Ein Handelsstreit zwischen Brasilien und Südafrika zeigt, dass es mit der Solidarität unter aufstrebenden Schwellenländern nicht weit her ist.
Streit statt Partnerschaft: Brasilien leitete Ende Juni Schritte für ein formelles WTO-Verfahren gegen Südafrika ein. Damit unternahm Brasilien zum ersten Mal massive rechtliche Schritte gegen einen Partner aus der Gruppe der so genannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika). Hintergrund sind Antidumping-Zölle auf Hühnerfleisch aus Brasilien. Südafrika sah sich bereits vor mehr als einem halben Jahr dazu gezwungen, zusätzliche Zollsätze in der Höhe von 46,6 bis 62,9 Prozent – abhängig vom brasilianischen Unternehmen, das exportiert – festzuschreiben. Die Regierung betrachtete dies als notwendig, da der südafrikanische Markt in den Monaten zuvor durch die enorme Zunahme an billigem Hühnerfleisch aus Brasilien massiv gestört wurde. Südafrikanische ProduzentInnen waren nicht mehr in der Lage, ihr eigenes Hühnerfleisch zu verkaufen. Brasilianische ProduzentInnen beharren nun darauf, dass es sich nicht um Dumping, also um den Verkauf von Überschussproduktion unter Preis, handle. Sie würden einfach billiger als südafrikanische Bäuerinnen und Bauern produzieren. Offiziell gibt Brasilien einen Schaden in der Höhe von 70 Millionen US-Dollar an. Dieser würde brasilianischen Exporteuren jährlich durch die ungerechtfertigten südafrikanischen Antidumpingzölle entstehen.
Aktuell muss sich Südafrika vor der WTO in Genf für sein Vorgehen rechtfertigen. Dann folgen angeordnete Gespräche zwischen Südafrika und Brasilien. Sollten sich die beiden Staaten nicht binnen 60 Tagen auf eine Beilegung ihres Streits einigen, wird die Sache an ein WTO-Panel zur Entscheidung verwiesen.
Damit erreicht ein Handelsstreit zwischen BRICS-Partnern erstmals eine neue Qualität der Auseinandersetzung. Nicht nur, dass die aggressive Exportpolitik Brasiliens an die viel kritisierte EU-Politik erinnert – etwa die EU-Hühnerfleischexporte nach Kamerun, mit denen der dortige lokale Markt massiv gestört wurde. Auch auf die Einordnung Brasiliens als viel gelobter „neuer Geber“ fällt damit so mancher Schatten. Von einer Süd-Süd-Kooperation auf Augenhöhe kann wohl nicht mehr die Rede sein. Brasilien verhält sich aktuell eher lehrbuchmäßig neoliberal: Aggressive Exportpolitik zur Erschließung neuer Absatzmärkte. Wirtschaftlicher Erfolg auf Kosten Schwächerer.
Es ist nicht das erste Mal, dass Südafrika Handelsprobleme mit einem Mitglied der BRIC-Gruppe hat. Bereits zu Jahresende 2006 führte das Land ein komplexes Quotensystem für Textilien aus China ein. Ziel ist es, den lokalen Markt zumindest teilweise davor zu schützen, von billigen chinesischen Textilien überschwemmt zu werden. Dieses Quotensystem wird von chinesischer Seite nicht beeinsprucht. In letzter Zeit entstehen eher dadurch Probleme, dass südafrikanische Importeure zunehmend versuchen, zusätzliche chinesische Textilien illegal ins Land zu bringen.
Neben den üblichen handelspolitischen Überlegungen wirft der aktuelle Konflikt mit Brasilien jedoch auch weitergehende, grundsätzliche Fragen auf. Etwa nach der viel beschworenen Solidarität zwischen aufstrebenden Schwellenländern. Es entsteht zunehmend der Eindruck, dass im Zweifelsfall Eigeninteressen noch immer wichtiger sind als Kooperation. „Neue Geber“ verhalten sich offensichtlich sehr oft immer noch wie „alte Geber“.
Die Bezeichnung BRIC war auch ursprünglich nichts anderes als ein Oberbegriff für Brasilien, Russland, Indien und China, erfunden vom früheren Chefvolkswirt von Goldman Sachs, Jim O’Neill, um eine Gruppe von aufstrebenden Märkten griffiger zu benennen. Dass der Begriff ein solches Eigenleben entwickelt hat, mag marketingtechnisch bemerkenswert sein. Über die Homogenität der Staatengruppe sagt es jedenfalls nichts aus.
Der Fall Südafrikas belegt, dass es nicht ausreicht, Teil der Abkürzung BRICS zu sein, um besser, rücksichtsvoller oder nachsichtiger behandelt zu werden. Wer sich nicht an die grundlegenden Spielregeln der Globalisierung hält – und dazu gehört die Marktöffnung um jeden Preis –, wird umgehend vor der WTO verklagt. Auf Solidarität in den Süd-Süd-Beziehungen sollte man dabei nicht setzen. Im globalen Markt überleben eben nur die Stärksten.
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Angelegenheiten. Er unterrichtet an den Universitäten Wien und Salzburg.
Andreas Brocza ist freier Sozialwissenschafter und Experte für regionale Integrationsprozesse.
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