Demokratin aus Leidenschaft

Von Martina Kopf · · 2009/04

Für die Argentinierin Alicia Cabezudo ist demokratisches Bewusstsein eine Frage der Bildung. Das erfuhr sie bereits als Lehrerin im Widerstand gegen die Militärdiktatur. Heute widmet sich die rührige Sozialwissenschaftlerin international der Friedenspädagogik.

Zwei Jahre hat ein internationales Team daran gearbeitet, nun liegt das Handbuch für Globales Lernen auf dem Tisch, wenn auch vorerst nur auf dem virtuellen zum Download. Mit dem Handbuch sollen Konzepte und Methoden des Globalen Lernens weiter in europäischen Bildungslandschaften verankert werden, sollen BildungspolitikerInnen wie auch Leute in der Praxis Handwerkszeug erhalten, Inhalte wie Demokratie, Menschenrechte, Friedenskultur zu stärken. Wie viel an persönlicher Leidenschaft hinter so neutral klingenden Begriffen stecken kann, zeigt sich im Gespräch mit Alicia Cabezudo, einer der Beteiligten an dem Projekt.
Die polyglotte Universitätsprofessorin ist, was man heute gern „Expertin“ nennt – für Demokratie- und Menschenrechtserziehung und Friedenspädagogik. Ein Begriff, mit dem sie selber nicht so recht kann. Auf die vielen Netzwerke angesprochen, in denen sie tätig ist, meint sie belustigt, „ja, daran sieht man, dass ich alt bin“. Im Rahmen der UNO-Dekade für Friedenskultur wirkt sie am abschließenden Weltbericht mit, hält Professuren und Gastprofessuren in Argentinien, Spanien, New York, Ägypten und Costa Rica, betreute als Direktorin des Netzwerks „Educating Cities“ in Lateinamerika neun Jahre lang 43 Städte und arbeitet in der kommunalen Bildungspolitik ihrer Heimatstadt Rosario.

Dabei begann sie ihre Laufbahn in den 1960ern schlicht als Volksschullehrerin, was ihr einen ersten und prägenden Kulturschock versetzte. „Damals wurden wir jungen Lehrer an die Stellen geschickt, wo die erfahreneren Kollegen nicht unterrichten wollten. Das waren die Slums“, erzählt sie. Eine, wie sie durch Austausch mit anderen weiß, für jene Zeit nicht nur in Lateinamerika, sondern auch Afrika typische Erfahrung. „Ich verstand sofort, dass wir dafür nicht ausgebildet und vorbereitet waren, gleichzeitig aber sehr gebraucht wurden.“ Damals begann Cabezudo, sich über Methoden Gedanken zu machen. Der entscheidende und wesentlich traumatischere Anstoß kam mit der „Welle der Diktaturen“, die von den 1970ern bis in die 1990er hinein Lateinamerika erfasste. Cabezudo unterrichtete inzwischen nach abgeschlossenem Studium Geschichte an höheren Schulen. Mit anderen KollegInnen aus den Fächern Geschichte, Geografie, Kunst und Literatur suchte sie nach Wegen, Wissen über Demokratie und kritisches Denken zu vermitteln, ohne damit aufzufallen – ein Drahtseilakt. Wo die Inhalte, das „Was“, aufs autoritärste vorgeschrieben waren, konnte das nur durch die Methoden, das „Wie“ des Lehrens geschehen. So entwickelten die LehrerInnen Übungen, Spiele. Ein Beispiel: Am Lehrplan steht Karl V. und die Habsburg-Dynastie. Die Übung dazu: „Was denkst du über Karl V. War er ein Demokrat? Begründe deine Argumente.“ „Durch die Methoden schufen wir eine freie Atmosphäre in der Klasse“, erinnert sich Cabezudo. „Die Teenager waren sich nicht unmittelbar unserer Konzepte bewusst. Aber sie mochten den Unterricht und waren sich dessen bewusst, dass er anders war.“

Die Liebe für Methoden ist ihr geblieben, wenn es heute in der Demokratie- und Menschenrechtserziehung auch um ganz andere Voraussetzungen geht. Die größte Herausforderung während der Diktatur hieß: „Überleben“. Von den 23 LehrerInnen, die sich an dem Netzwerk beteiligten, haben drei überlebt, die anderen verschwanden, wurden ermordet. Cabezudos größte Herausforderung heute: „Mit Menschen zu Demokratie und Menschenrechten zu arbeiten, die glauben, sie hätten alle Rechte und würden in einer Demokratie leben, nur weil sie eine gewählte Regierung haben.“ Ihr Anliegen jetzt: Wie bringt man Menschen dazu, zu partizipieren, sich zu beteiligen. Hier sieht die Bildungsfachfrau einen wesentlichen Unterschied zwischen Süd und Nord. „Im Süden werden Regierungen viel mehr diskutiert und in Frage gestellt.“ Nicht weil Demokratie als System abgelehnt werde, führt sie weiter aus, sondern weil die Leute finden, dass sie nicht gut genug repräsentiert werden. In Europa gäbe man sich zu sehr mit der repräsentativen Demokratie zufrieden. Dabei sei es gerade heute notwendig, Demokratien in Hinblick auf Partizipation und Autoritäten neu zu gestalten: „Die Gesellschaften heute sind nach den Migrationsbewegungen der letzten 25 Jahre sehr anders, multikultureller, aber das politische System ist das gleiche geblieben.“
Am meisten freut sich Alicia Cabezudo darüber, dass sich heute so viele junge Menschen mit „ihren“ Themen beschäftigen. Die Gruppen junger Studierender aus aller Welt, die sie in Masterlehrgängen auf drei Kontinenten betreut, geben ihr Zuversicht: „Wenn ich anderen neue Arten des Denkens vermitteln kann, ein offenes, kritisches Denken, ist das für mich ein Erfolg.“

Global Education Guideline zum Download auf www.suedwind-agentur.at unter „Bilden“.

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