Das wartungsfreie Buch

Von Rudi Lindorfer · · 2005/12

Gut, dass es Bücher gibt, die allen, immer und überall zu empfehlen sind, meint der vom Weihnachtsgeschäft angetriebene Buchhändler unseres Vertrauens.

Ein beliebter Spruch zur Weihnachtszeit: „Geht’s dem Geschäft gut, geht’s den BuchhändlerInnen schlecht.“ Die eine Seite ist der, für das Geschäft sehr wichtige, Ansturm der KundInnen. Dieser lässt für die andere, die schöne Seite im Berufsalltag eines Buchhändlers, oft zu wenig Zeit: das (beratende) Gespräch. Zum Glück erscheinen – leider zu selten – Bücher, die man jeder und jedem zum Lesen oder Verschenken ans Herz legen kann. Zu diesen zähle ich auf jeden Fall „Rupien! Rupien!“ von Vikas Swarup. Egal, ob man mit Indien etwas im Sinn hat oder nicht: KeineN lässt das Schicksal des Kellners Ram Mohammed Thomas kalt. Dieser beantwortet in der Quizshow „Wer wird Milliardär“ alle zwölf Fragen – und wird daraufhin wegen Betrugsverdachts eingekerkert und gefoltert, bis ihn eine Anwältin aus der Haft befreit. Ihr erklärt er anhand der Video-Aufzeichnung Frage für Frage, warum er sie beantworten konnte. Dabei fächert Vikas Swarup exemplarisch ein indisches Leben vor uns auf: traurig und bitter, lustig und voll Lebensfreude.

Auch Antonio Skármeta hat mit „Der Dieb und die Tänzerin“ (wieder) einen wunderbaren Roman vorgelegt. Voll Humor und in Gestalt einer, nein, eigentlich vieler Liebesgeschichten erzählt er von der sich entwickelnden Freundschaft zwischen dem alternden Gentleman-Gauner Grey und Ángel, einem jungen Pferdedieb. Beide kommen auf Grund einer Amnestie frei. Ángel bekommt von einem Mithäftling einen Tipp für einen sicheren Bruch: Geld, das es eigentlich nicht gibt, im Tresor der ehemaligen Geheimpolizei. Dazu braucht er die Hilfe Greys, der nur vom Ruhestand und der Versöhnung mit seiner Familie träumt, aber von Ángel ständig dabei gestört wird. Grey fühlt sich immer stärker für den Jungen und dessen Freundin Victoria verantwortlich. Und zwischen den Zeilen schwingt die Hoffnung auf ein lebenswerteres Chile mit.

Eine Hoffnung, die in Azar Nafisis „Lolita lesen in Teheran“ zwar ausgesprochen wird, aber nur als sehnlicher Wunsch. Azar Nafisi lehrte im Iran englische Literatur. Nach der Revolution bekam sie Lehrverbot an der Universität und lehrte fortan in ihrem Wohnzimmer. Sieben junge Frauen kamen regelmäßig zu ihr. Am Lehrplan stand Literatur, verbotene Literatur, die in Zeiten der Unterdrückung zu ihrer aller Überlebensmittel wird. Dieses Werk ist ein Plädoyer für die befreiende Wirkung von Literatur. Azar Nafisi verbindet dieses mit einem Einblick ins Alltagsleben Intellektueller unter einem totalitären Regime und in die Geschichte des Iran im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts. All das würzt sie mit einem guten Schuss Ironie.

Ein Versuch von Vergangenheitsbewältigung ist auch der (Kriminal-)Roman des türkischen Autors Ahmet Ümit, „Nacht und Nebel“. Im Mittelpunkt steht Sedat, Geheimdienstmitarbeiter, liebender Vater und untreuer Ehemann, der aber doch die häusliche Gemütlichkeit schätzt. Bei der Aushebung eines vermeintlichen Terroristenunterschlupfs schießt er kaltblütig auf fliehende Personen und wird selbst angeschossen. Nach seiner Genesung macht er sich auf die Suche nach seiner Geliebten Mine, die seit jenem Tag verschwunden ist. Je näher er der Lösung seines Falls kommt, desto mehr bröckelt seine Selbstsicherheit ab. Ahmet Ümit begnügt sich nicht damit, die Paranoia und Machenschaften der diversen türkischen Sicherheitsorgane aufzuzeigen, er schildert das soziale Umfeld und den Alltag der Mittelschicht in Istanbul ebenso wie das Schicksal der griechischen Minderheit.

Und dann gibt es Werke wie António Lobo Antunes „Guten Abend ihr Dinge hier unten“. Dieser Roman über Angola von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart ist ein gewaltiges, gelungenes Sprachexperiment über Krieg, Korruption und Gewalt, geschrieben in der dem Autor eigenen Sprachmelodie; kurz gesagt: große Literatur. Ich fürchte, dass die meisten Menschen die Muße und Zeit für solche Werke nicht (mehr) aufbringen. Da Muße und Zeit nicht zu fair gehandelten Produkten zählen, können wir sie in unserem Geschäft leider auch nicht anbieten, sondern nur wünschen.


Vikas Swarup
Rupien! Rupien!
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005,
343 Seiten, EUR 20,50

Antonio Skármeta
Der Dieb und die Tänzerin
Piper, München 2005, 399 Seiten, EUR 23,60

Azar Nafisi
Lolita lesen in Teheran
DVA, München 2005, 424 Seiten, EUR 18,40

Ahmet Ümit
Nacht und Nebel
Unionsverlag, Türkische Bibliothek,
Zürich 2005, 365 Seiten, EUR 20,50

António Lobo Antunes
Guten Abend ihr Dinge hier unten
Luchterhand, München 2005, 750 Seiten, EUR 25,60

Der Autor ist Buchhändler von Südwind/Buchwelt in Wien.

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