Das Verschwinden der Welt 

Von Christine Tragler · · 2025/Jan-Feb

Rund 90 Prozent der Medienberichte im deutschsprachigen Raum drehen sich um gerade einmal 15 Prozent der Weltbevölkerung. Und die restlichen 85 Prozent?

Wie oft lesen Sie Nachrichten aus dem Sudan, wo derzeit ein Viertel der Bevölkerung, also zwölf Millionen Menschen, auf der Flucht ist? Haben Sie kürzlich irgendwo davon gehört, dass in Haiti jede:r Zweite von Hunger bedroht ist? Was wissen Sie über die Arbeitsbedingungen beim Abbau von Kobalt, dem Rohstoff für unsere Handy-Akkus, in der Demokratischen Republik Kongo?

Es ist relativ unwahrscheinlich, dass Sie in deutschsprachigen Nachrichten darüber lesen oder hören werden. Dem Globalen Süden wird wenig Aufmerksamkeit zuteil – es sei denn, ein historisches Ereignis rückt ein Land ins Rampenlicht, wie etwa der Sturz des Assad-Regimes, das Syrien ein halbes Jahrhundert lang unterdrückte.

Aber abseits von solch revolutionären Wendepunkten bleiben die Lebensumstände der Menschen im Globalen Süden in den Medien weitgehend unbeachtet. Laut einer Auswertung des deutschen Kulturwissenschaftlers Ladislaus Ludescher behandelten 2023 nur 10 Prozent der journalistischen Beiträge in deutschsprachigen Medien Themen aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Dabei befinden sich dort 85 Prozent der Weltbevölkerung. 

Und 90 Prozent der Radio-, TV-, Print-, und Online-Berichte beziehen sich ausschließlich auf – raten Sie einmal – den Globalen Norden, also 15 Prozent der Erdbewohner:innen.

Geht uns an. Ludescher spricht von einer Aufmerksamkeitskrise im Auslandsjournalismus: Wenn die Scheinwerfer auf wenige Länder gerichtet sind, verschwinden andere Regionen aus dem Sichtfeld. Und ausgerechnet diejenigen Medien, die sich dem kritischen Blick auf globale Zusammenhänge verschrieben haben und regelmäßig Reportagen und Analysen aus dem Globalen Süden liefern, kämpfen aufgrund unzureichender Medienförderung ums Überleben. Aber: Wegschauen ist keine Option.

Eine der wichtigsten Aufgaben des Journalismus ist es, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu beschreiben und Zusammenhänge herzustellen – und dabei nicht den Großteil der Weltbevölkerung zu übersehen. Die Kritik an den himmelschreienden Repressionen in Nicaragua, der Widerstand gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen in Bangladesch oder die anhaltenden Proteste in Neukaledonien – das alles findet statt, auch wenn wir davon nichts in der Zeitung lesen oder im Livestream sehen.

Nicht repräsentativ. Wie es ist, darf es nicht bleiben. Um darüber diskutieren zu können, wie wir diese Welt, in der wir alle leben, gemeinsam gestalten, braucht es eine gemeinsame Faktenbasis sowie eine diverse und repräsentative Berichterstattung. Gefragt sind ausführliche journalistische Darstellungen, TV-Dokumentationen, Radiofeatures – und dringend die Arbeit von Faktenchecker:innen in Lateinamerika, Afrika oder Asien (siehe dazu das Dossier in dieser Ausgabe).

Finden Ereignisse im Globalen Süden bei uns medial kaum Gehör, ist unser Bild von der Welt nicht vollständig – es fehlt uns das Verständnis für politische Prozesse. Gegen das Informationsvakuum hilft eine Ausweitung der Berichterstattung. Genau das fordern jetzt Initiativen wie das neu gegründete Netzwerk „Globaler Süden in den Medien“. Wissenschaftler:innen rund um Ludescher, Medienschaffende und NGOs möchten damit Redaktionen sensibilisieren und Budgets gezielt für eine nachhaltige Berichterstattung umschichten. Wir vom Südwind-Magazin sind dabei.   

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen