führt zu einem Abnehmen der Qualität des Unterrichts. Die Ressourcen, wie Schulraum, Lehrer, Unterrichtsmaterial reichen nicht aus. Aber der Weg ist dennoch der richtige. Die Regierung macht hier große Anstrengungen, aber es reicht noch nicht. Was fehlt ist die Partizipation der Menschen. Das war eine der Hauptintentionen der PAICV.
SÜDWIND: Was waren die Fehler, die die PAICV in ihrer Regierungszeit gemacht hat?
Antwort: Das Schwerste haben wir geschafft: den Menschen den Glauben an ihr Land zu geben. Die PAICV hat aber auch schwere Fehler gemacht. 1988 beim 3. Parteikongreß haben wir die wirtschaftliche Öffnung beschlossen, gleichzeitig wurde die politische Öffnung verworfen. Wir haben auch zu sehr auf die sozialen und wirtschaftlichen Kennzahlen des Landes geachtet und zu wenig auf die Bedürfnisse der Leute nach Straßen in jedes Dorf, Telefonzellen überall usw. So haben wir die 1991 die Wahlen verloren.
SÜDWIND: Ist die PAICV eine starke Opposition?
Antwort: Ich bin nicht mehr in der Politik. Ich bin in die innere Emigration gegangen. Aber ich denke, es gibt keine starke Opposition, von keiner Partei.
SÜDWIND: Sie sind eine politische Person. Ist es nicht sehr schwierig, sich rauszuhalten?
Antwort: Ja, das ist es. Manchmal möchte ich mitten hineinspringen und schreien: Was macht ihr da!
SÜDWIND: Was gibt Ihnen dennoch Hoffnung? Was sind die Potentiale Ihres Landes?
Antwort: Die Menschen. Menschen sollten über Parteigrenzen hinweg, am Aufbau des Landes arbeiten.
SÜDWIND: Wir danken für das Gespräch
Georgina de Mello, geboren in Mindelo, Săo Vicente, aufgewachsen in Paul, Santo Antăo, lebt schon lange in Praia, Santiago. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften in Portugal, engagierte sich in der PAICV und arbeitete einige Jahre als Beraterin für die
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