Mexiko-Stadt galt in den 1950er Jahren als eine der am stärksten umweltgeschädigten Megacities. Luftkurort ist die frühere aztekische Lagunenstadt auch heute nicht. Doch allenthalben gibt es Bemühungen, die Lebensqualität der StadtbewohnerInnen zu erhöhen.
Octavio Aguilar ist Unternehmensberater und Teilhaber einer Galerie im Künstlerviertel Condesa in Mexiko-Stadt, und wenn er es eilig hat, nimmt er ein Fahrrad. „Zur Rush-hour bin ich damit schneller, und gesund ist es auch“, sagt der agile Mittfünfziger, der sich als Fan der „Ecobicis“ outet. Denn ähnlich wie in europäischen Großstädten gibt es auch in der lateinamerikanischen Megastadt inzwischen Radwege und Leihstationen für öffentliche Fahrräder. Das funktioniert mit einer Art Kreditkarte und findet besonders bei jungen Leuten und alternativ Denkenden viel Anklang. Am Wochenende, wenn ganze Straßenzüge für JoggerInnen, SkaterInnen und RadfahrerInnen gesperrt sind, ist manchmal kein einziges Rad mehr zu bekommen. Dann lassen sich ab und zu sogar wieder die 50 Kilometer entfernten Vulkane Popocatépetl und Ixtaccihuatl blicken, die während der Woche unter einer dicken Smog- und Dunstglocke verschwinden. Und man erahnt, was für ein Juwel Mexiko-Stadt gewesen sein muss, als es der spanische Eroberer Hernán Cortez zum ersten Mal erblickte.
Wie das Venedig Amerikas wirkte die Lagunenstadt, deren aztekische Tempel in der glasklaren Bergluft schon von weitem zu erkennen waren. Doch das ist 500 Jahre her. Und die ökologische Katastrophe nahm mit den Spaniern ihren Anfang, wie der Architekt Teodoro González de León betont. Sie legten die Kanäle trocken, weil diese als Moskito- und Krankheitsherde galten. So veränderte sich das Klima. Trotzdem blieb Mexiko-Stadt noch über Jahrhunderte hinweg ein Luftkurort.
Mit einer massiven Zuwanderung ab den 1950er Jahren stieg die Zahl der BewohnerInnen auf 20 Millionen und die der Autos auf 4,8 Millionen. „Alle Stadtregenten vergötterten das Auto und den Individualverkehr. Die USA waren dabei Vorbild“, kritisiert de León. Keine 20 Jahre später war die mexikanische Hauptstadt Sinnbild für die urbane Apokalypse. FußgängerInnen schlängelten sich mit Atemschutzmasken durch den Höllenverkehr; auf den achtspurigen Boulevards herrschte Dauerstau; über das Chaos aus Stromkabeln, halbverputzten Häusern und bunten Werbewänden legte sich eine Glocke aus Dunst, Staub und Smog, die im Hals kratzte und die Augen tränen ließ. Ein Hauptstädter verbringt im Schnitt drei Stunden täglich im Berufsverkehr. Zur Stoßzeit wird auf den Ausfallstraßen eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 km/h erreicht.
Und das Chaos beschränkt sich nicht nur auf den Boden – auch in der Luft ist kein Platz mehr frei. Im Minutentakt starten und landen die Flugzeuge am Hauptstadtflughafen bis spät in die Nacht.
Die Folgen sind gravierend: WissenschaftlerInnen haben ermittelt, dass die Temperatur im Valle de Mexico in den vergangenen 100 Jahren um vier Grad angestiegen ist – weltweit sind es 0,6 Grad. Das Leitungswasser, das aus entfernt liegenden Stauseen stammt, wird immer knapper. Die Hälfte versickert unterwegs aus brüchigen Rohren. In der Trockenzeit wird das ohnehin nicht trinkbare Wasser von den Stadtwerken rationiert, in der Regenzeit sind die Straßen überflutet, weil das Kanalsystem überfordert ist. „Wir sind Überlebende einer urbanen Apokalypse“, bemerkt die Hauptstädterin Soraya mit Galgenhumor.
Die Situation wurde schließlich derart dramatisch, dass selbst die PolitikerInnen nicht mehr wegschauen konnten. Vor allem seit 1997, der ersten Direktwahl des Bürgermeisters, gibt es Fortschritte. Zahlreiche Maßnahmen wurden gesetzt: die Einführung von Filtern für Fabrikschlote, das bleifreie Benzin und ein Fahrverbot an einem Tag der Woche. Dadurch konnte die Abgasbelastung deutlich gesenkt werden. Die durchwegs linken Stadtregierungen bauten das U- und S-Bahnnetz aus, sie führten ein Schnellbussystem ein, und die stinkenden Kleinbusse ersetzte man durch umweltfreundlichere moderne Busse. Aus den Supermärkten wurden die Gratis-Plastiksackerln verbannt, und die Kanalisation wurde ausgebaut.
Mit Werbekampagnen versucht die Stadtverwaltung, das Umweltbewusstsein und den schonenden Umgang mit Ressourcen zu fördern.
Doch nicht alles ist umweltpolitisch durchdacht, und die Autolobby ist mächtig in einem Schwellenland, in dem der gesellschaftliche Aufstieg mit einem eigenen Auto demonstriert wird. Vor acht Jahren ließ der Bürgermeister deshalb einen zweiten Stock auf die Stadtautobahn bauen. Jetzt ist die Hauptstadt mal wieder voller Baustellen: Man bastelt an einem dritten Stock.
De León verfolgt mit einer Gruppe progressiver Architekten eine ganz andere Vision: Aus ihrer Heimatstadt soll wieder das Venedig Amerikas werden. 150 Quadratkilometer wollen sie an der östlichen Peripherie überfluten, dort wo früher der städtische Müllplatz war. Das würde diese vernachlässigte Gegend aufwerten, den StädterInnen ein Naherholungsgebiet erschließen und die Luftqualität verbessern.
Sandra Weiss ist Lateinamerika-Korrespondentin mehrerer deutschsprachiger Medien. Sie lebt in Puebla, Mexiko.
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