Die geheimen Protokolle zur Niederschlagung der chinesischen Studentenbewegung von 1989 wurden in den USA kürzlich als ťTiananmen-AkteŤ veröffentlicht. Der anonym gebliebene Informant muss Zugang zum höchsten Pekinger Machtzentrum haben oder selbst dort sitzen.
Dann aber wandte sich eines Tages ein chinesischer Informant an ihn, der im Besitz von rund eintausend Dokumenten sein wollte, die genau aufzeigten, was vor der Niederschlagung der Demokratiebewegung im Juni 1989 im innersten Kreis der Macht in Beijing vor sich gegangen war.
Die Papiere, versicherte der Informant, würden Aufschluss darüber geben, worüber die führenden Politiker damals diskutierten, wie die Entscheidungsprozesse auf höchster Ebene liefen und wer wofür votierte, bis es schließlich zum Massaker am Platz des Himmlischen Friedens kam.
Professor Nathan war sich der potentiellen Tragweite der Dokumente bewusst, die zu Jahresbeginn in Englisch und nur wenige Wochen danach in deutscher Übersetzung mit dem Titel Die Tiananmen-Akte in Buchform veröffentlicht wurden. Zwischen dem Angebot und der Herausgabe liegen freilich mehrere Jahre intensivster Recherchen, zu denen Nathan Perry Link, Professor für Chinesische Sprache und Literatur an der Princeton-Universität, und Orville Schell, Vorstand des Publizistikinstituts an der Universität von Kalifornien in Berkeley, heranzog. Sowohl Link als auch Schell haben selbst eine Reihe von Büchern zu China verfasst, und gemeinsam mit Nathan wollten sie nun die Authentizität der Dokumente überprüfen, von denen sie kein einziges je im Original zu sehen bekamen. Ihr hochrangiger chinesischer Informant ließ ihnen lediglich Computerausdrucke der transkribierten Originale zukommen, da dies dem Ethos seiner Heimat entspreche, wonach man Inhalte, nicht aber Papiere publik machen dürfe.
Darin liegt auch der große Unterschied zu den vor Jahren veröffentlichten Pentagon Papers, die einen Blick in die politischen Entscheidungsprozesse in Washington während des Vietnamkrieges erlaubten. Die Herausgeber dieser Dokumente hatten sehr wohl Zugang zu den Originalen.
Die drei Professoren wussten, was für sie auf dem Spiel stand. Da ihre Aufgabe lediglich in der Redigierung der Akten lag, waren keine akademischen Lorbeeren zu holen. Würden sie aber einem Schwindel aufsitzen, hätte das sehr wohl nachteilige Auswirkungen auf ihr Renommee als China-Experten. In mühsamster Arbeit mussten sich die drei also von der Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit ihres Informanten sowie von der Echtheit der Papiere überzeugen. Denn, schildert Schell nun in einem Nachwort zum Buch, zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit belegen, wie leicht selbst skeptische China-Kenner sich in die Irre führen lassen können. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass Forscher in den seltensten Fällen an so wichtige Dokumente aus dem Machtzentrum in Beijing herankommen. Glaubt man, eines in Händen zu haben, ist der Drang, es für echt zu halten und zu veröffentlichen, doppelt so groß.
Nathan, Link und Schell kamen schließlich zu dem Schluss, dass sie das Wagnis der Herausgabe auf sich nehmen könnten. Die Papiere sind ihrer Ansicht nach mit höchster Wahrscheinlichkeit authentisch eine 100prozentige Garantie kann es unter diesen Umständen nicht geben , und auch an der Person ihres Informanten hatten sie keinen Grund zu zweifeln. Die Identität dieses Chinesen, der im Interesse der reformorientierten Kreise innerhalb des Regimes agieren will, muss allerdings streng geheim gehalten werden. Er tritt unter dem Pseudonym Zhang Liang auf.
Die hier abgedruckten Dokumente enthüllen die Verhandlungen, Gespräche und Beschlüsse des KP-Politbüros im Vorfeld der Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung im Jahr 1989. Die Professoren und China-Experten Nathan und Schell gehen im Vor- und Nachwort ausführlich auf die Entstehungsgeschichte dieses Buches ein.
Das Buch erschien soeben im Berliner Propyläen Verlag (765 Seiten, öS 510,).
Die Autorin ist freie Journalistin und unternimmt regelmäßig Reisen nach Süd- und Südostasien.
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