Das Mangel-Tribunal

Von Anna van Gall · · 2012/12

Im Verfahren gegen fünf Angehörige des Schreckensregimes der Roten Khmer in Kambodscha fehlt es an Zeit und an Geld. Dafür verstärkt sich die Einflussnahme der Regierung.

Die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) in Den Haag ist nicht die einzige Möglichkeit, Einzelpersonen für schwere Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen. Juristische Prozesse können durch eine Partizipationsmöglichkeit der Opferzeugen und -zeuginnen einen wichtigen Beitrag zur kollektiven Aufarbeitung geschehenen Unrechts leisten und somit Teil eines Heilungsprozesses und der Überwindung von Traumata sein.

Ein anderes System zur Durchsetzung des Völkerstrafrechts sind die so genannten gemischten internationalen-nationalen Strafgerichte („Hybrid-Tribunale“). Dabei haben die Gerichte – anders als der IStGH und die Ad-hoc Sondertribunale der UNO für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda – ihren Sitz meist im Tatortstaat, und es werden nationale und internationale Elemente miteinander verbunden. Kambodscha hat mit den Vereinten Nationen 2003 ein bilaterales Abkommen geschlossen, welches die juristische Aufarbeitung der während der Regierungszeit der Roten Khmer begangenen Verbrechen zwischen April 1975 und Jänner 1979 zum Gegenstand hat. Ein nationales Gesetz hat die Schaffung der außerordentlichen Kammern innerhalb des bestehenden Justizsystems geregelt. Die Kammern untersuchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genozid, schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen sowie weitere internationale und nationale Verbrechen. Sie sind aus nationalen und internationalen RichterInnen zusammengesetzt. Für Entscheidungen ist eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Gegen fünf noch lebende Führungspersonen der Roten Khmer wurde Anklage erhoben.

Im Februar 2012 wurde das erste Verfahren gegen Kaing Guek Eav alias „Duch“ abgeschlossen. Als ehemaliger Leiter des Gefängnisses Tuol Sleng war er verantwortlich für die Misshandlung und Tötung von mindestens 12.380 Männern, Frauen und Kindern. Insgesamt kamen durch das Schreckensregime der Roten Khmer mindestens 1,7 Millionen Menschen ums Leben.

Die Verurteilung von Duch zu lebenslanger Haft spiegelt nur einen Bruchteil des Unrechts wider, welches die Menschen unter den Roten Khmer erfahren haben. Die Annahme, dass unter ihrer Herrschaft keine sexualisierte Gewalt ausgeübt wurde, führte z.B. dazu, dass anfangs keine systematischen Ermittlungen hierzu durchgeführt wurden. Auf Initiative der NebenklägerInnen wurde dann die Anklage auf „Zwangsheiraten“ ausgeweitet. Das Engagement der NebenklägerInnen erreichte, dass immer mehr betroffene Menschen Aussagen über erlittene Zwangsheiraten und sexualisierte Gewalt machten. Eine öffentliche Anhörung im Dezember 2011 verdeutlichte das Ausmaß dieser Gewalt unter den Roten Khmer. Dennoch spiegelt sich deren Umfang, die Brutalität und Diskriminierung weder in dem bereits ergangenen Urteil noch in den weiteren Verfahren wider. Vergewaltigung und Zwangsheiraten wurden bisher nur als unmenschliche Behandlung und nicht als eigenständiges Verbrechen untersucht.

Auch die Objektivität des Gerichts steht in Frage. So bleibt eine Vielzahl von hochrangigen Roten Khmer straffrei und ist teilweise noch in der aktuellen Regierung aktiv. Die Auseinandersetzungen zwischen den nationalen und internationalen RichterInnen führen zu Verzögerungen und Spannungen innerhalb der Kammern. So ist der Schweizer Untersuchungsrichter Laurent Kasper-Ansermet zurückgetreten, nachdem seine Ermittlungen gegen hochrangige Militärs der Roten Khmer von Richterkollegen und der Verwaltung des Tribunals behindert wurden.

Auch scheint die Zeit gegen eine umfangreiche rechtliche Aufarbeitung zu arbeiten. Nach ca. 30 Jahren wird es immer schwieriger, die AnführerInnen der Roten Khmer strafrechtlich zu verfolgen. Kürzlich wurde eine der Angeklagten, die ehemalige Sozialministerin Ieng Thirith, auf Antrag der Staatsanwaltschaft wegen zunehmender Demenz aus dem Gefängnis entlassen. In diesem Zustand sei die 80-jährige nicht mehr verhandlungsfähig, so die Begründung.

Ob ein Prozess, in dem ein wesentlicher Bestandteil der Taten nicht systematisch untersucht wird und ein Teil der TäterInnen als noch aktive PolitikerInnen Einfluss auf das Verfahren nehmen kann, der richtige Weg für eine juridische Aufarbeitung der Geschichte ist, bleibt fraglich. Dennoch ist die Bedeutung eines solchen Verfahrens für viele Angehörige der Opfer nicht zu unterschätzen. Sie können erleben, wie die Täter und Täterinnen in ihrem Land, in ihrer Sprache, vor ihren Landsleuten Rede und Antwort stehen müssen. Vielleicht ist das ein kleiner Sieg in dem Kampf um Gerechtigkeit und Entschädigung für das erfahrene Leid. 

Die Juristin Anna van Gall war u.a. in Namibia, Brüssel und zuletzt in Georgien tätig. Sie koordiniert beim ECCHR das Programm Gender und Menschenrechte.

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