Am 24. Mai lief der Probebetrieb an: Die im Stadtteil San Bernardino, im Norden von Caracas interimistisch angesiedelte Fernsehstation Nueva Televisión del Sur („Das neue Fernsehen des Südens“), kurz Telesur, ging erstmals auf Sendung. Die venezolanische Opposition, die ihrerseits bisher ihre Macht gerade aus ihrer massenmedialen Präsenz behaupten konnte, beobachtet das Projekt mit Argusaugen.
Die Anlaufphase soll drei Monate dauern. Als Initialbudget wurden zwölf Millionen US-Dollar, großteils von Venezuela, zur Verfügung gestellt. Argentinien hält gegenwärtig 20 Prozent, Uruguay 10, Kuba 19 und Venezuela mit 51 Prozent die strategische Mehrheit des Aktienpaketes. Gegenwärtig laufen noch Verhandlungen mit Brasilien, wobei bereits Kooperationsabkommen bezüglich des Austausches von Sendematerial abgeschlossen werden konnten. Brasilien zeigt sich in den Verhandlungen bezüglich seiner erwünschten Integration als Aktionär in dieses politisch-strategische Medien-Projekt jedoch nach wie vor unentschlossen. Ein Engagement würde eigene Unternehmen gewissermaßen torpedieren. Für die Fernsehsender „Brasil Internacional“ oder „Globo“ stellt Telesur durchaus einen potenziellen Konkurrenten am ohnehin hoch umkämpften Markt dar.
Telesur soll gemäß der theoretischen Konzeption des Hauptaktionärs, der durch die Regierung von Venezuela repräsentiert wird, am ehesten mit dem arabischen Fernsehsender Al Jazeera vergleichbar sein, also sich als politisches Projekt im Sinne von „Al Bolívar“ nach Vorstellung von Präsident Hugo Chávez entwickeln.
KritikerInnen meinen, eine neue „Propaganda-Maschine“ des venezolanischen Präsidenten vorgesetzt zu bekommen. Die Chávez-GegnerInnen fürchten die Medienpolitik des Präsidenten nicht zu Unrecht. Dieser hat im vergangenen Dezember per Gesetz die Grundlage für eine weitere Zurückdrängung der privaten Fernsehkanäle Venezuelas geschaffen, die bis dahin die wichtigste Stütze der Opposition waren.
Der aus Uruguay stammende erfahrene Wirtschafts-Journalist und künftige Telesur-Direktor Aram Aharonian rückt die geplante Angebotspalette von Telesur in ein bewusst gesamtlateinamerikanisches Licht und möchte vor allem „Dokumentarfilme über die Bewegung der Landlosen in Brasilien, über die indianischen Bewegungen in den Andenländern und über die Probleme der Globalisierung“ etc. in den Mittelpunkt der thematischen Ausrichtung stellen. Natürlich ist auch das Steckenpferd von Chávez, die lateinamerikanische Integration, ein inhaltlicher Schwerpunkt des Fernsehsenders.
Die Entstehungsgeschichte des Projektes orientiert sich an der Notwendigkeit, den LateinamerikanerInnen, die bisher von Informationen rein kommerzieller – und oft politisch tendenzieller – Medien bombardiert wurden, zu einer eigenen und eigenständigen Stimme zu verhelfen. Der Telesur-Slogan „Unser Norden ist der Süden“ birgt das wohl entscheidende Kriterium in sich: Lateinamerika hat sich gewandelt und ist in neuem Selbstbewusstsein erstarkt. Das heutige Lateinamerika ist nicht mehr dasselbe wie noch vor fünf Jahren, und aus den Wahlerfolgen der so genannten „linken“ Parteigänger des Kontinents lässt sich tatsächlich eine grundlegend an den großen sozialen Problemen orientierte Politik ausmachen. Diese braucht Telesur als Informationskanal und Massenmedium dringend.
Bemerkenswert ist der große Ehrgeiz des Projektes, strebt man doch eine ernsthafte Konkurrenz zu niemand Geringerem an als dem US-amerikanischen Sender CNN, bisher der flächendeckende Nachrichtenkanal in Lateinamerika, als auch zu Univisión. Um dieses große Ziel realistisch erscheinen zu lassen, muss sich die Unternehmensführung strengen Reglementierungen unterwerfen und sich an Konzepten wie Profitmaximierung, Wettbewerbsfähigkeit und Kommerzialisierung orientieren.
Das Team von Direktor Aharonian besteht aus dem Präsidenten Andrés Izarra, der zugleich Venezuelas Informationsminister ist, aus Ana de Escalom vom Canal 7 aus Argentinien, aus Beto Almeida, Vertreter der brasilianischen Journalistengilde, aus Ovidio Cabrera, dem ehemaligen Vize-Präsidenten des kubanischen Radios und schließlich aus dem kolumbianischen Filmemacher Jorge Enrique Botero, der das Amt des Informationsdirektors von Telesur bekleiden wird.
Den vorliegenden Plänen zufolge soll das Sendeprogramm via Satellit in nur einem Kanal in ganz Lateinamerika so bald als möglich empfangbar sein.
Nähere Infos zu Telesur:
www.telesurtv.net